Thema / Programm
Wir
machen Erfahrungen und wir haben Erfahrung. Wir erfahren die Welt
in ihren Farben und Formen, Geräuschen und Gerüchen,
und sind (mehr oder weniger) erfahren im Umgang mit den Wechselfällen
des Lebens. Erfahrung ist unersetzlich und jeder Mensch muss seine
Erfahrungen selbst machen. Erfahren und Erfahrenwerden sind Teil
dessen, was es heißt, Mensch zu sein und sich zum Menschen
bzw. als solcher zu entwickeln. Aus diesem Grund hat die Philosophie
über Natur und Rolle der Erfahrung in jeder denkbaren Hinsicht
nachgedacht - in der Ästhetik (von Dewey über Adorno
bis Derrida), der Religion (von Schleiermacher über James
bis Taylor), der Moral (von Aristoteles über Lévinas
bis Butler), der Erkenntnis (von Locke über Kant bis McDowell)
und der Politik (von Burke über Arendt bis Agamben).
Doch der Begriff der Erfahrung ist nicht nur einer der gewichtigen,
er ist auch einer der schillernden Begriffe der Philosophie. Schon
bei Aristoteles findet sich der Doppelaspekt, auf den der Titel
des Kolloquiums anspielt: "Empeiria" bedeutet beides
- die Erfahrenheit, die wir durch Praxis erlangen und die in der
Beherrschung praktischer Fertigkeiten besteht, sowie die in der
Weltbegegnung gemachten und gesammelten Erfahrungen, die Aristoteles
als Kenntnisse des Besonderen bestimmt. Erfahrung kann aber auch
(wie etwa bei Hegel) den dialektischen Prozess bezeichnen, in
dem sich unsere Kenntnisse sowie die Fertigkeiten und Maßstäbe
des Erkennens wechselseitig modifizieren.
In welchen begrifflichen Zusammenhängen ist Erfahrung zu
explizieren? Ist Erfahrung ausschließlich eine Sache der
Sinnlichkeit, wie Locke, Russell und Evans meinen? Oder ist sie
wesentlich begrifflich strukturiert, wie Kant, Sellars und McDowell
argumentieren? Ist sie das Fundament aller Theorie (Carnap), deren
Korrektiv (Popper) oder vielmehr deren Konstrukt (Feyerabend)?
Muss man Erfahrung als immer schon mediatisiert und technisiert
und insofern als historisch kontingent begreifen, wie Lyotard
und Latour? Droht unter den Bedingungen der Moderne ein Verlust,
eine Verkümmerung der Erfahrung (Benjamin) oder gar ihre
Transformation (Baudrillard)? Ist Erfahrung per se mit Selbsterfahrung
verbunden und kann man Erfahrung außerhalb eines Kontextes
sozialer Verständigungspraktiken verstehen? Wie bedingen
sich die Sprache der Kunst der Sprache - in dem Sinne, in dem sie Gegenstand
der Überlegungen von Wittgenstein und Gadamer sind? Was ist
Substrat der Erfahrung - Descartes' res cogitans, Merleau-Pontys
Leib oder Bourdieus Habitus? Und wie können wir das Streben
nach einer subjekttranszendierenden Erfahrung begreifen, wie sie
Nietzsche, Foucault und Bataille vorschwebte? In welcher Form
gibt es über individuelle Erfahrungen hinaus auch Erfahrungen,
die von Kollektiven gemacht werden oder über die Kollektive
verfügen?
Das 13. Internationale Philosophie-Kolloquium Evian lädt
Beiträge ein, die sich dem Begriff der Erfahrung unter systematischen
Aspekten widmen. Es will die Fragen diskutieren, ob Erfahrung
als vermittelt oder unmittelbar, als begrifflich oder sinnlich,
als sprachlich oder vorsprachlich, als subjektiv oder intersubjektiv,
als fundierend oder subversiv, als passiv oder aktiv, als praktisch
oder theoretisch etc. zu begreifen ist. Im Sinne der grundsätzlichen
Zielsetzung des Kolloquiums sollen (post-)strukturalistische,
phänomenologisch-hermeneutische und analytische Antworten
auf diese Fragen in ihren Differenzen und Konvergenzen diskutiert
und systematisch fruchtbar gemacht werden.
Programm
Programm
als PDF-Download
Lundi,
16 juillet 2007
Markus
Wild (Berlin): Gibt es ein Merkmal subjektiver Erfahrung?
Valérie Aucouturier (Paris): Expérience privée,
expérience subjective : de l'expérience du sujet
à la connaissance pratique
Jason Leddington (Danville, KY): Perception without Representation
Andrew Inkpin (London): Is Linguistic Experience Conceptual?
David Lauer (Berlin): Sprache erfahren, Sprache verstehen
Mardi, 17 juillet 2007
Friederike Rese (Freiburg): Givenness. On the Relation
of Subject, Object, and Experience in Sellars and Hegele
Santiago Echeverri (Paris): Le conceptualisme est-il une
version du " Mythe du Donné " ?
Katrin Nolte (Berlin): Sinnliche Erfahrung als Weltbezug
und die Artikulation der sinnlich erfahrbaren Welt
Georg W. Bertram (Hildesheim): Sich fragen, was das ist
- Über den Zusammenhang von Erfahrung und Selbstbewusstsein
Discussion intermediaire
Mercredi, 18 juillet 2007
Olivia Custer (Paris): Expérience étrangères
? L'expérimentation kantienne face au problème
Christine Blättler (Berlin): Nicht abgedichtet gegen
Erfahrung. Das Experiment jenseits von "trial and error"
Adi Efal (Tel-Aviv): L'expérience comme expérimentation
: Méthode et habitude chez Descartes, Biran, Ravaisson
et Bergson
Après-midi libre
Jeudi, 19 juillet 2007
Felix Koch (New York): Erfahrung, Konversion, "éducation
des choses": Rousseaus Emile
Ottavia Nicolini (Frankfurt): The Role of Experience in
Arendt's Thought
Giovanna Gioli (Parma): Deleuze and the Pedagogy of Experience
Joshua Andresen (Beirut): How Many Others am I? Experiencing
Temporality and the Subject in Politics of Friendship
Christophe Laudou (Madrid): Le Moi comme image et le Moi
comme langage - Une genèse empirique du Moi transcendental
Vendredi, 20 juillet 2007
Chiara Bottici (Florenz): Myth, Politics, and Experiencey
Bettina Nüsse (Potsdam): Transzendenz der Immanenz
- Nietzsches Metaphysikkritik als Bergung vormetaphyischer Erfahrung
Diane Perpich (Clemson): Political Experience: Ni Putes
Ni Soumises and French Feminism
Discussion terminale
Organisation:
Georg W. Bertram (Berlin), Robin Celikates (Amsterdam), David
Lauer (Berlin). In cooperation with: Alessandro Bertinetto (Udine), Karen Feldman (Berkeley), Jo-Jo Koo (Dickinson), Christophe Laudou (Madrid), Claire
Pagès (Paris), Diane Perpich (Clemson), Hans Bernhard Schmid (Wien),
Contact:
evian@philosophie.fu-berlin.de
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