Umpacken, Einpacken, Anpacken: Ehrenamtliches Arbeiten bei der Berliner Tafel e.V.

Umpacken, Einpacken, Anpacken: Ehrenamtliches Arbeiten bei der Berliner Tafel e.V. Foto: Franziska Krüger

Umpacken, Einpacken, Anpacken: Ehrenamtliches Arbeiten bei der Berliner Tafel e.V.

Für Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit – die Initiative „LAIB und SEELE“ der Berliner Tafel e.V. rettet Lebensmittel und Lebenswege

Mit Leib und Seele ertüchtigen sich deutschlandweit hunderte ehrenamtliche Helfer:innen und tragen einen Teil dazu bei, unverkaufte Lebensmittel umzuverteilen und an Bedürftige weiterzugeben. Jeden Mittwoch öffnet auch die Ausgabestelle in der Spandauer Kirche St. Wilhelm ihre Pforten und schafft den Raum für eine ehrenhafte Sache. Ich hatte die Chance, einen dieser Tage begleiten und mit anpacken zu können.

von Franziska Anna Krüger

Der Verein und was sich dahinter verbirgt

2005 wurde die Aktion „LAIB und SEELE“ durch eine Kooperation mit dem rbb und den Kirchengemeinden realisiert und seitdem logistisch ausgebaut und erweitert. | Foto: Franziska Krüger

Die Berliner Tafel e.V. wurde im Jahr 1993 ins Leben gerufen und koordiniert seither verschiedene soziale Initiativen und gemeinnützige Projekte. Geleitet wird die Tafel von einem Vorstand, der Vorsitzenden Sabine Werth und vier weiteren ehrenamtlich tätigen Mitgliedern, der von der Mitgliederversammlung beaufsichtigt und entlastet wird.
Die etwa zweitausend Mitglieder des Vereins unterstützen diesen mit einem Mindestbeitrag von 33 Euro pro Jahr finanziell und stellen die Unabhängigkeit der Tafel von Wirtschaft und Politik sicher. Die Ausgabestelle in der Kirche St. Wilhelm ist eine von 46 in Berlin.

Mit „LAIB und SEELE“ an die Arbeit

Am Mittwoch um 9 Uhr mache ich mich auf den Weg zu „LAIB und SEELE“, wo ich von sechs Helfer:innen bereits erwartet und herzlich empfangen werde. Ich betrete den großen Gemeindesaal der Kirche, der sich an drei Tagen in der Woche in die Lebensmittelabteilung eines Supermarkts verwandelt. Die Fenster sind weit aufgerissen, doch der Geruch von reifem Obst und Gemüse überwiegt. Auf aneinandergeschobenen Tischen stapeln sich schon die ersten befüllten Kisten, daneben türmen sich Weitere mit noch unsortierter Ware. Gustav*, der Fahrer und Verantwortliche der Ausgabestelle, weist mich ein: „Wie du siehst, wurde gestern schon die Vorarbeit geleistet. Heute müssen wir die Kisten zusammenpacken, die später ausgegeben werden.“ Dienstags werden die gelieferten Waren angenommen und kategorisch vorsortiert. Nach dem Motto „die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“ werden verfaulte Lebensmittel weggeschmissen und noch verzehrbare gerettet.

Ein Blick in eine fertig gepackte Kiste. | Foto: Franziska Krüger

Gustav zeigt mir, wie ich eine Obst-/Gemüsekiste zusammenstellen soll: „Ein Paket entspricht etwa zwei bis drei Mahlzeiten. Dazu wird später eine zweite Kiste mit Milchprodukten, Wurst und Backwaren ausgegeben.“ Wichtig sei, ein buntes Angebot zu kreieren, mit dem man ein einfaches Rezept umsetzen könne. Beim Einpacken der Kisten halte ich gewöhnliches, aber auch exotisches Obst und Gemüse, wie etwa Mangos, Litschis oder Avocados in den Händen.

Bis 13 Uhr muss die Ausgabe logistisch vorbereitet sein, also wird effizient und konzentriert gearbeitet, denn es gibt einen strengen Zeitplan. Obwohl jede:r über einen festen Arbeitsbereich verfügt, ist Flexibilität notwendig. Insgesamt befüllen wir knapp 150 Kisten: „und das würde gerade so ausreichen“, merkt Gustav an. Im Notfall begebe er sich sogar am Ausgabetag selbst noch einmal auf den Weg, um neue Lebensmittel einzusammeln.

Markplatz

Die tatsächliche Ausgabe findet von 13:30 Uhr bis 15:00 Uhr im Freien in dem kleinen Hinterhof statt. Eine Schlange hat sich schon gebildet, bevor die ersten Menschen das Gelände betreten haben: die ersten Einkaufstrollis werden um 6 Uhr in der Früh geparkt: „Es habe sich definitiv eine Rangordnung etabliert“, kommentiert Gustav schmunzelnd. Dennoch enthält jede Kiste ein ähnliches Angebot und man ist nicht benachteiligt, wenn man erst zum Schluss bedient wird.

Um Lebensmittel bei der Tafel zu beziehen, muss man über ein Berechtigungsdokument, etwa einen Hartz IV-, Arbeitslosen- oder Rentenbescheid, oder einen Einkommensnachweis verfügen und einen Obolus von 1.50 Euro leisten. Dies wird zuvor nachvollzogen: „Jede unserer Stellen ist einer Postleitzahl zugewiesen, die auf dem Dokument vermerkt ist und hier abgestempelt wird.“, erklärt mir Gustav. An der Kontrolle herrscht Hektik, die Leute drängen sich um das kleine Fenster und es ist laut und wuselig. Trotzdem scheinen die routinierten Ehrenamtler:innen der Situation gewachsen.

Hat man diesen ersten Schritt durchlaufen, kann man sich an den auf Tischen platzierten Kisten bedienen. Nicht jede:r nimmt alle Lebensmittel aus den Kisten heraus. Die Reste werden an die Seite verräumt, um Anderen anzubieten, noch einen Blick darein zu werfen. Bevor die Lebensmittel wirklich in der Mülltonne landen, hole eine Dame, die einen Gnadenhof führt, das übrige Obst und Gemüse ab, um es an die Tiere zu verfüttern, erklärt Gustav.

Das rege Treiben gleicht dem Ambiente auf einem Markt. | Foto: Franziska Krüger

Plötzlich tippt ich jemand mich an: Ich schaue in ein freundliches Gesicht. „I want to volunteer“, sagt die Frau und erzählt mir, dass sie durch den Krieg aus der Ukraine nach Deutschland geflohen sei und sich gern engagieren würde. Gustav wirft ein, dass die Ausgabestelle St. Wilhelm aktuell vollständig besetzt wäre und zumindest hier niemand gebraucht werden würde. In anderen Bezirken sehe dies allerdings ganz anders aus und die Tafel suche dringend helfende Hände. Für das Tagesgeschäft benötigt die Initiative Fahrer:innen, sowie Beifahrer:innen, um den Transport von Lebensmitteln von Supermärkten zu den Ausgabestellen zu arrangieren, sowie Ehrenamtliche, die die Ware in den jeweiligen Ausgabestellen entgegennehmen und die Ausgabe organisieren.

Der Secondhandshop grenzt direkt an die Ausgabestelle an und lädt zum Stöbern ein. | Foto: Franziska Krüger

Ein Hauch von Melancholie

Neben der Ausgabe von Lebensmitteln, gibt es eine kleine Secondhandboutique, die von Lydia* geführt wird. Es handelt sich um eine Sammelstelle für Kleider- und Sachspenden, die liebevoll platziert und für kleines Geld weiterverkauft werden. Lydia ist modisch gekleidet und berät ihre Kund:innen seit nunmehr 10 Jahren. Im Hintergrund laufen Songs aus den 70er/80er Jahren und ich fühle mich ein Stück weit der Realität entrissen, wenn ich all die bejahrten Gegenstände betrachte, die eine eigene Geschichte erzählen.

Ehre, dem Ehre gebührt

Ich bin davon fasziniert, wie eingespielt die Arbeit im Team funktioniert, obwohl einige der Menschen, die ich heute kennenlernen durfte, nach eigener Angabe erst seit wenigen Wochen bei „LAIB und SEELE“ aushelfen würden. Es sind Menschen mit unterschiedlichen soziodemografischen Hintergründen, Haltungen und Perspektiven, doch sie tragen alle das Bestreben in sich, einen gesellschaftlichen Mehrwert zu leisten.

Die Bezeichnung ehrenamtliches Arbeiten, und das gilt über die Beschäftigung bei der Tafel hinaus, denotiert zweifelsohne die Hochachtung und Wertschätzung, die allen Helfer:innen gebührt.

*Die Namen wurden nach Absprache geändert.


Franziska Anna Krüger studiert im vierten Bachelorsemester Publizistik-und Kommunikationswissenschaft und Deutsche Philologie. Die Arbeit mit und an literarischen oder journalistischen Texten begleiten sie durch das Studium.


2022-11-22T17:34:58+02:00 Kategorien: Lesen, Wissen + Wirken|Tags: , , , , , |