Thema / Programm
Die
Idee der Freiheit steht, eingebunden in ein dichtes Netz von Beziehungen
zu Begriffen wie Subjektivität, Rationalität, Moralität
und Existenzialität, seit jeher im Fokus der praktischen
Philosophie. Dabei bezieht der Begriff seine Sprengkraft aus der
Spannung zwischen zwei Rollen: als metaphysische oder anthropologische
Wesensbestimmung des Menschen einerseits und andererseits als
Bezeichnung eines politischen Ideals, das in konkreten menschlichen
Lebensformen mehr oder weniger realisiert oder verfehlt werden
kann. Rousseaus Auftaktfanfare zum Gesellschaftsvertrag, "Der
Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten",
intoniert diese Spannung. In diesem Sinn steht die Idee der Freiheit
nicht nur praktisch, sondern auch begrifflich unter komplexen
Bedingungen, deren genaues Verständnis allein uns begreiflich
machen kann, was wir mit "Freiheit" eigentlich meinen.
Kanonisch ist in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zweier
Traditionslinien: Einerseits der Liberalismus, der Hobbes darin
folgt, Freiheit negativ als Freiheit von hinderndem physischen
Zwang zu verstehen - andererseits die von Rousseau und Kant inaugurierte
Tradition eines positiven Freiheitsverständnisses, welche
kritisch darauf drängt, dass nicht ein Mehr an Optionen,
sondern nur ein Mehr an Autonomie eine Steigerung wirklicher Freiheit,
der Freiheit zu einem als vernünftig und selbstbestimmt verstandenen
Handeln bedeutet. Jüngst haben Theoretiker wie Raz, Skinner
oder Pettit argumentiert, dass Autonomie ohne einen vernünftigen
Spielraum von Handlungsoptionen Freiheit zu verfehlen droht. Mit
Hegel, Heidegger oder Merleau-Ponty kann man wiederum einwenden,
dass die Autonomiekonzeption zu abstrakt bleibt und Freiheit als
situierte Freiheit, als eingebettet in und sich entwickelnd aus
unserem alltäglichen leiblich-praktischen Umgang mit der
Welt verstanden werden muss. Philosophen wie Schiller sowie -
in anderer Weise - Nietzsche und Foucault haben den einseitig
rationalistischen Akzent der Autonomiekonzeption angegriffen und
für ein ästhetisches Modell der Freiheit als Selbstgestaltung
und Selbstverwirklichung plädiert, die sich im Rahmen körperlicher
Praktiken und Techniken des Selbst vollzieht.
Auf der Ebene der Gemeinschaft geht es in den Debatten um den
Begriff der Freiheit in erster Linie um die Frage, wie ein Zusammenleben
von Freien als Freien, wie eine freie Gesellschaft möglich
ist. Während die Tradition des Liberalismus im Anschluss
etwa an Tocqueville und Mill hauptsächlich darüber nachdenkt,
wie die Freiheit des Einzelnen vor den Übergriffen der Gemeinschaft
in Schutz zu nehmen sei, kann es aus der Perspektive der Autonomie-Tradition
von Hegel über Arendt bis Habermas individuelle Freiheit
überhaupt nur in einer Gemeinschaft von Freien geben, die
sich selbst regiert. Allerdings wurde auch dieser Konzeption gegenüber
bald der Einwand der schlechten Abstraktheit erhoben: Marx verweist
auf die trotz formaler Freiheit bestehende reale Unfreiheit unter
Bedingungen der Ausbeutung und der Entfremdung - eine Argumentationslinie,
die von Adorno und Marcuse ins 20. Jahrhundert getragen wurde
und ihr Echo auch in Diskursen über die spezifische Situation
exkludierter Stimmen, etwa jener des (post-)kolonialen Subjekts,
oder die freiheitseinschränkende Wirkung von Geschlechternormen
findet (etwa bei de Beauvoir, Butler und MacKinnon). Die Frage,
wie die Vermittlung der Freiheitsrechte des Einzelnen mit dem
kollektiven Recht auf Selbstbestimmung zu denken ist, strukturiert
bis heute die Debatten sowohl der jüngeren französischen
Sozialphilosophie (Balibar, Castoriadis, aber auch Levinas und
Nancy) als auch der angloamerikanischen Diskussion um Autoren
wie Walzer, Taylor und Fraser.
Das 15. Internationale Philosophie-Kolloquium Evian lädt
Philosophinnen und Philosophen an den Genfer See, über die
skizzierten kontroversen Bestimmungen der Kunst
zu diskutieren. Beiträge sollten aus (post-)strukturalistischer,
phänomenologisch-hermeneutischer und (post-)analytischer
Perspektive Bestimmungen des Begriffs der Freiheit, aber auch
Differenzen und Konvergenzen dieser Bestimmungen diskutieren und
systematisch fruchtbar machen.
Programm
Programm
als PDF-Download
Lundi, 13 juillet 2009
Anna Wehofsits (Berlin): Das Kantische Gewissen als Bedingung von Autonomie
Stephen Farrelly (Little Rock): Whose Desires Are These? Consistency and Coherence of Desires as Art
Claire Pagès (Paris): L’âge de la liberté : Hegel avec Foucault
Louis Carré (Bruxelles): Les institutions de la liberté. Hegel sur les conditions sociales à l’exercice de l’autonomie
Dagmar Comtesse (Frankfurt/M.): Keine Freiheit ohne Kollektiv. Gegen den Kosmopolitismus
Mardi, 14 juillet 2009
James Ingram (Hamilton): Freedom, Equality, and the Universality of Emancipatory Politics
Robin Celikates (Amsterdam): Wer hat Angst vor der Demokratie? Drei Modelle politischer Freiheit
Jules Holroyd (Cambridge): Authority's Challenge to Freedom
Luc Vincenti (Montpellier/Paris): Liberation et dépassement de soi
Catherine Newmark (Berlin): Feministische Ethik der Freiheit von Beauvoir bis Butler
Mercredi, 15 juillet 2009
Guillaume Lejeune (Bruxelles): La reconnaissance comme condition de la liberté. Perspectives sociales et linguistiques
Georg W. Bertram (Berlin): Unsere Normen – Freiheit, Normativität und Selbstbewusstsein
Claudie Hamel (Berlin): L'illusion d'une liberté: critique de l'ego moderne
Après-midi libre
Jeudi, 16 juillet 2009
Olivia Mitscherlich (St. Gallen): Gibt es teleologische Grundlagen menschlicher Freiheit?
Mark Sinclair (Manchester): Technology and Freedom: Thinking through Ellul and Heidegger
Henning Tegtmeyer (Leipzig): Freiheit im Materialismus?
Christophe Perrin (Paris): Liberté sans condition, liberté en condition : la condition de liberté chez Sartre
Jacob Dahl Rendtorff (København): Freedom and Responsibility in Jean-Paul Sartre’s Philosophy
Vendredi, 17 juillet 2009
Raffaela Giovagnoli (Roma): The Linguistic Game of Autonomy
Felix Koch (New York): Normative Bedingungen der Selbstbestimmung
Roberto Farneti (Bolzano): Freedom from Deceit: A Girardian Approach
Anne Le Goff (Paris): Gagner sa liberté : un exercice spirituel
Discussion terminale
Organisation:
Georg W. Bertram (Berlin), Robin Celikates (Amsterdam), David
Lauer (Berlin). In cooperation with: Alessandro Bertinetto (Udine), Karen Feldman (Berkeley), Jo-Jo Koo (Dickinson), Christophe Laudou (Madrid), Claire
Pagès (Paris), Diane Perpich (Clemson), Hans Bernhard Schmid (Wien),
Contact:
evian@philosophie.fu-berlin.de
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