Breitscheidplatz: Wenn Berlin den Atem anhält

Breitscheidplatz: Wenn Berlin den Atem anhält

Der Blick vom Zoologischen Garten in Berlin lenkt sich schnell auf die Gedächtniskirche am Breitscheidplatz. Dieses Denkmal soll an die Zerstörung und Opfer des zweiten Weltkrieges erinnern. Auf dem Weihnachtsmarkt davor hätte niemand gedacht, dass dieser Ort des Friedens am 19. Dezember 2016 zum Grab vieler Menschen werden sollte. Ein 24-jähriger Tunesier raste an diesem Abend in eine Menschenmenge und riss insgesamt zwölf Passanten in den Tod. Dieser schreckliche Vorfall war nach kürzester Zeit sehr präsent in den Medien und wurde von verschiedenen Websites live berichtet. Gegenüber des Breitscheidplatzes befindet sich das Kultur-Kino „ZooPalast“ mit Platz für bis zu tausend Filmbegeisterte. Auch Mitte Dezember war dieses stark ausgebucht. Zum Zeitpunkt des Vorfalls lag es an den Mitarbeitern und Theaterleitern auf den Vorfall vor ihnen zu reagieren. Die junge Mitarbeiterin Pia Hartwig* erklärte sich bereit über das Erlebte zu sprechen. Sie stand zu diesem Zeitpunkt hinter der Theke im Eingangsfoyer des Kinos.

Von Theresa Rohde

Du warst an dem Tag des Unglücks im Dezember im Zoopalast. Wann hast du das erste Mal mitbekommen, was außerhalb passiert ist? Und wer hat dich informiert?

Pia: Was sich am Breitscheidplatz ungefähr ereignete erfuhr ich circa 10 bis 15 Minuten später. Niemand hat mich direkt informiert. Ich habe gerade gearbeitet und nahm mehrfach Polizei und Krankenwagensirenen von draußen wahr. Wenig später schrie plötzlich die Putzfrau auf, Passanten von der Straße rannten in das Gebäude, ein Teamleiter und ein Theaterleiter fanden sich im Foyer ein. Ich fragte eine Mitarbeiterin die ihren Arbeitsplatz verlassen hatte und umherlief was geschehen sei. Ihrem Wissen zufolge war ein Lastwagen in den Weihnachtsmarkt gefahren.

Hattest du in diesem Moment Angst?

Pia: Ja, ich hatte Angst, dass draußen etwas Furchtbares passiert war. Angst, dass mir etwas passieren würde, hatte ich nicht direkt. Wenig später jedoch brach Panik aus.

Wie hast du reagiert? Musstest du nach den Vorfällen der letzten Zeit an Terror denken?

Pia: Ich bin von Anfang an sofort von einem Terroranschlag ausgegangen und im Gespräch mit den Mitarbeitern in unmittelbarer Nähe wurde klar, dass wir alle das gleiche dachten. Nach all den furchtbaren und zahlreichen Anschlägen im Jahr 2015 und 2016 wie in Paris, Istanbul, Nizza, Brüssel und vielen weiteren Städten, sowie kleineren Angriffen und geplanten Attentaten auch in Deutschland konnte solch ein Ereignis zur Weihnachtszeit an diesem Ort kein kleiner Unfall sein.  Da wir aber über keine weiteren Informationen oder Anweisungen verfügten, blieben wir an Ort und Stelle. Bis Panik ausbrach, und Mitarbeiter und Gäste sowie Passanten aus dem Foyer nach hinten zu den Notausgängen rannten. Dort blieben wir einige Minuten, angsterfüllt, relativ schweigsam, abwartend. Angeblich hatte jemand einen Rucksack ins Foyer geworfen und etwas Unverständliches gerufen. Davon habe ich selbst aber nichts mitbekommen.

Gab es jemanden, der verantwortlich war die Situation zu analysieren und zu reagieren?

Pia: Die Theaterleitung, sowie die Teamleitung und ein Sicherheitspersonal haben sich darum gekümmert, dass das Gebäude vorne zugesperrt wurde, und informierten uns mehrmals, dass es sich offiziell bei dem Vorfall um einen Unfall handelte. Ansonsten wurde versucht Ruhe zu bewahren.

Konnte dich diese Person beruhigen?

Pia: Nein.

Die ersten Informationen waren ja, dass es sich um einen Unfall handelte. Ab wann wurde dir mitgeteilt, dass das ein Attentat war? Was löste das in dir aus?

Pia: Bestätigt wurden meine Vermutungen erst, als ich etwa um Mitternacht zu Hause war und die Nachrichten im Internet las.

Gab es auf Seiten der Gäste einen Panikmoment? Wer reagierte im Kollegium drauf?

Pia: Die beschriebene Paniksituation betraf gleichermaßen Mitarbeiter, als auch Gäste, die sich im Foyer aufhielten. Einen Panikmoment gab es unter den Gästen, die sich in den Kinosälen befanden, nicht.

Wie war die allgemeine Atmosphäre?

Pia: In meiner Erinnerung war die Atmosphäre sehr angespannt, unbehaglich.

Du hast dich beim Flüchten verletzt. Was ist passiert und wer hat sich um dich gekümmert?

Pia: Beim Öffnen einer Tür in der beschriebenen Paniksituation bin ich mit meiner Brille gegen die Tür gestoßen und habe mir eine Platzwunde im Gesicht zugezogen. Die Theaterleitung hat sich um meine Versorgung gekümmert. Da alle Sanitäter und Notarztwagen aus unmittelbarem Umkreis am Unfallort tätig waren, musste ich eigenständig in ein nahe gelegenes Krankenhaus fahren.

Wie war die Situation im Krankenhaus?

Pia: Die Situation war gut geregelt, jedoch grauenerregend. Es gab eine Erste Hilfe Station für Schwerverletzte und eine zweite, kleinere provisorisch eingerichtete Erste Hilfe Station für Leichtverletzte, die in ein anderes Gebäude verlegt wurde. Dort waren überall Matten auf dem Boden ausgelegt für ankommende Verletzte. Es gab außerdem einen organisierten Aufenthaltsort für die Angehörigen der Verletzten.

Haben sich Menschen im ZooPalast in Sicherheit gebracht?

Pia: Vorne wurde das Gebäude abgeschlossen und an einer Notausgangtür befand sich nach circa einer Stunde ein Polizist oder ein Notarzt. Inwiefern sich Menschen in Sicherheit gebracht haben, erinnere ich mich nicht.

Wie wurdet ihr aus dem ZooPalast gebracht und wann war das ungefähr?

Pia: Ich habe das Gebäude um circa 21:30 Uhr durch den seitlichen Notausgang verlassen. Die Spätvorstellungen wurden für den weiteren Kinobetrieb an dem Abend gestrichen. Soweit ich weiß, hat das restliche Personal bis dahin ihre Arbeit wie gewohnt fortgesetzt und beendet.

Fühlst du dich im Nachhinein unsicher am Zoologischen Garten?

Pia: Nein, ich fühle mich nicht weniger sicher am Zoo. Wenn ich Hilfe bräuchte würde ich mir eventuell professionelle Hilfe suchen. Es ist sicherlich nicht schlecht, wenn Menschen geholfen werden kann, egal wie oder in welcher Situation.

Bist du der Meinung, dass es Schulungen geben sollte für ein großes Haus wie den ZooPalast, dass das Kollegium besser in so einer Situation reagieren könnte?

Pia: Ich frage mich, ob es so etwas wie eine gute Schulung für ein solches Ereignis beziehungsweise einen Terroranschlag geben kann. Solche Situationen sind wahrscheinlich immer überwiegend unüberschaubar und unbegreiflich. Die allgemeinen Sicherheits- und Deeskalationsregeln haben sich an diesem Abend im ZooPalast bewährt. Ich hätte mir lediglich eine stärkere Präsenz der Theaterleitung gewünscht, eine direkte Ansage an die Mitarbeiter oder Gäste vor Ort bezüglich des Ereignisses und der Informationslage.

Hat sich nach dem Attentat etwas grundlegend für dich verändert?

Pia: Nein, für mich zum Glück nicht.

An wen hast du dich gewendet, um deine Eindrücke zu reflektieren?

Pia: Ich wendete mich an Freunde und ein paar Arbeitskollegen, mit denen man über das Thema sprach.

Mittlerweile ist die physische Wunde verheilt, jedoch braucht es noch lange, das Erlebte zu verarbeiten. Pia hat in ihrem engeren Freundeskreis und der Familie offene Ohren gefunden. Jedoch können sich Opfer ohne Unterstützung im Umfeld an Seelsorge-Programmen, wie die des Weißen Rings oder der Telefonseelsorge Berlin richten. Dort kommen Menschen in Gruppen zusammen, die Ähnliches erlebt haben oder werden einzeln betreut. Der Breitscheidplatz wird noch lange ein Ort sein, der nachdenklich stimmt.

* Name wurden von der Autorin geändert


Theresa Rohde studiert Theaterwissenschaft, wie auch Publizistik- und Kommunikationswissenschaft im 5. Semester“.