Kinder tragen keine Schuld am Krieg

Kinder tragen keine Schuld am Krieg

Der Krieg in der Ukraine hat mehr als 2 Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht. Ein großer Teil davon sind Kinder – ca. 165.000. Olga Piscel kommt aus der Ukraine, wohnt aber seit vielen Jahren in Berlin. Als in der Ostukraine der Krieg begann, half Olga ukrainischen Flüchtlingen. Sie sagt, dass dieser Krieg uns zu Patrioten und Freiwilligen macht. Olga hat ein Projekt in Deutschland organisiert, um ukrainischen Kindern aus Flüchtlingsfamilien zu helfen.

Von Anastasiia Parshykova

„Kinder sind das Wichtigste in dieser Welt“

Frau Piscel, warum haben Sie dieses Projekt organisiert?

Im Januar habe ich Charkow besucht. Es gab noch kein Minsk-Abkommen 2. Die Situation in der Ostukraine, auch in Charkow, war sehr schwer. In der Nähe der Stadt gab es Straßensperren. Ich habe mich mit dem ukrainischen Schriftsteller Sergei Zhadan getroffen und wir sind dorthin gefahren. Wir sind unter Beschuss geraten. Ich habe den Krieg gesehen… Dieser Krieg war keine Vision, sondern Realität. Dann bin ich zum Bahnhof gekommen. Dort waren viele Flüchtlinge, darunter viele Kinder, aus den anderen Städten der Ostukraine. Das hat mich sehr berührt. Meine Großmutter wurde während des Zweiten Weltkriegs nach Novosibirsk evakuiert. In meiner Kindheit hat sie mir viel darüber erzählt. Sie hat in der Nacht auf dem Bahnhof gesessen und auf einen Zug gewartet. Die gleiche Situation habe ich in Charkow erlebt. Ich habe gewusst, dass ich etwas tun muss. Als ich zurück nach Berlin gekommen bin, habe ich nach Möglichkeiten gesucht, um vor allem den Kindern zu helfen.

Was ist das Hauptziel dieses Projekts?

Hier sind die Kinder aus den Flüchtlingsfamilien. Sie sind mit ihren Eltern aus Donezk, Lugansk, Gorlovka, Avdeevka, Ilovaysk geflohen. Jeder weiß, dass der Krieg in diesen Städten ist. Der wirkliche Krieg. Viele Familien ziehen in die anderen großen Städte oder ins Ausland. Es gibt auch Kinder, die keine Eltern mehr haben. Sie leben bei den Großeltern oder anderen Verwandten. Wir wissen oft nicht, was mit den Eltern passiert ist. Unsere Hauptaufgabe ist es, diesen Kindern zu helfen.

Kinder aus den Flüchtlingsfamilien © Anastasiia Parshykova

Kinder aus den Flüchtlingsfamilien © Anastasiia Parshykova

Was machen die Kinder in Berlin?

Die Kinder leben in Berlin. Sie ruhen sich aus, sie treiben Sport. Jetzt planen wir 140 Kinder aus der Ostukraine zu unterstützen. Wir müssen für diese Kinder etwas Interessantes finden, damit sie etwas machen. Im Moment bereiten wir eine Zirkusvorstellung vor. Die Grundregel ist: das Kind muss selbst entwickeln und arbeiten. Die Kinder trainieren jeden Tag. Sie besuchen auch den Zoo und viele Museen. Die Kinder sollen sehen, wie in Europa gelebt wird. Ich denke, dass Deutschland ein gutes Beispiel dafür ist. Die Kinder aus Berlin besuchen unsere ukrainischen Kinder. Und sie kommunizieren miteinander. Irgendwie verstehen sie sich, spielen zusammen. Ich meine, dass die Kinder das Wichtigste in dieser Welt sind. Wir müssen ihnen helfen. Sie tragen an diesem schrecklichen Krieg keine Schuld.

„Kinder verstehen, dass es ein Leben ohne Krieg gibt. Und sie freuen sich darüber“

Wie haben Sie diese Kinder ausgewählt? Gab es bestimmte Kriterien?

In Charkow arbeitet die Organisation „Station Charkow“ (Станція Харків station.kharkov.ua). Diese Organisation hat ein Verzeichnis der Flüchtlinge angelegt und registriert sie. Besonderes Augenmerk richtet sie auf die Kinder: Wie alt sind sie? Haben sie einen Bruder oder eine Schwester? Haben sie Eltern? Und so weiter… Wir haben einen Fragebogen entwickelt. Wir wissen, was die Flüchtlinge brauchen. Die Hilfe. Und wir tun es. Aber es gelingt nicht immer. Viele Kinder benötigen diese Reise, aber sie sind nicht nach Berlin gefahren.

Was sind die Gründe dafür?

Wir müssen die Zustimmung des Vaters und der Mutter erhalten, damit wir das Visum und den Reisepass beantragen können. Die Eltern müssen die Dokumente unterzeichnen. Das ist manchmal kompliziert, wenn zum Beispiel der Vater im Krieg ist, kann er die Dokumente nicht unterzeichnen. Oder es gibt Fälle, dass der Vater des Kindes im Krieg getötet wurde und der Tod nicht offiziell bestätigt ist. Dann kann das Kind nicht die Dokumente bekommen.

War es schwer, eine Finanzierung für dieses Projekt zu finden?

Wir haben Geld aus dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (Deutschland) erhalten. Es ist ein Zuschuss, der 85 % des Projekts finanziert. Der Rest sind Sponsorengelder und private Mittel. Die ukrainische Seite haben wir nicht gebeten. Ich denke, dass unser Land heute viele andere Probleme hat. Aber die ukrainische Botschaft in Deutschland unterstützt uns immer moralisch. Der Krieg in der Ukraine hat uns zu Patrioten und Freiwilligen gemacht.

In welcher Stimmung sind die Kinder heute? Haben sie sich in dieser Zeit verändert?

Die Kinder haben sich sehr verändert. Sie sind sehr offen geworden. Manchmal komme ich und sie laufen zu mir, kuscheln, erzählen etwas. (Olga lächelt) Zuerst waren sie sehr vorsichtig. Jetzt haben sie mehr Vertrauen. Kinder verstehen, dass es ein Leben ohne Krieg gibt. Und sie freuen sich darüber. Viele Kinder waren nie im Ausland. Zum Beispiel der Junge Daniel. Er ist mit seinem Bruder nach Berlin gekommen. Sie haben zunächst nichts gesprochen. Sie haben in der Ecke gesessen und nur beobachtet, was passiert. Und jetzt kommunizieren sie ganz frei mit den anderen Kindern. Das ist unser kleiner Sieg.


Anastasiia Parshykova kommt aus der Ukraine. Sie studiert Journalistik an der Nationale-Taras-Schewtschenko-Universität in Kiew. Ihr Land erlebt heute schwere Zeiten. Der Krieg ist zu einem Teil des Lebens geworden. Deswegen ist das Thema der ukrainischen Flüchtlinge sehr wichtig für sie.

2017-07-06T12:18:06+02:00 Kategorien: Berlin + Brandenburg, IJK, JIL '15, Lesen|Tags: , , , , , , |