International Philosophy Colloquia Evian
20th Colloquium 2014 - Evian, 13-19 juillet 2014

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Kolloquium 2005: Die Frage der Normativität

20th Colloquium 2014


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Menschen sind, so hat es den Anschein, normative Wesen. Sie finden sich an Normen und Regeln orientiert, in deren Licht sie ihr Tun kritisieren und rechtfertigen. Die Ausdrücke norma und regula bezeichnen seit der Antike das, was die Unterscheidung zwischen richtig und falsch erlaubt. Und die Philosophie der Moderne ist Kant vielfach in der Auffassung gefolgt, dass menschliches Handeln, Erkennen und Denken - und nur dieses - sich wesentlich im Spielraum von richtig und falsch vollzieht. Dementsprechend hat man in vielen Bereichen und Traditionen der Philosophie gehofft, mit dem Begriff der Normativität den Unterschied zwischen Natur und Kultur, zwischen einem Reich der Kausalität und einem Reich der Freiheit, zwischen dem Physischen und dem Geistigen explizieren zu können.

Was aber heißt es, Subjekt von Normen zu sein? Woher speist sich die Kraft der Normen, uns zu binden? Wie lässt sich das Verhältnis von Norm und Natur denken? Oder schlicht: Was ist Normativität? Das 11. Internationale Französisch-Deutsche Philosophie-Kolloquium ist dieser Frage gewidmet. Es zielt damit auf einen grundlegenden Begriff der Normativität, der möglicherweise vor jeder Einteilung der Philosophie in theoretische und praktische angesiedelt werden kann. Zwar werden Normen zumeist als praktische - moralische, rechtliche oder politische - Normen gedacht, doch stehen sie auch im Zentrum von Explikationen dessen, was es heißt, etwas zu wissen, zu verstehen oder sprachlich zu artikulieren.

Das Kolloquium erhofft sich systematische Beiträge aus möglichst vielen philosophischen Diskussionszusammenhängen. Naheliegend sind Varianten eines normativen Pragmatismus (z.B. Brandom), der Normen als in verstehenden, sprachlichen und nichtsprachlichen Praktiken konstituiert begreift und sich auf Dewey, Heidegger oder Wittgenstein berufen kann. Zu denken ist auch an neoaristotelische Ansätze, die das Kantische Moment der begrifflichen Trennung von Norm und Natur insgesamt abzuschütteln und einen Begriff der natürlichen Norm und der normativ gehaltvollen (zweiten) Natur wiederzugewinnen versuchen. Auch existenzphilosophische Positionen, etwa im Gefolge Kierkegaards und Sartres, die auf die Begriffe der Eigentlichkeit und der Wahl zurückgreifen, liegen im Zentrum der Fragestellung des Kolloquiums. Und nicht zuletzt ist die Reflexion von Normen und Regeln in der hermeneutischen und phänomenologischen Tradition von großer Relevanz: Hier wird die Unverfügbarkeit und Unausschöpflichkeit des Normativen betont, Begriffe wie Angemessenheit und Tradition (Gadamer), Verantwortung (Lévinas) und Gerechtigkeit (Derrida) stehen im Vordergrund.

Das Kolloquium will jedoch auch die Auseinandersetzung mit einflussreichen antinormativistischen Positionen führen, die von Hume'schen Vernunftkonzeptionen bis zu gegenwärtigen Formen des Naturalismus in der Philosophie des Geistes und der Semantik reichen. Auch manche strukturalistische Philosophien und die von Foucault und Bourdieu begründeten Traditionen haben sich implizit oder explizit gegen ein normativistisches Verständnis von Sprache und Gesellschaft ausgesprochen. Ausdrücklich werden Beiträge eingeladen, die skeptische Positionen gegenüber der Idee einer normativistischen Auszeichnung von Geist und Sprache vertreten.

Die Frage nach Normen und Normativität ist zweifelsohne nicht in allen philosophischen Traditionen gleichermaßen vertraut. Gerade in den phänomenologischen und neostrukturalistischen Debatten im französischen Sprachraum sind Fragen der Normativität kaum als solche auf der philosophischen Agenda gewesen. Aus diesem Grund ist der französische Titel des Kolloquiums anders formuliert als der deutsche und englische. Im Sinne eines französisch-deutschen Dialogs in der Philosophie, den das Kolloquium führen will, soll es auch darum gehen, gerade die Differenzen unterschiedlicher philosophischer Traditionen mit Blick auf die Frage der Normen und der Normativität zur Sprache zu bringen und systematisch fruchtbar zu machen.



Programm

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Lundi, 18 juillet 2005

Die soziale Begründung des Normativen
Hans Bernhard Schmid (St. Gallen): Die Fundierung sozialer Normativität im Gemeinschaftshandeln
Benjamin Trémoulet (Paris/Stony Brook): Normalité et normativité : le sens commun selon Kant
Barbara Fultner (Granville): Linguistic Practice and Social Norms

Diane Perpich (Clemson): New Kantians: Korsgaard, Habermas and Lévinas on Language and Normativity
David Lauer (Berlin): Die Bedeutung der Liebe. Semantische Normativität, soziale Praxis und existenzielle Festlegung


Mardi, 19juillet 2005

Normativität, Erkenntnis und Ästhetik
Raffaela Giovagnoli (Salerno): Normativity and the Space of Reasons
Chris Doude van Troostwijk (Amsterdam): Point de vue. Sur la souplesse de la raison pratique kantienne
Georg W. Bertram (Hildesheim): Normativität und Kreativität

Richard Eldridge (Swarthmore): What's Left of Epistemology?

Zwischendiskussion


Mercredi, 20 juillet 2005

Normativität der Kritik - Kritik der Normativität
Arnaud Pelletier (Paris/Hannover): Michel Foucault et les normes de la pensée
Katrin Meyer (St. Gallen): Normierung und Normalisierung bei Michel Foucault
Patricia Purtschert (Basel): Normierung und Regulierung bei Judith Butler

Après-midi libre


Jeudi, 21 juillet 2005

Normativität, Politik, Recht und Ethik
Tanja Pritzlaff (Bremen): Sprachliche und gesellschaftliche Normen: Politische Theorie in brandomscher Per-spektive
James Ingram (New York): Norms, Conflict, Progress
Christophe Laudou (Madrid): Le discours de la victime - une parole qui transcende les normes

Sarah Clarke Miller (Memphis): How to Construct the Scope of Moral Status
Christine Clavien (Neuchâtel): Thinking Morality and Normativity from an Evolutionary Perspective: an Analy-sis Illustrated with Gibbard's Moral Theory


Vendredi, 22 juillet 2005

Normativität, Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit
Roberto Farneti (Bologna/Los Angeles): Thucydides's Error. The Case for a Natural History of Humans
Tim Henning (Münster/Princeton): Die narrative Biographie als normative Grundlage der Kritik
Mohammadreza Javaheri (Paris/Heidelberg): Le rapport entre la normativité et l'historicité - une nouvelle approche Hégélienne

Markus Wolf (Bremen/Leipzig): Zeitlichkeit und Philosophie des Normativen im Denken von Jacques Derrida

Abschlussdiskussion

 

Organisation: Georg W. Bertram (Berlin), Robin Celikates (Amsterdam), David Lauer (Berlin). In cooperation with: Alessandro Bertinetto (Udine), Karen Feldman (Berkeley), Jo-Jo Koo (Dickinson), Christophe Laudou (Madrid), Claire Pagès (Paris), Diane Perpich (Clemson), Hans Bernhard Schmid (Wien), Contact: evian@philosophie.fu-berlin.de