„Ohne Kunst und Kultur wird’s still“. Dieser Slogan hing den gesamten ersten Lockdown über an einem Berliner Kino im Bezirk Charlottenburg. Theater und Museen blieben monatelang geschlossen, Künstler:innen wurden arbeitslos. Berlin, die Stadt der Freigeister und Künstler:innen, wurde plötzlich leise. Wie fühlte sich diese Stille und Zwangspause für jemanden an, dessen Beruf direkt betroffen war? Sina Brunner spricht in diesem Interview über die Zeit der Corona-Pandemie und was sie mit ihr als Künstlerin gemacht hat.
von Alina Effertz
Sina Brunners Weg in den Beruf der Artistin
Sina, was hat dich dazu inspiriert Künstlerin zu werden?
Sina Brunner: Meine Oma hat mich schon von klein auf mit in den Zirkus genommen, zu traditionellen Zirkusaufführungen und auch zu moderneren Veranstaltungen wie zum Beispiel Eiskunstlauf- und Pferdeshows. Am meisten haben mich immer die Artist:innen begeistert. Als dann das erste Mal die Frage danach aufkam was ich später mal machen möchte, konnte ich mir nichts anderes als diesen Beruf vorstellen.
Du hast die die Staatliche Artistenschule Berlin besucht, auf der du parallel dein Abitur gemacht hast. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Meine Oma und ich sind in meiner Kindheit oft in den Zirkus FlicFlac gegangen und da gab es Magazine, in denen über die Artist:innen berichtet wurde. Da stand sehr oft dabei, dass diese staatlich ausgebildet waren. Als ich 15 geworden bin, hab ich angefangen nach Ausbildungen zu googeln und beschlossen diesen Weg zu gehen. Meine Schule war die einzige staatliche Artistenschule in Deutschland, die ich gefunden habe.
Denkst du, du hättest die Fähigkeiten und Jobmöglichkeiten die du aktuell hast, wenn du die Artistenschule nicht besucht hättest?
Nein, bestimmt nicht. Ich hätte gar keinen Anschluss gefunden. Als ich mich dazu entschieden habe nach Berlin zu ziehe, hatte ich noch keine Ahnung was das bedeuten würde. Es ist sehr wichtig, dass solche Schulen gefördert werden, um jungen Künstler:innen eine Möglichkeit der Weiterbildung und einen Platz in der Kunstwelt zu bieten.
Warst du dir der Unsicherheiten des Künstlerlebens von vornherein bewusst?
Nein, ich hatte keine Ahnung worauf ich mich da einlasse. Ich hatte durch die Artistenschule fünf Jahre lang Zeit um da rein zu wachsen. Ich wurde mir dessen langsam bewusst, allerdings hatte ich auch sehr viel Glück. So richtig klar wurden mir die Unsicherheiten erst in Zeiten, in denen ich weniger Jobs hatte und ganz besonders nun auf Grund der Pandemie, das ist ein Gefühl, das ich vorher so stark noch nicht hatte.
Der Lockdown – „Das Gefühl nun nicht mehr aktiv gebraucht zu werden war bestimmt für viele Künstler:innen schwer“
War die erste Zeit des Lockdowns für dich vergleichbar mit Zeiten, in denen du größere Pausen zwischen Jobs hattest?
Nein, die Pausen zwischen den Jobs konnte ich gut mit Training überbrücken. Ich hatte ja die Sicherheit, dass es bald weitergeht, meistens sogar feste Daten in näherer Zukunft auf die ich hingearbeitet habe. Ich wusste außerdem genau, ab welchem Zeitpunkt ich zuverlässig wieder Geld verdienen werde. Die freie Zeit dazwischen habe ich auch oft dazu genutzt um in den Urlaub zu fliegen, das ging dieses Mal ja auch nicht. Es wurde etwas besser, als die Studios wieder aufgemacht haben und wir wieder trainieren durften. Während der Lockdowns waren die Studios größtenteils geschlossen und solche Dinge wie Luftakrobatik kann man schwer zu Hause trainieren. Die Lockdowns waren sehr große Einschnitte, alles fuhr von hundert auf null herunter.
Ab welchem Zeitpunkt wurde es für dich schwierig?
Ich hatte ziemlich großes Glück, da ich zwischen den beiden Lockdowns immer wieder kleine Jobs bekommen habe. Die schlimmste Zeit war für mich zu Beginn des zweiten Lockdowns, da war klar dass sich alles aus dem ersten Lockdown wiederholen wird. Keiner wusste wie lange das alles noch geht und wieviele Lockdowns noch folgen würden. Zudem war es auch noch Winter, das war mein persönlicher Tiefpunkt.
Und dann kamen auch die Existenzängste?
Auf jeden Fall. Die waren auch schon von Anfang an da. Man hat zwar Unterstützung bekommen, aber die hat natürlich nicht ausgereicht. Was wehgetan hat war das große Minus, das ich in der Zeit gemacht habe, da ich zur Zeit der Lockdowns eigentlich gute und feste Jobs gehabt hätte, die aber nicht stattfinden konnten. Die Einnahmen, die ich mit diesen Shows gemacht hätte, waren definitiv nicht mit den finanziellen Hilfen zu vergleichen.
Du hast einen Nebenjob als Head of Social Media eines Zirkusfestivals angenommen. Denkst du, du hättest den Job auch ohne die Pandemie angenommen?
Ich glaube, die Arbeitgeber wären ohne die Pandemie nicht auf mich aufmerksam geworden. Es war Corona zu verdanken, dass jemand an mich gedacht hat, da ich sonst so viel unterwegs gewesen wäre, dass ich gar nicht in Frage gekommen wäre.
Und die Sicherheit dieses festen Jobs hat dir durch die Zeit geholfen?
Definitiv. Der Job hat mir geholfen mich aufzuraffen und etwas machen zu können, mich auch geistig fit zu halten. Zu wissen, dass ich auch in dieser Zeit gebraucht werde, hat mir sehr geholfen. Das Gefühl nun nicht mehr aktiv gebraucht zu werden war bestimmt für viele Künstler:innen schwer.
Kunst in Zeiten der Pandemie
Hätte deiner Meinung nach der Bedeutung von Kunst während der Pandemie ein höherer Stellenwert zugesprochen werden müssen?
Absolut! Zum Teil sind wirklich unschöne Dinge passiert. Die Werbung in London zum Beispiel, in der Künstler:innen dazu aufgerufen wurden sich einen neuen Job zu suchen (…) . Sowas kann man einfach nicht machen und das gezielt nur an Künstler:innen zu richten ist schlimm. Jeder Job ist wichtig, sonst würde es ihn nicht geben. Allgemein wäre es gut gewesen den Theatern mehr zu helfen. Die Häuser mussten umrüsten, mussten Filteranlagen einrichten und konnten nur mit sehr viel weniger Publikum öffnen. Die Panik war groß, dass manche Theater die Zeit nicht überstehen und schließen müssen. Dann hätten wir niemanden mehr, der uns für Shows bucht. Da fehlte es sehr an Unterstützung. Zumal Kunst ja vielen Menschen durch die Pandemie geholfen hat.
Ja, jeder hat während der Lockdowns Filme geguckt, Bücher gelesen, Podcasts und Musik gehört und sich mit Kunst von der Realität abgelenkt. Kunst ist ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens und sollte auch so behandelt werden. Welche Formen der künstlerischen Arbeit konntest du in der Zeit ausüben?
Ich habe angefangen ein Instrument zu spielen. Das haben viele meiner Künstlerfreunde gemacht. Viele Leute in meinem Umkreis haben angefangen zu malen oder zu nähen. Man hat versucht seine Kreativität anders auszuleben, raus muss die nämlich auf jeden Fall und das waren während der Lockdowns die einzigen Möglichkeiten.
Im März 2020 warst du Teil der Varietéshow 2020, die für eine Spielzeit von sechs Monaten im Wintergarten-Varietétheater Berlin angesetzt war. Als die Show wenige Wochen nach Beginn gestoppt wurde, setzte da sofort eine Angst vor vorübergehender Arbeitslosigkeit ein?
Wir alle dachten am Anfang, dass das alles nach zwei Wochen vorbei sein wird. Es fühlte sich irreal und fast schon spannend an. Wir waren mitten am Anfang unserer Show, die ersten Wochen waren komplett ausverkauft. Der Wintergarten war noch geöffnet, als alle anderen Theater in Berlin schon geschlossen wurden. Ich dachte, mich für eine Woche einzusperren wird ausreichen und dann ist die Welt wieder normal. Nach den ersten Wochen habe ich nichts mehr vom Theater gehört und habe gemerkt, dass das doch nicht so schnell gehen wird. Nach einem Monat habe ich angefangen mir Sorgen zu machen. Dann setzte auch die Angst vor Arbeitslosigkeit ein, in der ich zu diesem Zeitpunkt ja eigentlich bereits war.
Im Herbst 2020 standest du in einem Theater in Hamburg und einem Freilichttheater auf Rügen auf der Bühne. Wie war es für dich unter diesen Umständen zu performen?
Bei der Show in Hamburg hatten die Gäste sogar noch Masken auf. Es war schwierig für mich das alles auszublenden, wir mussten auch auf der Bühne und Backstage Abstand halten und vorsichtig sein. Auch alleine in der Umkleidekabine zu sein war seltsam, normalerweise macht die Energie und Stimmung zwischen den Künstler:innen einen großen Teil der Show aus und das fiel zu dem Zeitpunkt weg. Das Gefühl war komplett anders. Die Shows waren auch nicht gut besucht, die Leute hatten Angst zu kommen und außerdem fehlten die Touristen. Andererseits war das Publikum sehr dankbar dafür, überhaupt eine Show besuchen zu dürfen. Die Wertschätzung war eine ganz andere, das ist auch bis jetzt noch so.
Wie hat dir die finanzielle Unterstützung in Form von Coronahilfe geholfen?
Die Coronahilfe hat mir sehr geholfen, ohne sie wäre es wirklich sehr schwierig gewesen. Allerdings haben mich auch die Jobs, die ich zwischendurch hatte, gerettet. Ich weiß ehrlich nicht wie meine anderen Künstlerfreunde das gemacht haben. Die ersten etwa 5000 Euro waren super schnell weg, wir mussten ja trotzdem unsere Steuern und andere Dinge zahlen. Ich denke, dass bei meinen Freund:innen sehr viele Ersparnisse dafür weggegangen sind.
Also wäre es ohne diese Jobs schwierig geworden?
Definitiv, bei mir war das Geld genau dann weg, als ich wieder den ersten Job hatte. Ohne die Jobs hätte ich Hartz 4 beantragen müssen. Ich habe die Anträge bereits zweimal ausgefüllt, aber ich hatte jedes Mal Glück und genau dann kamen Jobanfragen. In dieser Situation war ich noch nie zuvor, ich hatte immer genügend Jobs und war immer unterwegs.
Denkst du, dass Menschen für Online-Shows genauso viel Geld wie für Live-Shows ausgeben würden?
Ich glaube nicht, aber es kommt auch auf die Zielgruppe an. Ich denke, dass Online-Shows interaktiver werden sollten. Das müssten Shows sein, die wirklich für die Online-Welt konzipiert werden und nicht welche, die eigentlich für Theaterbesuche geplant waren. Ich habe bei einer Online-Show mitgemacht, da habe ich Pole-Dance in dem Wohnzimmer einer Freundin gespielt. Das war schon sehr abenteuerlich. Ich weiß nicht in wieweit Leute bereit dazu sind Shows online anzusehen, sobald man wieder rausgehen und Veranstaltungen live erleben kann. Für den Künstler selber waren diese Shows allerdings ein Geschenk.
Was hat die Pandemie mit deinem Dasein als Künstlerin gemacht?
Ich kann da, denke ich, für jede:n Künstler:in sprechen, man schätzt es so viel mehr arbeiten zu können und auf der Bühne stehen zu dürfen. Ich habe die Jobs, die ich hatte, so viel mehr geschätzt. Das waren Jobs, die ich unter normalen Umständen eventuell nicht mal angenommen hätte, aber ich habe trotzdem jede einzelne Show so sehr genossen. Ich habe noch mehr realisiert, was für ein Privileg es ist auf der Bühne stehen zu dürfen. Ich denke, dass dieses Gefühl der Wertschätzung noch lange bleiben wird.
Hattest du zwischendurch den Gedanken, dass du gerne doch einen festen Job hättest?
Auf jeden Fall, ich dachte ab und zu daran wie es wäre, wenn ich mir jetzt einen anderen Job suchen würde. Dann habe ich mir aber gedacht, dass jeder andere Job, den ich mir vorstellen könnte, auch etwas mit Event und Kunst zu tun haben würde. Und ich wollte mir nicht etwas suchen, dass mich überhaupt nicht erfüllen würde, nur um ein kleines bisschen mehr Sicherheit zu haben. Künstler:in ist man meistens aus Leidensschaft, da führt dann auch kein Weg raus. Ich hatte nie einen Plan B und den gibt es auch nach der Pandemie nicht.
Was hat dich in der Zeit inspiriert?
Ich habe auf jeden Fall mehr Motivation als Inspiration gebraucht, das war manchmal schwer. Als Künstler:in hat man ja meistens auch keinen geregelten Tagesablauf. Inspiriert haben mich andere Künstler:innen und Videos von Performances. Viele Künstler:innen sind durch die Zeit zu Hause nochmal kreativer geworden und haben angefangen sich auf eine andere Art auszudrücken, als nur über eine Bühne. Viele Projekte sind entstanden. Mich hat die neue Wertschätzung für meinen Berufsalltag unter normalen Umständen auch dazu inspiriert, mich immer weiterzuentwickeln. Manchmal habe ich mich schlecht dafür gefühlt Shows spielen zu dürfen, während meine Freund:innen zu Hause sitzen und nicht wissen wann es weiter geht. Meine Freund:innen haben mich aber darin bestärkt auch das zu teilen, damit ein Gefühl der Hoffnung auf Normalität entsteht. Wir haben uns alle gegenseitig motiviert und auf bessere Zeiten gehofft.
Alina Effertz studiert im 4. Semester Theaterwissenschaften und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Sie fühlte sich schon immer in der Kunstwelt zu Hause und möchte selber als Künstlerin arbeiten.