In einem kurzen Essai zur Einleitung von Merleau-Pontys Phänomenologie der Wahrnehmung habe ich zu Anfang meiner Beschäftigung mit der Phänomenologie geschrieben, dass ich befürchte, in das Feuer disziplinärer Schützengräben zu geraten. Das ist nun passiert. Im Sinne des Rechenschaft Ablegens auch und gerade über die dunkleren Seiten des wissenschaftlichen Alltags will ich hier nicht nur von positiven Rezensionen berichten.
Der Beschuss kam aus unerwarteter Richtung: von Seiten phänomenologisch orientierter Sozialwissenschaft und also nicht von Vertretern etablierterer Theorierichtungen. Die Besprechung stammt von Jürgen Hasse und ist in der Geographischen Zeitschrift (95: 105-106) abgedruckt worden. Die Werbung, die mein Verlag aus der Rezension von Jürgen Hasse herauskondensiert hat, hat mich vorgewarnt: Die Frage nach der Rolle der Materialitäten in der sozialen Welt kann nicht wichtig genug genommen werden. Sich diesem Thema gewidmet zu haben, ist Verdienst des Autors.
Mehr Lob als das ist leider nicht zu finden… Aber ich schätze die Arbeiten von Jürgen Hasse eigentlich, weshalb ich mich hier auch noch ein wenig mit dem Inhalt seiner Kritik auseinandersetzen möchte. Dazu ein beispielhafter Absatz:
Phänomenologie kann nicht ohne saubere Begriffsarbeit gelingen! Das zeigt auch der Gebrauch des am Verständnis der Astronomie (!) orientierten Begriffs der »Konstellation«. Als Konstellationen werden nämlich die untersuchten Fähr- und Bahnhofsräume beschrieben. Der Begriff der Konstellation betont Einzelnes einer messbar-relationalen Ordnung im Gefüge anderer Dinge und menschlicher Körper. Der erkenntnistheoretische Effekt des Konstellations-Begriffs ist die denotative Isolierung. Ein solcher Blick passt nicht zur Methode der Phänomenologie, die Zusammenhängendes verstehen will und darin jedem erkenntnistheoretischen Atomismus entgegentritt. Die Dinge und Menschen ganzheitlich zusammenhaltenden Bedeutungsgefüge wären mit dem Begriff der »Situation« sicher wirkungsvoller zu analysieren gewesen.
Jürgen Hasse hat selbstverständlich völlig Recht, wenn er sagt, dass der Begriff der Konstellation – insbesondere in der Art in der ich ihn verwende – nicht zur Methode der Phänomenologie passt. Situation
wäre in der Tat das passendere Konzept. Aber eine der wichtigsten Lehren meines wissenschaftlichen Arbeitens, meiner Auseinandersetzungen mit allerlei Kritischer Theorie, Konstruktivismus, Linguistic Turn und den Post…ismen ist, dass eine theoretische Einseitigkeit nicht nur in vielerlei Hinsicht fragwürdig ist – weil sie immer bestimmte Aspekte ausblendet und weil sie Unstimmigkeiten einfach ignoriert oder als nebensächlich abtut –, sondern weil eine theoretische Einseitigkeit darüber hinaus auch weniger produktiv ist und gerne zu vorhersagbaren Ergebnissen führt.
Selbstverständlich macht es wenig Sinn, Begriffe und Theorien einfach bunt ineinander zu würfeln. Die Einhüllenden Materialitäten waren ein Versuch, die Chancen einer Kombination und Konfrontation unterschiedlicher theoretischer und methodologischer Vorgehensweisen gezielt herauszuarbeiten und unter ständiger Reflexion und Selbstverortung und in Auseinandersetzung mit dem im Feld gesammelten Material zu zeigen, was sich wie kombinieren lässt und wo die Grenzen solcher Kombinationen sind (zu den Grenzen des Konstellationsbegriffs siehe beispielsweise S. 135-136 und die Gegenüberstellung zum Begriff des Gemenges auf S. 259-264).
Ich werde natürlich nicht aufhören, dieses Ziel zu verfolgen und wahrscheinlich werde ich in Zukunft zwei Wege verfolgen: in einigen Publikationen radikal und pointiert Unterschiedliches zusammen zu führen und in anderen Publikationen besonders vorsichtig und abwägend zu argumentieren. Beides hat seine Vorteile und beides wird bei unterschiedlichen Leuten auf Zustimmung und/oder Ablehnung treffen. Es wird natürlich auch weiterhin Leute geben, denen beides nicht passt. (Ich habe den Eindruck gewonnen, dass es hier auch eine Art von generationsbedingt unterschiedlicher Rezeption gibt.) Glücklicherweise bereitet mir sowohl das vorsichtige Argumentieren als auch das Poltern Freude beim Schreiben. Noch glücklicher schätze ich mich allerdings, dass die Rückmeldung, die ich sonst auf mein Buch bekommen habe, so positiv und mich bestärkend war.