Absperrungen und Polizei. So sehen die Eingänge zum Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz aus. Seit dem Anschlag 2016 hat sich viel geändert. Was denken die Menschen auf dem Weihnachtsmarkt heute über den Anschlag? Wie gehen sie mit der Erinnerung um? Und was sagen sie zu den Sicherheitsmaßnahmen?
von JL
Der Besuch auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz kann bei vielen Menschen trotz der besinnlichen Zeit auch zu einer bedrückten Stimmung und gemischten Gefühlen führen: Inmitten der Stände befindet sich der Gedenkort für die Opfer des Anschlags von 2016 – so ist das Geschehene gerade in der Weihnachtszeit sehr präsent.
Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz
Am 19. Dezember 2016 steuerte der Tunesier Anis Amri einen LKW auf das Gelände des Weihnachtsmarktes bei der Berliner Gedächtniskirche. Zwölf Menschen starben bei diesem Attentat, etwa 70 Menschen wurden verletzt. Den LKW-Fahrer hatte Amri zuvor getötet. Der Anschlag wird als der bisher schwerste islamistische Anschlag in Deutschland eingestuft. Amri war zunächst flüchtig, wurde dann aber in Italien von der Polizei erschossen. Ermittlungen bezüglich des Falles halten bis heute an. Meine Recherchen haben mich im Winter 2019 auf den Weihnachtsmarkt geführt. Dort habe ich versucht, die Stimmung einzufangen und vor Ort über das Geschehene zu reden.
Betroffenheit
Der Anschlag beschäftigt die Menschen noch sehr. Viele möchten nicht darüber sprechen. Für einige ist es schwierig darüber zu reden, andere sagen, dass es ihnen hilft. Eine von dem Anschlag betroffene Standbesitzerin wies mich darauf hin, dass sie nicht immerzu daran denken und deshalb auch keine Fragen beantworten möchte. Ich habe vor allem Zurückweisungen dieser Art erfahren auf meiner Runde über den Markt, konnte aber auch ein paar Gespräche führen. Flüchtig. Namentlich genannt werden wollte niemand.
Viele der Stände stehen jedes Jahr am selben Platz. Wer seinen Stand auf der Seite des heutigen Gedenkortes hat, hat einen besonderen Bezug zu dem Attentat.
Jeden Tag gehen sie auf dem Weg zur Arbeit an der Gedenkstelle vorbei. Dadurch kommt automatisch die Erinnerung an das Geschehene. Manche halten dort kurz inne. „Besonders in der Weihnachtszeit ist das alles einfach wieder sehr präsent. Die Gedenktafel macht es einem noch mehr bewusst.“ Durch den Gedenkort wird der Anschlag auch außerhalb der Weihnachtszeit ins Gedächtnis gerufen. Die Erinnerung wird auch als positiv angesehen, so geraten vor allem die Opfer nicht in Vergessenheit. Die Verkäuferin eines Crêpe-Standes in der Nähe des Gedenkortes sagt dazu: „In Gedanken ist man einfach immer dabei.“
Das Sicherheitsgefühl auf dem Markt
Besucher und Standbesitzer scheinen sich mit den Maßnahmen der Polizei sicher zu fühlen. An jedem Eingang sind Polizisten und Betonpfeiler platziert, eine Absperrung geht fast um den ganzen Platz. Außerdem patrouillieren einige Polizisten. Das Gefühl direkter Angst ist auf dem Markt wenig präsent. Allerdings schließen manche einen weiteren Anschlag auch nicht komplett aus, das stimmt dann doch nachdenklich. „Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass so ein Anschlag zweimal am Breitscheidplatz verübt wird“, sagt eine Standbesitzerin. Mit der Erwähnung der starken Sicherheitsstrukturen in Deutschland und der geringen Chance der eigenen Betroffenheit wird der Gedanke dann auch wieder abgetan. Man müsse in Deutschland nicht jeden Tag mit dieser Angst leben und sich immer nur um seine Sicherheit sorgen. Eine andere Stimme: „Unsicherheit ist doch genau das, was solche Leute zum Teil auch erreichen wollen. Wenn man sich dauernd nur noch unsicher fühlt, macht man sich auch vieles selbst schwer.“ Weitere Erhöhungen der Sicherheitsmaßnahmen werden kritisch betrachtet: Inwieweit würde sich dann noch eine weihnachtliche Atmosphäre zeigen?
Momentan erlebe ich einen Mittelweg zwischen den Schutzvorkehrungen und einem Beibehalten des Weihnachtsgefühls und der festlichen Stimmung. Der Breitscheidplatz wird aber weiterhin vor allem ein Ort des Erinnerns bleiben.
JL studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Geschichte an der FU Berlin. Zurzeit lebt sie in Charlottenburg.