Nach der Flucht: Der Wedding hilft

Nach der Flucht: Der Wedding hilft

Thomas Kilian, Sprecher von „Wedding-hilft“ berichtet in einem Interview über die Initiative, die Geflüchtete mit Sprachkursen, Sport und Festen das Ankommen erleichtert.

Von Piotr Varanko

Sehnsucht, Trennung, Einsamkeit und Stimmungstief. Das sind die Gefühle der Menschen, die ihr eigenes Heim wegen Not, Krieg oder Verfolgung verlassen mussten. Sie kommen nach Deutschland und in andere Länder um ihr Leben zu retten. Sie sind manchmal allein und fühlen sich fremd. Deswegen ist die kulturelle Integration besonders wichtig. Aber leider können das die entsprechenden Ämter nicht leisten. Einfache Leute helfen deshalb manchmal ehrenamtlich und bauen eigene Organisationen auf. „Wedding-hilft“ ist genau so ein Netzwerk, welches Berliner aus dem Stadtbezirk Wedding organisiert haben. Auf ihrer Webseite www.wedding-hilft.de bieten sie verschiedene Kulturangebote für Flüchtlinge im Wedding an. Herr Thomas Kilian ist zurzeit Rentner. Er ist bei „Wedding-hilft“ von Anfang an dabei und für die Pressearbeit der Organisation zuständig. Er nimmt sich gern Zeit, um Fragen über dieses Netzwerk zu beantworten.

Herr Kilian, wann und von wem wurde „Wedding-hilft“ begründet?

„Wedding-hilft“ wurde im November letzten Jahres praktisch unmittelbar nach den beiden Erstaufnahmeeinrichtungen in der Pankstraße und in der Gothenburger Straße begründet. Das wurde von den politisch Interessierten und vor allem jungen Leuten hier im Wedding organisiert. Es gab ein Gründungstreffen mit 120-130 Menschen. Im Ergebnis entstand das Netzwerk.

Welches Ziel haben Sie?

Die Ziele sind: Jedem Geflohenen das Leben leichter zu machen, sie möglichst gut hier willkommen zu heißen und mit ihnen zusammen zu leben. Der zweite Punkt ist, dass wir ein Signal setzen wollen zugunsten der Flüchtlinge und ihrer Aufnahme in Deutschland. Wir sind für die Kommunikation mit den Geflohenen zuständig und zumindest im Stadtteil auch für die über sie.

Wie viele Flüchtlinge unterstützen Sie?

In den beiden Heimen sind zurzeit jeweils ca. 150 Personen. In unseren Sprachgruppen werden es so um die 40 sein. Im Sport sind es mehr als 20 Leute. Auch haben wir ungefähr 20 Kinder. Besonders engen Kontakt haben wir mit 10 Menschen. Sie bauen die Zelte zu den Festen auf, organisieren das Kochen oder sammeln die Leute zusammen zu den Veranstaltungen.

Aus welchen Ländern kommen sie?

Wir haben sehr viele Flüchtlinge aus Syrien und dem Balkan. Die nehmen gern an den Sprachkursen teil. Vor kurzem sind junge Männer aus Eritrea hier gelandet. Aber sie haben da Schwierigkeiten, weil niemand ihre Sprache spricht.

Beherrschen ihre Teilnehmer Sprachen der Flüchtlinge?

Wie man in Deutschland sagt, wir reden mit „Händen und Füßen“. Wir bemühen uns Leute zu finden, die verschiedene Sprachen sprechen. Zum Beispiel, diese 10 Leute, mit denen wir sehr eng zusammenarbeiten, sprechen Englisch. Viele Araber können Französisch. Wir haben auch wunderbare junge Leute, die vielsprachig und hochintelligent sind. Die helfen sowohl uns als auch den Anderen.

Was bietet „Wedding-hilft“ den Flüchtlingen genau an?

Wer in diesen zwei Heimen im Wedding wohnt, kann alles mitmachen, was ihm Spaß macht. Wir bieten ihnen kostenlos Sprachkurse, Feste und Geselligkeiten an sowie Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung. Wir hoffen, dass wir bei der Wohnungssuche bald Unterstützung geben können.

Welche Bedingungen stellen Sie an die ehrenamtlichen Mitarbeiter?

Aus der Sicht der Heimleitung muss die Privatsphäre der Geflohenen geschützt werden und es sollen sich keine mehr oder weniger betrügerischen Geschäftemacher dort herumtreiben. Deshalb wird für die Arbeit im Heim oder mit Kindern ein erweitertes Führungszeugnis verlangt – das ist die Bestätigung, dass sie keine notorischen Straftäter sind. Ansonsten wird es den Gruppen selbst überlassen zu entscheiden, welche Ansprüche sie stellen. Bei „Wedding-hilft“ arbeiten aber sehr viele gut qualifizierte Personen mit.

Die Zahl der Flüchtlinge steigt in Berlin stetig an. Haben Sie irgendwelche Aufnahmequoten?

Mit Aufnahmequoten haben wir nichts zu tun. „Wedding-hilft“ kümmert sich vor allem um zwei Flüchtlingsheime im Wedding. Wir sind eine kleine Organisation an der Peripherie. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) und das Bundesamt für Flüchtlinge sind für die behördliche Abwicklung zuständig. Diese Ämter sind total überlastet. Aber wir sind nicht so bürokratisch. Ich habe noch nie gehört, dass wir so überlaufen waren, dass wir eine Veranstaltung nicht bewältigen konnten. Ich kenne es von dem Sprachkurs in der Gothenburger Straße. Dort machen wir den sogenannten Sprachtisch. Das sind Kaffeetische, wo jeweils ein Deutschsprecher sitzt. Dazu setzen sich die Leute je nach Thema und Interesse hin. Das sind 4 oder 5 Tische und das funktioniert mit 8 oder 30 Flüchtlingen ganz locker.

Herr Kilian. © Piotr Varanko

Was tragen ihre Kulturprojekte für Flüchtlinge bei?

Es geht darum, mit den Flüchtlingen in Kontakt zu kommen, ihnen zu helfen in Deutschland anzukommen, uns mit ihnen vertraut zu machen und Fremdheit erst gar nicht aufkommen zu lassen. Integration und Inklusion nennt man das heute wohl.

Hat „Wedding-hilft“ Erfolg?

Es wäre schlimm für die Flüchtlinge, wenn es nur uns gäbe. Unsere Arbeit erreicht leider nur solche Leute, die relativ gebildet, offen und wenig traumatisiert sind. Aber die, die wir erreichen, sind erstmal in der Situation, wo sie Hilfe brauchen. Wir entlasten die Sozialarbeiterinnen, so dass sie sich dann eher um die anderen kümmern können. Was bei uns sehr erfolgreich und einmalig ist, dass wir relativ gut als Netzwerk funktionieren und 50 aktive Personen haben. Wir sind keine Organisation, in der nur ein Mensch alles in der Hand hat. Unsere Zusammenarbeit ist die von den gleichberechtigten Personen, was nicht jede andere Organisation von sich behaupten kann.

Wer unterstützt Ihr Netzwerk?

Wir haben Spenden von Cafebesitzern bis Landschaftsgärtnern. Die meisten geben Sachspenden. Wir haben das meiste Geld bei unseren Festen eingesammelt. Da hatten wir sicherlich zwischen 500 und 1000 Euro. Bisher haben wir keine staatlichen Mittel bekommen und können das auch bisher nicht, weil wir noch kein eingetragener Verein sind. Aber wir machen manche Finanzsachen zusammen mit Partnerorganisationen.

Es gibt immer wieder Einwände gegen Flüchtlinge in Deutschland. Haben Sie irgendwelche Proteste oder andere Aktivitäten gegen „Wedding-hilft“ erlebt?

Als die Heime eingerichtet wurden, gab es ein bisschen Unruhe: Entsprechende Schreiben, Anrufe an das Bezirksamt und eine Aktion mit ungefähr 50 Leuten auf der Straße. Sie haben sich da aufgeregt und diskutiert. Aber dann kam eine Bezirksverordnete und hat ihnen gesagt, dass sie nach Hause gehen sollen. Unter den Empörten waren auch türkische Mamis, die Angst um ihre Kinder hatten, die in den benachbarten Schulen den Unterricht besuchen. Sie dachten, dass die Asylbewerber vielleicht den Schulunterricht stören oder die Pausen unruhig machen könnten. Solche Ängste waren sicherlich auch da. Aber das hat sich zerschlagen.

Welche aktuellen kulturellen Projekte haben Sie vor?

Wir haben vor unsere Vereinsgründung weiterzubringen und uns selber stabiler aufzustellen. Dazu werden wir wohl eine Art von Werkshop machen. Wir werden sicher wieder ein Fest organisieren. Das wird wahrscheinlich im November/Dezember 2015 sein. Außerdem laufen die Sprachkurse, der Sport und die Kinderbetreuung sowieso weiter.

Titelbild: ‚HandinHand LEIPZIG 19.6.16‚ von Leona Goldstein, Campact / CC BY-NC 2.0


Piotr Varanko hat Journalistik an der Belarussischen Staatlichen Universität studiert. In diesem Jahr hat er seine Diplomarbeit „Belarussische musikalische Journalistik im Internet“ verteidigt. So fand er das Thema „Kulturelle Initiativen für Flüchtlinge in Berlin“ interessant und aktuell.