Allmählich gewinnt das Vortragsprogramm für den kommenden Herbst an Kontur: am 19. und 20. Oktober werde ich zur Konferenz Materialitäten – Herausforderungen für die Sozial- und Kulturwissenschaften [PDF] einen Vortrag präsentieren. Das ist besonders erfreulich, weil den Organisatoren mehr als 140 Vortragsabstracts geschickt wurden (vermutlich auch weil es Keynotes von so bekannten Leuten wie Bruno Latour, Janet Hoskins und Peter-Paul Verbeek gibt) und sie deswegen sehr stark aussieben mussten. Mein Vortrag wird sich unter dem Titel Materialität in Bewegung mit einer der Kernfragen für mein zweites Buch beschäftigen. Hier das Abstract:
Ausgehend von Detailstudien an so unterschiedlichen Ortstypen wie Bahnhöfen, Stränden, Krankenhäusern und Rastplätzen wird in diesem Vortrag mit Hilfe von Fotografien, Video- und Tonmaterial der phänomenologischen Gewalt des Materiellen nachgegangen. In verschiedenen Alltagspraktiken zeigt sich bei genauer Betrachtung, wie die stoffliche Welt und das menschliche Handeln untrennbar miteinander verwoben sind. Diese Verwobenheit ist Ausgangspunkt für eine grundlegende Reflektion oftmals unhinterfragter soziologischer Kategorien:
Zum einen rückt bei der hier vorgenommenen Auseinandersetzung mit der Materialität der Welt der Zusammenhang von Wahrnehmen und Handeln in den Fokus. Anstatt beides als voneinander getrennte Prozesse zu betrachten – entweder zeitlich als aufeinander folgend oder analytisch als unterschiedlichen Regeln gehorchend – wird hier der Vorschlag gemacht, Wahrnehmen und Handeln als auch im kleinsten Detail ihres Vollzugs miteinandergehend zu denken. In dieser Verknüpfung wird dann auch deutlich, wie Materialität auf subtile, kaum bemerkbare Weise Eingang in soziales (Wahrnehmungs)Handeln findet und so zur Herstellung von sozialer Ordnung genauso wie zu Prozessen sozialen Wandels beiträgt.
Zum anderen führt ein sich Einlassen auf die Herausforderung der Materialität an die Sozialwissenschaften dazu, die geläufige Fassung der Kategorie des Sinns zu hinterfragen. So wird Sinn in der Regel als Bedeutungssinn bzw. mit Weber als gemeinter Sinn gefasst, den es auf mehr oder weniger hermeneutischem Wege zu interpretieren gilt. Mit dieser geisteswissenschaftlich geprägten Bezugnahme aber wird die Materialität als Jenseitiges behandelt, das einer anderen Sphäre angehört. Um dieser Aporie zu entgehen, wird es nötig, die Sprachfixierung der soziologischen Interpretation aufzulösen. Deshalb der Rückgang auf das Material, das diesem Vortrag zu Grunde liegt: Videos, Bilder, Töne. Mit Unterstützung dieser epistemologischen Verbündeten mit ihrer ganz eigenen Evidenz und in Anknüpfung an Überlegungen aus Science and Technology Studies (Latour, Pickering), britischer Humangeografie (Thrift, Ingold) und aus der Phänomenologie (Merleau-Ponty, Waldenfels) soll die Kategorie des Sinns anders angegangen werden: weniger als Bedeutungssinn sondern vielmehr als Richtungs- oder Bewegungssinn. So gedacht kann Materialität – nämlich Materialität in Bewegung – auch sinngebend sein. Störungen, Verfall, Turbulenz und Erosion treten in dieser Perspektivierung aus dem geschlossenen Bereich des Natürlich-Objektiven heraus und zeigen sich auch auf kategorialer Ebene in ihren sozialen Qualitäten.
In dem Zusammenspiel von Wahrnehmungshandeln und Bewegungssinn zeigt dieser Vortrag die doppelte Herausforderung der Materialität auf: Zum einen liegt diese Herausforderung in der Notwendigkeit von Kategorien, die diesseits der Trennung von Subjekt und Objekt operieren. Zum anderen liegt diese Herausforderung in der methodologischen Umorientierung weg von einer von allen Störungen gereinigten Fokussierung auf Sprache und Versprachlichung und hin zu einer komplexeren Orientierung auf das Zusammengehen von Körperlichkeit, Bewegung, Fühlen und Zeigen.