Nach den Corona-Lockdowns der letzten Jahre ist Rollschuhfahren nochmal im Mainstream aufgetaucht. Aufgrund einer offenen Online-Community und freundlichen öffentlichen Veranstaltungen blühen in Berlin immer mehr Skating-Kurse und -Treffen auf, die ein neues Publikum anziehen. Auch die Lehre war schon immer Teil dieser Gemeinschaft, vielleicht etwas anders, als wir es uns vorstellen.
von Patricia López Plaza
Jonathan springt mit Leichtigkeit aus der Bowl im Park am Gleisdreieck. Nur wenige Menschen warten darauf in die Bowl zu springen und ihre Tricks zu versuchen. Ab und zu hört man im Hintergrund vorbeifahrende Züge. Das Geräusch, das am meisten auffällt, ist jedoch das dumpfe Rumpeln der Räder, die auf dem Asphalt aufschlagen und das metallische Geräusch, wenn sie auf dem Coping rutschen. Das Geräusch eines Skateparks.
Jonathan läuft seit seiner Kindheit Inlineskates, jedoch war es am Anfang eines jener Hobbys, die man eine kurze Weile ausübt, bevor man sie vergisst. Während seines Literaturstudiums suchte er nach einer sportlichen Tätigkeit, etwas mit Adrenalin, und er landete wieder bei den Rollschuhen: „Jetzt ist es Arbeit, Freizeitvertreib, Leben.“
Er war Lehrer für Literatur in Kolumbien, also hatte er schon immer eine Leidenschaft für das Unterrichten, etwas, das ihm Spaß machte und das ihm natürlich vorkam. Mit dem Lockdown wurde ihm klar, dass sich sein pädagogisches Engagement nicht nur auf die Literatur beschränkt, sondern sich auch darin äußert, anderen zu helfen, ihr Skaten zu verbessern. Vom Tempelhofer Feld bis zum Greifswalder Park bringt Jonathan Schüler*innen im Alter von 9 bis über 60 Jahren aus vielen verschiedenen Ländern das Skaten bei. Er begleitet sie durch ihren individuellen Lernprozess – die meisten schaffen es mit nur ein oder zwei Kratzern. „Ich genieße es wirklich, wenn ich sehe, wie die Leute mit einem Trick kämpfen und mich mit diesen superglücklichen Gesichtern ansehen, die sagen: ‚Ich hab’s verstanden, danke Jonathan‘, das liebe ich wirklich.“
Renaissance des Rollschuhlaufens
Schuhe, die rollen, sind ein Liebling der urbanen Zivilisation: Im 16. Jahrhundert wurden den ersten Modellen entwickelt aber erst 1863 revolutionierte James Plimpton „den Rollschuh“, indem er Anschnallsohlen mit im Rechteck angeordneten Rädern entwarf, und sie wurden zu einem beliebten Zeitvertreib der Oberklasse in den USA und in Europa. Ihre Blütezeit erlebten die Rollschuhe in den 70’ern und 80’ern, parallel zum Aufstieg der Skateboards. Doch vor dem Ende des Jahrtausends hatte es sich ausgerollt: Sowohl die klassischen Schuhe wie Inlineskates hatten ihren Coolness-Zenit überschritten.
Die neue Renaissance des Rollschuhsports kam während der Corona-Lockdowns und wurde zum Teil von sozialen Medien inspiriert. Dank Tik-Tok und Instagram Videos von Influencern gewann besonders das Jam-Skating erneut an Beliebtheit. Eines von der 29-jährigen Oumi Janta’s Instagram-Videos ging im Juni 2020 viral. In diesem zeigt sie ihre beeindruckenden Moves auf dem sonnenerwärmten Asphalt des Tempelhofer Feldes, und viele wollten es selbst ausprobieren. In einem Interview mit Factory Berlin erzählt sie: „Während der Pandemie konnte man überall Leute auf Rollschuhen sehen. Es ist einfach aufgetaucht. Es ist der perfekte Sport, weil man ihn alleine ausüben kann, und er ist perfekt, um ihn draußen zu machen, also war es während des Lockdowns großartig.“
Auch wenn sich mehr Neulinge für den Sport interessierten, machte es das nicht einfacher für die Leute, die bereits versuchten, ihren Lebensunterhalt damit zu verdienen. Natalia, eine polnische Profi-Eisläuferin, die inzwischen Lehrerin ist, merkt an, dass die Pandemie auch eine Reihe von Problemen mit sich brachte, insbesondere für jemanden, der eine Eislaufschule betreibt. Die Ungewissheit erlaubte es ihr nicht, wie gewohnt zu arbeiten: „Manchmal waren wir geschlossen, manchmal geöffnet. Wir haben auch etwas Geld von der Regierung bekommen, als alles geschlossen war und wir nicht arbeiten konnten, aber das war unbeständig.“ Heute bietet ihre Schule wieder jeden Tag von Montag bis Donnerstag Unterricht mit mehreren Lehrern sowie Camps und andere Aktivitäten an. Natalia ist seit 2016 zertifizierte Rollschuhlehrerin des polnischen Rollsportverbands und betreibt eine Schule namens ice ’n‘ roll in ihrer Stadt Torun. „Ich bin wirklich froh, dass mehr Menschen das Rollschuhlaufen ausprobieren wollen. Als Lehrerin freue ich mich am meisten, wenn das Skaten Menschen zusammenbringt, unabhängig von ihrem Alter, ihren Ansichten, ihrem Hintergrund oder ihrer Bildung. Wenn man zusammen skaten kann und einfach Spaß hat.“
Unterrichten einer Straßensportart
Um in Deutschland offiziell Rollerskating zu unterrichten, braucht man ein Zertifikat des Deutschen Rollsport- und Inline-Verbandes e. V. ( DRIV). Der Kurs ist in 4 Teile geteilt und dauert ca. 3 Monate, allerdings sind die Kurse auf 25 Personen pro Kurs begrenzt. Es gibt viele andere Organisationen auf internationaler Ebene, die Lehrzertifikate anbieten, wie das Inline Certification Program (ICP) oder die Skate Instructors Association (Skate IA).
Dennoch haben nicht alle Unterrichtenden ein Zertifikat. Da es sich um einen Sport handelt, der auf der Straße ausgeübt wird, lernen viele Leute, indem sie draußen mit anderen Skatern zusammen sind. „Skater sind sehr aufgeschlossen und hilfsbereit, wenn man sie um Hilfe bittet oder ihnen Tipps für Tricks gibt. Ich glaube, ich lerne immer am meisten, wenn ich mit erfahrenen Leuten zusammen bin, die ihr Wissen gerne weitergeben“, meint Juls, eine 24-jährige Kolumbianerin mit einem breiten Lächeln, blauen Haaren und lila Rollschuhen. Wie viele neue (oder wiedergeborene) Skater inspirierten die Lockdowns Juls dazu, sich neue Skates von Decathlon zu kaufen und sich auf eine Skate-Challenge einzulassen, wobei sie ihre Fortschritte auf Instagram festhält und genau zeigt, wie die Höhen und Tiefen des Lernprozesses verlaufen. Sie hat über tausend Follower, was ihrer Meinung nach sehr wenig ist, aber sie denkt lieber nicht zu viel darüber nach.
Juls hat nie Skating-Unterricht genommen, sondern lernte nach und nach, indem sie andere Skater auf Instagram beobachtete und mit dem, was sie als „Intuition für das richtige Gefühl“ bezeichnet. Dennoch besucht sie gerne Workshops und Intensivkurse von professionellen und erfahrenen Skatern, die, wie sie sagt, recht häufig stattfinden. Man muss ihnen in den sozialen Medien folgen oder sich in Skater Kreisen bewegen, um wirklich etwas herauszufinden. „Ich habe mich sehr für die Welt des Skatens interessiert und wollte alles ausprobieren. Jam, Skatepark, Slalom – diese Intensivkurse helfen mir wirklich, meinen Horizont zu erweitern und neue Leute kennenzulernen.“
Sie wagte es sogar, zwei kleinen Mädchen, die sie im Park ansprachen, selbst Unterricht zu geben. „Es war sehr spontan und ich habe einfach zugestimmt, ihnen die Grundlagen beizubringen. (…) Die Leute sagen mir immer wieder, dass ich unterrichten soll, und das gefällt mir wirklich. Ich denke, das ist etwas, das mir ganz natürlich vorkommt. Ich möchte immer noch sehen, ob ich ein offizieller Instruktor werden und mich in diesem Bereich weiterentwickeln kann, auch wenn es nur ein Nebenjob ist.“
Den Job verwalten
In unserem modernen Medienumfeld sind die sozialen Medien und die Art und Weise, wie man seine Arbeit und seine Fähigkeiten der Welt präsentiert, sehr wichtig. Jonathan verwaltet sowohl sein eigenes Instagram als auch seine eigene Website und sagt, wie wichtig es ist, in den sozialen Medien aktiv zu sein. Das heißt aber nicht, dass man nicht auf die alten Methoden zurückgreifen kann: Natalia und ihr Partner, Behailu, haben zum Beispiel Flugblätter mit Informationen ausgedruckt und laufen auf dem Tempelhofer Feld herum, um nach Leuten zu suchen, die aussehen, als bräuchten sie Hilfe. Sie teilen ihnen ein Flugblatt aus, unterhalten sich mit ihnen und geben ihnen Tipps, wie sie ihr Skaten verbessern können. Die sozialen Medien sind zwar wichtig, um mehr potenzielle Kunden zu gewinnen, aber Empfehlungen und Mundpropaganda sind immer noch der wirkungsvollste Weg, um sich als Lehrer bekannt zu machen.
Juls erzählt auch, wie schwierig es ist, einen Job anzufangen, sich bekannt zu machen und vor allem das Vertrauen der Leute zu gewinnen, sie zu unterrichten. Sie verrät auch, wie sehr sie mit dem Gedanken kämpft, ihr Hobby zum Beruf zu machen. Auf die Frage, wie man mit dem Skaten seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, antwortet die Influencerin Oumi Janta für Factory Berlin: „Es ist eine schöne Sache, dass man mit seinem Hobby oder seiner Leidenschaft Geld verdienen kann. Aber gleichzeitig muss man sich seine eigenen Grenzen setzen und sich seine Zeit nehmen.“ Oumi gibt jetzt Jam-Skating-Kurse und organisiert auch Rollerdisco Nächte in Berlin, wo das Gelernte ausprobiert werden kann. Auf der Webseite des Jam Skate Club Berlin und natürlich auf ihrem Instagram Konto postet sie dazu häufig Neuigkeiten. Mittlerweile kann Oumi vom Rollschuhfahren insgesamt leben.
Dies gilt jedoch nicht für die meisten Rollschuhlehrer: Das Unterrichten reicht oft nicht aus, um einen soliden Lebensunterhalt zu verdienen. Deshalb planen und organisieren viele Lehrer andere Aktivitäten wie Workshops und Touren, oder arbeiten sogar mit Marken sowie Skating-Unternehmen zusammen. Natalia organisiert jedes Jahr ein Sommercamp in Polen, eines für Kinder und eines für Erwachsene, wo man vier Tage lang ganz in die Welt des Rollschuhlaufens eintauchen kann. Jonathan koordiniert auch die Veranstaltung „Full Moon Ride“ in Berlin, die er im Januar 2021 ins Leben gerufen hat. Einmal im Monat, in der Vollmondnacht, macht sich eine Gruppe von Skatern auf, um durch die Stadt zu skaten. Er organisiert die Fahrtroute und den Plan, aber jeder fährt in seinem eigenen Tempo. Das Wichtigste ist, sicher zu sein und gesehen zu werden mit Helmen, reflektierender Kleidung und Lichtern. Er genießt vor allem das Gefühl, schnell zu fahren und sich frei zu fühlen, und auch die Kameradschaft zwischen den Skatern. In der Zukunft sieht sich Jonathan „in Berlin. Und macht immer noch genau dasselbe!“
Ein Skating-Lehrer zu sein, bedeutet mehr, als nur gut zu skaten oder gut zu unterrichten. Im Kern geht es darum, diesen Sport wirklich zu lieben, ihm Zeit und Energie zu widmen und sich in der Skating-Community zu engagieren. Es ist etwas, von dem „viele Leute überrascht sind, dass es ein Vollzeitjob sein kann“, sagt Natalia, aber entgegen allen Erwartungen, ist es das.
Patricia López-Plaza ist Journalismusstudentin an der Universität Carlos III in Madrid. Eines ihrer beliebtesten Hobbys ist das Rollschuhlaufen, das sie nun schon seit fast 2 Jahren betreibt.