International Philosophy Colloquia Evian
20th Colloquium 2014 - Evian, 13-19 juillet 2014

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Kolloquium 2006: Die Struktur der Reflexivität - Selbstbewusstsein und Kritik

20th Colloquium 2014


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Thema / Programm

Aus dem Panorama der Schlüsselbegriffe, die in der Geschichte der Philosophie zur Explikation der Natur des Geistes herangezogen worden sind, ragt der Begriff der Reflexivität in besonderem Maße hervor. Die Konstitution des Geistigen hängt demnach damit zusammen, dass ein Wesen sich selbst in reflexiver Weise gegeben ist und damit in eine konstitutive strukturelle Distanz zur Welt und zu sich selbst tritt. In diesem Sinne konnte Hegel die Reflexion als "die trennende Thätigkeit überhaupt" bezeichnen. Reflexivität markiert als solche das Ende natürlicher Unmittelbarkeit - Rousseau setzt dem Naturzustand den "état de reflexion" entgegen. Von Reflexivität als dem zentralen Moment des Geistes sind allerdings - mindestens - zwei Verständnisse entwickelt worden, die man mit den Stichworten "Selbstbewusstsein" und "Kritik" charakterisieren kann.

Wenn man Reflexivität als konstitutiv für Selbstbewusstsein versteht, dann will man explizieren, was es heißt, überhaupt Gedanken und Absichten zu haben bzw. ein selbstbestimmtes Wesen zu sein. Lockes einflussreicher Bestimmung zufolge verfügt ein Wesen genau dann über geistige Zustände, wenn es nicht nur etwas wahrnimmt ("sensation"), sondern gleichzeitig durch den "inneren Sinn" wahrnimmt, dass es wahrnimmt ("reflection"). Dieses substantialistische Verständnis hat zunächst bei Hume, dann bei Kant wirkmächtige Kritiken erfahren. Kant zufolge besteht Selbstbewusstsein nicht in besonderen Vorstellungen, sondern in einer bestimmten Struktur, der "transzendentalen Apperzeption", der alle Vorstellungen unterliegen. Kants zeitgenössische Kritiker machen demgegenüber die soziale Dimension von Reflexivität qua Selbstbewusstsein (Hegel) bzw. ihre Gebundenheit an symbolische Medien (Herder, Humboldt) geltend. Im 20. Jahrhundert ist sowohl das Selbstbeobachtungsmodell als auch das transzendentale Modell des Selbstbewusstseins in phänomenologischen (Merleau-Ponty), hermeneutischen (Heidegger, Gadamer, Taylor), neoidealistischen (Nagel, Henrich), aber auch pragmatistischen (Ryle, Habermas) und sprachanalytischen (Sellars, Davidson, Tugendhat, Frankfurt) Philosophien in unterschiedlicher Weise in Frage gestellt worden. Damit wird zum Teil auch der Begriff des Selbstbewusstseins selbst als Instanz von Reflexivität problematisiert (Derrida, Deleuze/Guattari, Foucault, Lyotard).

Das zweite Verständnis von Reflexivität, das vor allem in der Philosophie der Moderne profiliert worden ist, bindet diese an den Begriff der Kritik. Wer Reflexivität mit diesem Begriff fasst, will verständlich machen, was es heißt, dass Gedanken als solche stets in der Alternative von "richtig" und "falsch" evaluiert werden können. Es geht dabei, in Kants Worten, um Mündigkeit. Solche Mündigkeit kann nicht anders erreicht werden als durch Kritik, die Kant als Selbstkritik der Vernunft, als "transzendentale Reflexion", begreift. Wie schon Kants Begriff des Selbstbewusstseins ist aber auch dieser Begriff der Kritik von seinen Nachfolgern als abstrakt kritisiert worden. Marx und die Kritische Theorie des 20. Jahrhunderts haben geltend gemacht, dass Kritik von ihrer historischen und materiellen Umgebung nicht abstrahieren kann. Der Gedanke der "reinen" transzendentalen Reflexion ist demnach Ausdruck eines sich selbst missverstehenden falschen Bewusstseins. Autoren wie Nietzsche oder Freud und nach diesen Foucault und die feministische Kritik haben auf ihre Weise das selbstlegitimierende Potential der kritischen Reflexion in Zweifel gezogen. In der Nachfolge von Marx wurde zugleich die Frage nach dem Verhältnis von basaler und kritischer Reflexivität aufgeworfen: Schon die basale Reflexivität des Geistes könne ohne Einbeziehung ihres kritischen Potentials nicht begriffen werden; erst auf dieser Ebene komme Reflexivität in einem ernsthaften Sinne überhaupt zustande.

In welchem Verhältnis aber stehen "Selbstbewusstsein" und "Kritik" als Verständnisse von Reflexivität? Handelt es sich hier um eine (vollständige) Alternative? Das 12. Internationale Philosophie-Kolloquium Evian wird sich der systematischen Explikation des Begriffs der Reflexivität widmen: Wie ist die Struktur der Reflexivität, als Selbstbewusstsein und/oder als Kritik, genau zu verstehen und wie verhalten sich diese Dimensionen zueinander? Welchen Bedingungen unterliegt Reflexivität und wie kommt sie jeweils zustande? Ausdrücklich laden wir systematische Beiträge aller Traditionen und Schulen der Bestimmung und der Kritik von Reflexivität ein. Im Sinne der grundsätzlichen Zielsetzung des Kolloquiums sollen (post-)strukturalistische, hermeneutische und analytische Positionen in ihren Differenzen und Konvergenzen diskutiert und systematisch fruchtbar gemacht werden.



Programm

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Lundi, 17 juillet 2006

Reflexivität des Selbst
Henning Tegtmeyer (Leipzig): Denken als Selbstbewusstsein
Marta Nunes da Costa (New York): From Kant's Freedom to Foucaults Self-consciousness - Redefining the Power of Critique
Valérie Aucouturier (Paris): Réfléxivité, conscience de soi et connaissance de soi

Reflexivität des Denkens
Kathrin Hönig (Zürich/Basel): Autoritativer Selbstbezug und Kritik bei Davidson
Tim Henning (Münster): Wissen, was man denkt


Mardi, 18 juillet 2006

Reflexivität des Diskurses und der Zeichen
Georg W. Bertram (Hildesheim): Kritik und Reflexivität nach Nietzsche
William Franke (Nashville): Habermas's Critical Reflexive Philosophy versus Premodern Poetic and Theological Reflexivity
Karin de Boer (Amsterdam): Derrida's Critique of Reason

Reflexivität des Wissens
Vincent Citot (Paris): La réflexion, le préréflexif et la question du scepticisme
Heidi Salaverria (Hamburg): Partikulare Reflexivität: Pragmatismus zwischen kritischem Common Sence, Zweifel und Gewohnheit


Mercredi, 19 juillet 2006

Reflexivität der Wahrnehmung und des Leibes
Martina Roesner (Mainz): Le miroir interpellé. Sur l'origine motivationnelle de la réflexion dans les approches monadologiques der Leibniz et Husserl
Nicolas Monseu (Louvain/Wuppertal): Entre phénoménologie et herméneutique : conscience de soi et critique de la perception immanente
Annette Hilt (Freiburg): Leibliche Reflexivität - Strukturen sinnlicher Selbsterfahrung

Après-midi libre


Jeudi, 20 juillet 2006

Reflexivität des Sozialen
David Schweikard (Köln): Selbstbewusstsein, soziales Bewusstsein und Natur
Beatrice Kobow (Berkeley/Leipzig): Eye through the Other - Ways of Defining Self-Consciousness through Collective Intentionality
Hans Bernhard Schmid (Wien): "Soziales Selbstbewußtsein" - Reflexion und Kritik

Reflexivität der Zeit
Soraya Nour (Nanterre/Berlin): Réflexion historique sur soi-même et sur la société : l'héritage freudien
Felix Koch (New York): Kritische Historie: reflektierende Selbsterkenntnis oder experimentelles Ethos?


Vendredi, 21 juillet 2006

Reflexivität der Kritik
Ejvind Hansen (Aarhus): Critique as Reflection? Exclusion and the Need for Receptivity
Robin Celikates (Gießen): Kritik, Metakritik und Kritische Theorie ­ Vorschläge zum Abbau des Reflexivitätsdefizits
Claudie Gagné (Québec): Expérience esthétique et autoréflexivité de l'énonciation littéraire

Reflexivität des Subjekts
Roberto Farneti (Bologna): Authenticity and Compliance


Abschlussdiskussion

 

Organisation: Georg W. Bertram (Berlin), Robin Celikates (Amsterdam), David Lauer (Berlin). In cooperation with: Alessandro Bertinetto (Udine), Karen Feldman (Berkeley), Jo-Jo Koo (Dickinson), Christophe Laudou (Madrid), Claire Pagès (Paris), Diane Perpich (Clemson), Hans Bernhard Schmid (Wien), Contact: evian@philosophie.fu-berlin.de