International Philosophy Colloquia Evian
20th Colloquium 2014 - Evian, 13-19 juillet 2014

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Kolloquium 2000: Wie Materialität denken? - Körper, Sprache, Ereignis

20th Colloquium 2014


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Thema / Programm

Das Konzept der Materialität versucht, das Materielle zu denken, d.h. etwas zu denken, was dem Denken einen bestimmten Widerstand entgegenzubringen bzw. sich begrifflicher Bestimmung und intellektueller Erkenntnis zu entziehen scheint. In der Erfahrung dieses  Widerstands oder Entzugs entsteht die Frage, wie die zu überbrückende Kluft zwischen Denken und Materiellem beschaffen ist. Was für einen Übergang stellt der Begriff der Materialität dar? Was gibt er uns zu denken und wie gibt er uns etwas zu denken? Diese Fragen gehören zum Grundbestand der abendländischen Philosophie und umreißen einen Bereich, der durch sehr unterschiedliche Antwortstrategien gepraegt wurde.

Die Themenformulierung zielt darauf ab, Antwortversuche, die sich unterschiedlichen philosophischen Traditionen verdanken, systematisch in Beziehung zu setzen. Sie will Kolloquienbeiträge provozieren, die sich der aufgeworfenen Frage unter Bezug auf die durch Stichworte angedeuteten Antworttypen stellen, um schließlich die verschiedenen Denkanstrengungen bis hin zu ihren Grundlagen zur Diskussion zu bringen. 'Körper', 'Sprache' und 'Ereignis' werden in verschiedenartigen Weisen mit dem Begriff der Materialität in Verbindung gebracht, welche im Folgenden kurz - und alles andere als erschöpfend - umrissen werden.

KÖRPER - Ein philosophisch bedeutsamer Bezug besteht zwischen dem Begriff der Materialität und dem des lebendigen Körpers : vom biblischen 'das Wort wird Fleisch', über das Leib-Seele-Problem, von bestimmten phänomenologischen Ansätzen (z.B. Merleau-Ponty) bis hin zu Fragen des Zusammenhangs von Geschlecht und Körper. Die Frage nach der Intelligibilität des Materiellen wäre in dieser Hinsicht also z.B. in Zusammenhang mit oder gar ausgehend von der Frage zu beantworten, wie wir uns als körperliche Wesen verstehen. Ebenso zu betrachten wäre eine lange Tradition in der Philosophie der (Natur-)Wissenschaft, die den Begriff der Materie mit dem elementarer Körperteilchen bzw. mit der bewußtseinsunabhaengigen Wirklichkeit in Verbindung bringt.

SPRACHE - Ebenso grundlegend steht mit Blick auf die Materialität die Rolle der Sprache zur Debatte. Stellt sich die Frage nach dem Bezug zum Materiellen als ein Vermittlungsproblem? D.h.: Ist Sprache sowohl ein Hindernis als eine notwendige Vermittlungsinstanz zwischen Denken und materieller Welt? Oder bedarf es hier eines anderen Denkens der Sprache, das kein Vermittlungsproblem aufkommen läßt. Dann ließe sich nur ausgehend von der Sprache verstehen, was Materialität ist. Wird Materialität durch und in Sprache hervorgebracht? Worin besteht z.B. die Materialität der Sprache selbst - in der Schrift, dem Signifikanten, in anderem? Hier sind offensichtlich die vielfältigen Möglichkeiten aufgerufen, den Zusammenhang von Sprache, Begriff und Materialität zu bestimmen, im Spannungsfeld zwischen analytischer, hermeneutisch-phänomenologischer und poststrukturalistischer Philosophie.

EREIGNIS - Der Begriff des Ereignisses kann in verschiedener Weise mit dem der Materialität in Verbindung gebracht werden. Einerseits laesst sich das Geschehen der Materialisierung als eine solche Verbindung denken. So wird zum Beispiel in der Aristotelischen und mittelalterlichen Tradition Materie genau als dasjenige vorgestellt, das die Form individuiert. Hier kann der Materialität also ein ereignishafter Charakter zugeschrieben werden. In davon verschiedener Weise ist die Beziehung von Materialität und Ereignis in anderen philosophischen Strömungen gedacht, z.B. dem historischen Materialismus, im bergsonianischen Denken oder hinsichtlich der Performativität des Geschlechts. Andererseits zielt der Begriff des Ereignisses auf die Bestimmung von Gegebenheitsweisen überhaupt. Dabei kann man auf eine mit Heidegger prominent gewordene Denkfigur verweisen, die von der zeitgenössischen französischen Philosophie aufgenommen worden ist. Die Figur besteht darin, die Weise, in der etwas gegeben ist, mit einer Struktur zwischen Ereignis und Entzug zu beschreiben

Der Titel des Kolloquiums stellt die Frage nach dem Bezug zur Materialitaet als eine Herausforderung an das Denken. Die Trias der als Antwort ins Spiel gebrachten Begriffe benennt mögliche Ansatzpunkte und Thematisierungsweisen. Beiträge können sowohl enger an einzelne Konzepte anknüpfen als auch deren Konstellationen als solche betrachten. Um eine zusammenhängende Diskussion zu ermöglichen, sollten sie sich dabei in dem skizzierten Problemzusammenhang positionieren lassen.


Programm

LUNDI / MONTAG, 10.7.2000
matin / Vormittag
9:15 Jim Murdoch (New York): Material, Materialität und Dialektik im neunzehnten Jahrhundert / Matériel, matérialité et dialectique dans le 19ème siècle
11:00 Christian Grueny (Essen): Erfahrungen von Materie bei Adorno / Experiences de matière chez Adorn

APRÈS-MIDI / NACHMITTAG
Workshops:
16:00 Stefan Blank / Oliver Schultz (Berlin): Gebrauchtes Material zwischen Körpern und Zeichen / Le matériau utilisé entre les corps et les signes
16:00 Denis Perrin (Grenoble): L' événement du langage / Das Ereignis der Sprache

MARDI / DIENSTAG, 11.7.2000
MATIN / VORMITTAG
9:15 Charles Feitosa (Brasilien): Von der ›Sehensaristokratie‹ zur ›Anarchie der Sinne‹ / De ›l'aristrocratie de la vue‹ à ›l'anarchie des sens‹
11:00 David Fopp (Paris/Berlin): Merleau-Ponty's Materie: Physiognomie, Realität, Objektivität / Matière chez Merleau-Ponty: physiognomie, réalité, objectivité

APRES-MIDI / NACHMITTAG: libre / frei

MERCREDI / MITTWOCH, 12.7.2000
MATIN / VORMITTAG
9:15 Pascal Delhom (Bochum/Hamburg): (Un)geordnete Materie / La matière en (des)ordre
11:00 Nicolas Soleymieux (Auxerre): Essai de somadicée (Le corps-sujet ›Episode I‹) / Versuch über die Somadizee (Das Körpersubjekt ›Episode I‹

APRES-MIDI / NACHMITTAG
Workshops:
16:00 Ellen Cox (Paris/Chicago)/Karen Feldman (Magdeburg): Matérialité, metalepse et la déconstruction / Materialität, Metalepse und die Dekonstruktion
16:00 Agata Zielinski (Lyon): Sur "Le visible et l'invisible" / über "Das Sichtbare und das Unsichtbare"

JEUDI / DONNERSTAG, 13.7.2000
MATIN / VORMITTAG
9:15 Dominique Weber (Paris): S'unir pour ne pas se répandre. Une lecture de la 6ème Meditation de Descartes / Sich vereinigen, um sich nicht zu zerstreuen. Eine Lektüre der 6. Meditation von Descartes
11:00 Makoto Katsumori (Japan): Bohrs Komplementaritaetsgedanke und die hermeneutische Philosophie / L'idée de complémentarité de Bohr et la philosophie herméneutique

APRÈS-MIDI / NACHMITTAG: libre / frei

VENDREDI / FREITAG, 14.7.2000
MATIN / VORMITTAG
9:15 Marc Rölli (Marburg): Das Intensive denken. Überlegungen mit Bezug auf Deleuze / Penser l'intensif. Réfléxions en relation avec Deleuze
11:00 Anita Kernwein (Stuttgart): Grenzverschiebungen zwischen Leben und Tod. Jean-Luc Nancys "Der Eindringling" / Déplacement des frantières entre vie et mort. "L'Intrus" de Jean-Luc Nancy

APRES-MIDI / NACHMITTAG
16:00 discussion terminale / Abschlussdiskussion

 

Organisation: Georg W. Bertram (Berlin), Robin Celikates (Amsterdam), David Lauer (Berlin). In cooperation with: Alessandro Bertinetto (Udine), Karen Feldman (Berkeley), Jo-Jo Koo (Dickinson), Christophe Laudou (Madrid), Claire Pagès (Paris), Diane Perpich (Clemson), Hans Bernhard Schmid (Wien), Contact: evian@philosophie.fu-berlin.de