Auf- und später angeregt durch Jakob Heins Text zur zunehmenden sozialen Schließung in Deutschland habe ich mich wieder einmal mit der Tatsache beschäftigt, dass es an der Universität nur so wenige gibt, die einen sogenannten bildungsfernen
Hintergrund haben. Ich selbst habe mich in gewisser Weise nie selbst so empfunden. Schließlich lesen meine Eltern gerne, finden Bildung wichtig und haben nie versucht, meine ökonomisch wenig aussichtsreiche Laufbahn als Sozialwissenschaftler in andere Bahnen zu lenken.
Im Studium war ich zu sehr von der spannenden Welt gefesselt, die sich da vor mir auftat, um über eine solche Tatsache viel nachzudenken. Das Lernen, das anfängliche Begreifen und spätere Durchschauen von Dingen die erst so unglaublich kryptisch erschienen, hat mich ausreichend in Bewegung gehalten. Die Muße, die ich mir trotz aller Bewegung herausnahm, brauchte ich, um diese Dinge zueinander in Beziehung zu setzen. Erst mit der Zeit wurde mir deutlich, dass es einigen da, an der Universität, anders geht. Hintergründe, die mir verschlossen waren, gehören dort entweder zum Selbstverständlichen – oder das eigene Standortbewusstsein ist sicher genug, um sich nicht um solche Dinge scheren zu müssen, à la Man wird es schon richtig machen, dieser ganze Kleinkrams ist doch unwichtig.
Ist das so? Mir erschien es jedenfalls anders…
Wenn die eigenen Eltern aber nur für acht Jahre zur Schule gegangen sind und danach angefangen haben, zu arbeiten, dann blieb Ihnen wenig Muße für solche Hintergründe, dann ist Wissen über Dinge außerhalb des eigenen Wirkungsfeldes keine Selbstverständlichkeit. Alles an der Uni ist dann neu – für mich glücklicherweise aufregend neu, attraktiv, vielversprechend und spannend! … aber doch auch voller lauernder Abgründe, voller Unabwägbarkeiten, Begegnungen und Gesprächen, die jederzeit verunsichern und den vermeintlich festen Boden unter den Füßen wegreißen können. (Von anderen Selbstverständlichkeiten, wie der angemessenen Art zu sprechen, sich zu bewegen, zu kleiden, zu essen und zu trinken soll hier und heute noch nicht die Rede sein.) Ich habe diese Herausforderungen meist gern angenommen. Aber mit der Zeit…
Persönlich empfunden habe ich die Schwierigkeit des Zugangs zur Universität erst, als es um die ersten Schritte ging, die zu einer echten Unikarriere gehören: eine Stelle als Hilfskraft habe ich nicht bekommen, eigentlich habe mich auch kaum darum gekümmert – ich konnte ja als Hausmeister jobben. Da hat man keinen langen Anfahrtsweg, geht doch auch. Schwieriger war es dann bei der Bewerbung um Studienstipendien. Die sind irgendwie nicht so toll gelaufen. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch, mein sozialer Hintergrund wäre ein Vorteil, schließlich müsste ich doch besonders förderungswürdig sein, denn meine Eltern konnte ja offensichtlich nicht allzuviel beisteuern (auch wenn sie das in Wirklichkeit getan haben) – ist aber nicht so, die deutschen Studienstiftungen zeigen dieselben sozialen Auswahlkriterien wie andere gesellschaftliche Akteure und Institutionen auch. Denen, die haben, wird gegeben. Literatur dazu werde ich beizeiten ergänzen. Meine Bewerbung um ein Austauschstipendium für ein Jahr in den USA hat dann auch erst im zweiten Anlauf geklappt. Der gute Herr Soziologieprofessor, der auch beim zweiten Versuch über meine Zukunft zu entscheiden hatte, ein alter 68er natürlich, meinte nach dem Gespräch gütig, das wäre ja nicht so toll gewesen, aber wenn ich nun mal so hartnäckig bin, soll das ja auch belohnt werden. Das war ein echter Tiefschlag.
Aber: die USA haben es herausgerissen. Dort war ich nur ein begabter Student aus dem Ausland, nicht mehr, aber vor allem nicht weniger. Zurück in Deutschland haben das wieder gestiegene Selbstbewusstsein und das Zertifikat USA
genug Elan verliehen, um Diplomarbeit und Bewerbung für ein Promotionsstipendium ohne besondere Verunsicherung abzuhaken.
Schwierig wurde es dann, nachdem das Promotionsstipendium ausgelaufen, aber die Arbeit noch nicht fertig war. Hartz IV, keine Reserven vorhanden Wovon soll man Reisen zu Konferenzen bezahlen? Wo soll man die Ruhe hernehmen, die Arbeit fertig zu schreiben und nebenbei noch Artikel zu veröffentlichen? Es ist alles gut gegangen. Aber Hausbesuche durch Angestellte des JobCenters und das unaufhaltsames Verschleißen der paar ordentlichen Klamotten, die man noch aus Zeiten des Stipendiums hatte, waren schon wirklich bedrohlich. Es ist alles gut gegangen.
Eines der vielleicht nachdrücklichsten Erlebnisse in diesem Zusammenhang hatte ich aber erst, als ich schon als großer, erfahrener Postdoktorand, wieder mit neuem Stipendium (und damit ohne jede soziale Absicherung), in einem Auswahlkomitee für neue DoktorandInnen saß. Im Verlauf eines schweißig-drögen Nachmittags hat doch tatsächlich einer der Professoren nach einem Vorstellungsgespräch über die kandidierende Person gesagt, dass diese ihn wirklich überzeugt habe und das er diese Person auch deshalb nachdrücklich empfehlen möchte, weil sie aus einem komplett nicht-akademischen Umfeld kommt und sich ihr Projekt und alles weitere wirklich selbst erarbeitet hätte. Dem Professor ging das ohne weiteres über die Lippen und dieser Aspekt wurde auch nicht weiter zum expliziten Thema. Ich selbst aber war gleichermaßen erschrocken wie erfreut. Erschrocken darüber, dass so etwas bisher in noch keinem Komitee, in dem ich saß, explizit in Betracht gezogen worden wäre. Erfreut, weil das in gewisser Weise auch für mich gilt und ich mich also auch als in dieser Weise ausgezeichnet sehen kann.
Würde ich aber in eine meiner Bewerbungen als Juniorprofessor, Forschungsantragssteller, oder ähnliches schreiben, dass ich aus einem bildungsfernen Milieu komme? Bisher habe ich das nicht getan…
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Besuch vom JobCenter.
Sunday, November 12th, 2006Schon in der vergangenen Woche hat es bei uns an der Haustür geklingelt als ich nicht da war. Zwei Herren vom JobCenter haben sich über die Sprechanlage bei meinem Mitbewohner nach mir, der anderen Mieterin und ein, zwei Kleinigkeiten
erkundigt, nachdem mein Mitbewohner ihnen gesagt hat, dass ich nicht da bin. Das wäre ja schon ärgerlich genug. Aber die Herren haben natürlich nicht so schnell locker gelassen und sind einen Tag später noch einmal gekommen. Wieder war ich nicht da. Erst dann haben sie sich zu einer Terminabsprache bemüht und mich unter der von mir beim JobCenter angegebenen Mobiltelefonnummer angerufen. Ich habe dann mitgeteilt, dass ich die nächsten Tage leider nicht zu Hause bin, weil ich gerade eine Wohnung für meinen neuen Job in einer anderen Stadt suche. Soweit so gut. Ich dachte damit wäre es dann abgefrühstückt, schließlich bin ich sowohl durch das baldige Ende meiner Erwerbslosigkeit als auch durch die anstehende Verlegung meines Hauptwohnsitzes in ein paar Wochen raus aus der Statistik des JobCenters Pankow.
Aber diese Woche Mittwoch flatterte dann ein Schreiben des JobCenters in meinen Briefkasten (die Herren waren anscheinend wieder da, jedenfalls war es unfrankiert). Darauf die Bitte mich am folgenden Tag zwischen 8 und 10 Uhr mit Ihnen in Verbindung zu setzen. Wortlaut: Der Besuch ist notwendig, um Anspruchsvoraussetzungen ihres Antrags vom bla.bla.2006 prüfen zu können.
Nun denn. Ich habe zurückgerufen und mir wurde gesagt, dass am nächsten Tag zwei Herren vom Außendienst meine Wohnverhältnisse prüfen möchten. Sie würden zwischen 12 und 15 Uhr kommen. Ich habe dem Termin zugestimmt. Warum? Eigentlich hat mich dieses Verfahren so geärgert, dass ich ausgesprochen wenig Lust hatte, irgendwelche Schnüffler in meinen Schubladen wühlen zu lassen und mir von ihnen, ohne irgendein konkretes Verdachtsmoment, Fragen stellen zu lassen, wie sie einem potentiellen Straftäter gestellt werden. Warum also die Leute auch noch gleichsam freiwillig in die eigenen vier Wände lassen. Natürlich weil ich blank bin. Ohne Moos nix los. Das JobCenter hat mir für diesen Monat noch nichts überwiesen und ich bin dringend auf das Geld angewiesen. Also ordne ich mich der Gewalt unter – und als nichts anderes habe ich das empfunden.
Vor dem Besuch habe ich mich erstmal auf den Seiten der Kampagne Vorsicht!Arbeitslosengeld II informiert. Als ob ich nicht anderes zu tun hätte, als mich mit Hartz IV rumzuschlagen. Aber Wissen hilft – mindestens denjenigen, die privilegiert genug sind, einen Internetanschluss zu haben und diesen auch nutzen zu können.
Die Herren kamen natürlich ca. 10 Minuten vor 12, aber was solls. Beim Eintreten habe ich beide Ausweise geprüft und ihnen jeweils noch mal ihre Namen vorgelesen. Die Herren haben vorm Eintreten noch gesagt, dass ich nicht verpflichtet sei sie hereinzulassen, Paragraph xy und so. Ich habe sie aber trotzdem hereingelassen und sie im Flur darauf hingewiesen, dass ich ihnen gerne mein Zimmer und die Gemeinschaftsräume zeige, ich aber nicht möchte, dass ohne mich zu fragen irgendwelche Schubladen oder Schränke geöffnet werden. Ich hätte wohl viele Geschichten gehört. Ja, habe ich. Um es abzukürzen, die beiden haben sich zivil verhalten, der eine hat das Gespräch geführt und dabei Notizen gemacht, der andere hat nur Notizen gemacht und meine Sachen bespäht. Wir waren in meinem Zimmer, dem mit meinem Mitbewohner geteilten Arbeitszimmer und der Küche (das Bad war während des gesamten Besuch von ca. 12 Minuten durch meinen Mitbewohner in Benutzung). Zu allen Zimmern wurden einige Fragen gestellt, in denen es darum ging, festzustellen ob es hier eine eheähnliche Gemeinschaft gibt. Die gibt es hier aber nicht, in der Wohnung wohnen nur mein Mitbewohner und ich, die Hauptmieterin wohnt seit über zwei Jahren in Oslo. Die Herren schienen mit dem Erscheinungsbild zufrieden, jedenfalls derjenige, der das Gespräch führte und der sich etwas als Good Cop
dargestellt hat – wenn ich das mal richtig einschätze. Falls es noch ein Nachspiel geben sollte, werde ich das natürlich hier wiedergeben. Mich hat diese Prozedur und die Androhung derselben auf jeden Fall für über eine Woche direkt terrorisiert und so wirkt sie auch jetzt noch nach. Wie ein verdächtiger Straftäter behandelt zu werden ist nicht sehr angenehm – ich möchte nicht in der Haut von Leuten stecken, die psychisch weniger robust und im Auftreten gegenüber solchen Herren weniger resolut sind.