Dem Berliner Sage/Kitkat-Club wurde der Mietvertrag gekündigt, im Juni 2020 müssen sie aus dem Standort an der U Heinrich-Heine-Straße ausziehen. Der Eigentümer will neue Projekte verwirklichen, die Clubs wollen bleiben. Aktuell werden Verhandlungen über eine mögliche Verlängerung des Mietverhältnisses geführt. Unter dem Begriff „Clubsterben“ wird die Schließung Berliner Clubs schon länger thematisiert. Zeit, dass die Politik aktiv wird.
von Anna-Lena Rabbel, Beitragsbild: Razinkova Evgeniya
Die Schlange ist lang, wie eigentlich jeden Samstag. Bis um die Straßenecke warten Menschen aller Geschlechter und Herkunft auf Eintritt in die heiligen Hallen des Fetisch-Clubs. Der Büroangestellte mit Anzug und Brille steht neben der Domina im Lederoutfit, hinter ihnen eine Touristengruppe aus Spanien, die extra für eine Nacht im berüchtigten Kitkat-Club eingeflogen ist. Aufregung und freudige Erwartung liegen in der Luft: Wird man es schaffen, an den strengen Türstehern vorbei zu kommen? Aber bald könnte der Büroangestellte aus der Schlange hier einen neuen Arbeitsplatz anstatt einem Ort der sexuellen Befreiung vorfinden, denn dem Club wurde der Mietvertrag gekündigt.
Ist die Party nach 26 Jahren vorbei?
Seit 13 Jahren befindet sich das 1994 gegründete Kitkat an der U-Bahn-Station Heinrich-Heine-Straße. Leute aus aller Welt treffen sich im Fetisch-Club, tanzen zu elektronischer Musik und erleben eine Form der sexuellen Freizügigkeit, die das Kitkat über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt gemacht hat. Ende 2019 wurden Gerüchte laut, dass es damit bald vorbei sein könnte: Ein Münchner Investor und Miteigentümer des Geländes will den Komplex entwickeln. Dem Sage- und Kitkat-Club wurde die Räumlichkeiten gekündigt, der Mietvertrag läuft im Juni 2020 aus. Das enorme mediale Echo drängt die Verantwortlichen dazu zu verhandeln. Laut Clubkommission-Sprecher Lutz Leichsenring werden nun Möglichkeiten einer Vertragsverlängerung besprochen, die bisher aber eher einseitig sein: „Es sieht nicht so aus, als ob das Kitkat tatsächlich im Juni geschlossen wird, aber auch nicht nach einer Sicherung des Standorts für die nächsten 20 Jahre.“ Die Miete soll steigen und der Vertrag jederzeit durch die Eigentümer kündbar sein. Diese Konditionen seien aber für ein Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeiten keine wirkliche Option.
Kein Einzelfall
Ein Schicksal, dass sich Sage und Kitkat mit vielen Berliner Clubs teilen. Im Januar wurde bekannt, dass sich der Berliner Club Grießmühle in einer ähnlich prekären Mietsituation befindet und aktuell nur noch eine Nutzungsvereinbarung mit dem Eigentümer besteht. Der Begriff „Clubsterben“ geistert schon länger durch die Berliner Medien. Bisher mussten bereits die Bar25, das King Size und das Stadtbad Wedding schließen, um nur einige prominente Beispiele zu nennen. Die Gründe sind immer gleich: Nicht verlängerte Verträge, steigende Mieten und Sanierung im Zuge der Gentrifizierung. Dazu kommen Beschwerden der Anwohner und Lärmschutzklagen. Einige argumentieren, dies sei der Lauf der Dinge: Manche Einrichtungen verschwinden und neue entstehen. Aber durch immer weiter schwindende Freiflächen bleibt wenig Raum für Neues.
Auf einer Stufe mit Pornokinos und Casinos
In einer von den Grünen angestoßenen Debatte wird darüber gesprochen, ob sich Traditionsclubs als Kulturgut baurechtlich schützen lassen. Aktuell werden sie als „Vergnügungsstätte“ geführt und stehen damit rechtlich auf einer Stufe mit Pornokinos, Casinos und Table Dance Bars. Am 12. Februar wird der Antrag im Bauausschuss des Bundestages angehört. Christian Goiny, der medienpolitische Sprecher der CDU, kämpft aktuell für eine Koordinierungsstelle, die zwischen Hauptverwaltung, Bezirksämtern und Clubs vermitteln soll. Die Politik sollte laut ihm mehr tun: „Wir erleben leider ein schleichendes Aussterben der Berliner Clubszene. Die aktuellen Kündigungen des Sage Clubs und des KitKatClubs sind zwei weitere traurige Belege dafür“, so Goiny.
Ist die Politik auf dem richtigen Weg?
Die Clubkommission lobt ein höheres Bewusstsein für die Thematik auf allen Ebenen. Vor 20 Jahren habe das noch ganz anders ausgesehen. Berlin sei anderen Städten weit voraus, was die öffentliche Wahrnehmung und den Kontakt mit der Politik angeht. Vor allem aus der Kulturpolitik kommt Unterstützung, größtenteils aus ideellen Gründen. Das Nachtleben der Hauptstadt symbolisiert für viele Berliner Freiheit. Leichsenring äußert dennoch Kritik an der Politik: „Das eine sind warme Worte, das andere sind Budgets.“ Trotz der öffentlich positiven Darstellung zählen am Ende Handlungen, also Gesetze und Geld.
„Ein Club ist kein Ort für Gewinnmaximierung“
Grund für die Unterstützung von Seiten der Politik ist nicht nur der Erhalt einer freien Clubkultur. Der Partytourismus ist ein für Berlin nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor. Ein Viertel der Touristen kommen zum Feiern, ein Alleinstellungsmerkmal der Stadt. 2019 wurden durch die Partytouristen 1,48 Milliarden Euro erwirtschaftet, dazu kommen indirekte Umsätze von Hotels, der Gastronomie und Spätkäufen. Das Argument des Geldes versteht Leichsenring zwar, aber es „fühlt sich an wie Ausverkauf“. Der wirtschaftliche Aspekt sollte bei der Erhaltung der Clubszene nicht im Vordergrund stehen. Er kann dennoch nachvollziehen, warum Investoren lieber andere Projekte realisieren wollen: „Da gibt es einfach weniger Probleme und mehr Geld – ein Club ist kein Ort für Gewinnmaximierung.“
Hoffnung für das Kitkat
Dass es auch anders geht, zeigt der neue Eigentümer von „Clärchens Ballhaus“: Der über 100 Jahre alte Traditions-Tanzladen bleibt auch nach der Sanierung erhalten. Eine Lösung, die auch im Falle des Kitkat-Sage-Clubs erstrebenswert wäre. Sascha Disselkamp, Betreiber der Sage-Clubs, spricht mit potentiellen Käufern über die Eröffnung eines Hospizes auf dem Gelände. Bei gutem Bau gebe es hier auch keine Probleme mit dem Lärmschutz. Dieses Projekt ist zwar derzeit noch nicht in Planung, soll aber symbolisieren, dass es eine sinnvolle Nutzung abseits von Hotel und Bürofläche geben kann. Mit dem richtigen Investor könnten sich an verschiedenen Standorten Kultur und Soziokultur vereinen. Die Frage, die sich also Politik, Investoren und Betreiber stellen sollten lautet: „Was kann man mit Flächen machen, ohne den Club zu verlieren?“
Anna-Lena Rabbel studiert Publizistik- und Politikwissenschaften an der FU Berlin. Sie lebt aktuell in Kreuzberg und schätzt die Berliner Freiheit.