Thema / Programm
Selbstverständigung gehört zum Menschen. Sowohl die
religiösen Schöpfungsgeschichten als auch das Orakel
von Delphi geben ein frühes Zeugnis davon, dass der Mensch
sich als derjenige versteht, der nach sich selbst fragen kann
und muss - dem es aufgetragen ist, sich selbst zu erkennen. Das
wichtigste und würdigste Studienobjekt des Menschen ist daher
er selbst, so Pascal, Montaigne, Rousseau, Herder und zahllose
andere in einer langen Tradition. An deren Ende erklärt Heidegger
die Selbstverständigung zur Bestimmung des Menschlichen,
als desjenigen Seins, dem es "in seinem Sein um sein Sein
selbst geht". Auch die Philosophie ist aus dieser Suche nach
der Bestimmung des Menschen hervorgegangen: Das Wesen des Menschen
sei es, wonach der Philosoph eigentlich forsche, sagt Sokrates
im Theätet, und die europäische Philosophie hat
diese Aufgabenstellung durch die Jahrhunderte weitergereicht:
Wenn sie die Fragen der Erkenntnis, des Handelns oder der Unendlichkeit
behandelt, fragt sie, so Kant, zuletzt immer auch nach dem Menschen.
Die Verständigung über den Menschen hat auch die Philosophie
des 20. Jahrhunderts in vielfältiger Weise bestimmt: Explizit
um den Menschen und seine eigentümlich ex-zentrische, gefährlich
instabile Stellung in der Natur geht es der philosophischen Anthropologie
Plessners und Gehlens, ebenso dem Existenzialismus Sartres, der
die menschliche Existenz im tragischen Zwiespalt zwischen Geworfenheit
und dem Zwang zum Selbstentwurf verortet. Auf je eigene Weise
treiben beide Schulen den uralten Topos des Menschen als des Wesens,
das sich nicht nur selbst erkennen, sondern selbst erschaffen
muss, auf die Spitze. Doch auch in vielen anderen Debatten blicken
wir letzten Endes dem Menschen ins Antlitz: So in der Kulturphilosophie,
die den Menschen mit Cassirer als Schöpfer symbolisch vermittelter
Welten (animal symbolicum) bestimmt, in den phänomenologischen
Untersuchungen Merleau-Pontys, und auch in den schulbildenden
Reflexionen Wittgensteins über das zoon logon echon
als dem Tier, das nur als Teilnehmer sozialer Praktiken zu jener
Sprache kommen kann, auf die es seinen Anspruch auf Einzigartigkeit
gründet. Hinter all den prominenten Fragen nach Existenz,
Kultur, Sprache, Praxis und Leib scheint die vierte, die letzte
Kantische Frage auf.
Andererseits hat das 20. Jahrhundert diese Frage aber auch in
bis dato ungekannter Weise problematisiert. Gegen das aktivistische
Bild der menschlichen Selbstverständigung hat Lévinas
darauf insistiert, dass der Mensch in die Frage nach sich selbst
vom Anderen gerufen wird, dass er sich diese Frage nicht selbst
zu stellen vermag. Derrida ist nicht müde geworden, auf den
impliziten Herrschaftsanspruch in der Frage nach dem Menschen
und der in ihr immer schon vorausgesetzten Hierarchie zwischen
humanitas und animalitas hinzuweisen. Und Foucault
schließlich sezierte den "Menschen" selbst als
historisch jungen Effekt spezifischer diskursiver Formationen
und fragte: "Müsste man nicht eher darauf verzichten,
den Menschen zu denken?" Immer hat die Philosophie auch den
Traum geträumt, den alten Adam endlich loszuwerden, zugunsten
des ganzen, des neuen, des Übermenschen. Heute kehren diese
Sehnsüchte wieder in biologistischen und technophilen Diskursen,
welche die Selbstabschaffung als wahre Selbsterschaffung des Menschen,
den Post- oder Antihumanismus als Vollendung des Humanismus deuten.
Und doch scheint es, als würden wir den Menschen nicht so
einfach los. Wie oft auch die Flut den Strand überspült
- wenn sich die Wasser zurückziehen, lächelt immer noch
das altvertraute Gesicht im Sand. Zeit also, die Kantische Frage
erneut zu stellen: Was ist der Mensch? Diese Frage ist Teil auch
der Selbstverständigung der Philosophie. Auch als solche
soll sie die Tradition der Internationalen Französisch-Deutschen
Philosophie-Kolloquien fortführen. Wir laden dazu ein, den
Menschen aus allen philosophischen Perspektiven zu bedenken und
Gründe zur Diskussion zu stellen, warum die Frage nach dem
Menschen philosophisch im Spiel sein sollte oder warum nicht.
Programm
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Lundi, 14 juillet 2003
Der
Status philosophischer Anthropologie heute
Christophe Laudou (Madrid): Anthropologie versus Ontologie
Jo-Jo Koo (Montreal): The Possibility of Philosophical
Anthropology
Christian Lavagno (Osnabrück/Bremen): Der Mensch am
Abgrund
Le visage dans le sable: Der Mensch nach Foucault
Arnaud Pelletier (Calais/Paris): Peut-il y avoir une
grammaire de l'homme?
Jérôme Lèbre (Paris): Comment l'homme
se caractérise. Les devenirs de l'anthropologie kantienne,
entre Hegel et Foucault
Mardi, 15 juillet 2003
Elemente für einen Begriff des Menschen I: Relationalität
und Aspektsehen
Werner Kogge (Berlin): Als Mensch sehen: Aspektwechsel
und die Frage nach dem Menschen
Lyubov Bugaeva (Petersburg/Salzburg) / John Ryder
(New York): Homo Relationales
Elemente für einen Begriff des Menschen II:
Benda Hofmeyr (Pretoria/Nijmegen): Self-created or
Other-invoked? Foucault and Lévinas on What We Are
David Rose (Manchester): Vico, Heidegger and the Ontological
Difference between the Human as Subject and the Human as Social
Existence
Mercredi, 16 juillet 2003
Elemente für einen Begriff des Menschen III: Leib und
Seele
Alain Beaulieu (Montréal): La redéfinition
de l'homme par l'étude du corps vivant à partir
de Nietzsche et Husserl
Olga Spharaga (Minsk): Leiblichkeit. Zwischen authentischem
und sozialem Menschen
Georg W. Bertram (Hildesheim): Anthropologie der zweiten
Natur
Après-midi libre
Jeudi, 17 juillet 2003
Elemente für einen Begriff des Menschen IV: Handeln, Freiheit
und Schuld
Katrin Meyer (St. Gallen): "Gemischtes Handeln":
Aristoteles, Arendt, Foucault
Elizabeth Butterfield (Atlanta): Sartre's Project of Reconceptualizing
Human Being in his Later Marxist-Existentialist Works
Dirk Westerkamp (Braunschweig/Berlin): Der Mensch ist seine
eigene Schuld (Schelling)
Elemente für einen Begriff des Menschen V: Scham und Langeweile
Birgit Griesecke (Berlin): Das Wesen, das verstummt:
Scham, Schmerz, Sprachlosigkeit
Julia Ponzio (Bari): The Boredom of Present as Fundamental
Characteristic of Human Being
Vendredi, 18 juillet 2003
Ausblicke: Die Zukunft des Menschen
Raphael Ntambue (Passac): L'anthropologie philosophique
dans les sillages de la révolution numérique
Luiza Palanciuc (Bucuresti/Paris): Habeas corpus. De l'homme
intermittent et autres absences
Stefan Deines (Gießen): Zwischen Humanismus und Antihumanismus.
Zu einer kritischen Theorie nach Adorno, Foucault und Butler
Abschlussdiskussion
Organisation:
Georg W. Bertram (Berlin), Robin Celikates (Amsterdam), David
Lauer (Berlin). In cooperation with: Alessandro Bertinetto (Udine), Karen Feldman (Berkeley), Jo-Jo Koo (Dickinson), Christophe Laudou (Madrid), Claire
Pagès (Paris), Diane Perpich (Clemson), Hans Bernhard Schmid (Wien),
Contact:
evian@philosophie.fu-berlin.de
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