Verloren in den Mühlen der Bürokratie? Safe Places in Friedrichshain-Kreuzberg

Auf dieser Grünfläche sollte ein Common Place entstehen. Zelte zum temporären Verweilen stehen nun unter der Brücke, die zur Wiese führt. Foto: Amelie Kloas

Verloren in den Mühlen der Bürokratie? Safe Places in Friedrichshain-Kreuzberg

Wohnungslosigkeit ist in Berlin ein großes Problem. Safe Places sollen Abhilfe schaffen. Wie werden sie finanziert? Welche Flächen stehen zur Verfügung? Und dann ist da noch die Frage der Zuständigkeit.

von Amelie Kloas

„Wagenplätze retten“ – in Berlin Friedrichshain lassen sich in vielen Eckkneipen solche Flyer finden. | Foto: Amelie Kloas

Nach einer Schätzung der Caritas und des diakonischen Werks sind ungefähr 11.000 Menschen in Berlin wohnungslos. Wie viele es genau sind, das kann niemand sagen. Offiziell gesicherte Zahlen gibt es nicht, eine Zählung ist schließlich schwer umsetzbar. Die Rummelsburger Bucht und auch die Brücke am S-Bahnhof Frankfurter Allee: nur zwei Beispiele für viele der Orte in Berlin, an denen sich wohnungslose Menschen zunächst niedergelassen haben und diese Plätze dann anschließend geräumt wurden. In Friedrichshain-Kreuzberg gibt und gab es viele davon. Seit langem regt sich auch immer wieder Protest gegen diese Räumungen. Wohnungslosigkeit lasse sich nicht lösen, indem diese Lager geräumt werden. Inzwischen wird versucht alternative Lösungsansätze auch seitens der politisch Verantwortlichen umzusetzen.

Um langfristig positive Effekte zu erzielen, scheint das Naheliegendste das Sinnvollste zu sein. Zum Entgegentreten von Wohnungslosigkeit, benötigt es ein Obdach. Und zwar kein temporäres, sondern eine gesicherte, stabile und langfristige Unterbringung. Genau das ist es, was das Modellprojekt Housing First in Friedrichshain-Kreuzberg lange gemacht hat. Das Modellprojekt der Berliner Stadtmission und der Neue Chance GmbH vermittelt wohnungslosen Menschen eine Wohnung und gewährleistet zusätzlich ein begleitendes Unterstützungsangebot auch nach Abschluss des Mietverhältnisses. Laut des Evaluationsendberichts haben sich zwischen Oktober 2018 und August 2021 insgesamt 611 Menschen um Aufnahme in das Projekt beworben. Einen Platz und somit einen vermittelten Mietvertrag bekamen aber nur 42 Personen. Die Wohnstabilität nach drei Jahren liegt bei 97,3%. Das zeigt: der Bedarf ist da, das Modell funktioniert. Gleichzeitig zeigen diese Zahlen aber auch, dass die Nachfrage um einiges höher ist als das Angebot.

Das Konzept Safe und Common Places

Bis Konzepte wie Housing First ausreichend Kapazitäten haben, scheint eine Zwischenlösung notwendig. Ein Beispiel dafür ist die Idee der „Safe Places“. Schon im März 2019 wirbt Elke Breitenbach (ehemalige Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales) für die Einrichtung von Safe Places in Berlin. Die Idee ist die Schaffung von Orten, von denen wohnungslose Menschen nicht vertrieben werden, eine grundlegende Hygiene-Infrastruktur, Sicherheit vor Angriffen und Belästigung und Betreuung durch sozialpädagogisches Fachpersonal gewährleistet werden kann und weiterhin ein Einstieg in das weitere Hilfesystem ermöglicht wird.

SafePlaces im ursprünglichen Sinne sind sichere Orte für Menschen, die einen höheren Betreuungsbedarf aufweisen. Hierbei steht die Schaffung temporärer Quartiere im Vordergrund. CommonPlaces stellen eine Version von einer Schaffung sicherer Orte dar, die auf Inklusion im Stadtteil und Empowerment abzielen.

Angedacht war die Umsetzung zweier entsprechender Modellprojekte. Zum einen die Errichtung eines Common Places auf der Grünfläche der Frankfurter Allee Ecke Gürtelstraße in Zusammenarbeit mit Karuna e.V. und in Zuständigkeit des Bezirks Lichtenberg. Außerdem die Schaffung eines Safe Places auf dem Gelände des ehemaligen Containerbahnhofs in Zusammenarbeit mit der Berliner Stadtmission und dem Verein Urban Beta in Zuständigkeit des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg.

Was hat sich aber seit 2019 getan?

Am 08. Februar 2021 heißt es in einer Antwort des Berliner Abgeordnetenhauses auf eine schriftliche Anfrage: 2020 konnte die Umsetzung des Projektes coronabedingt nicht durchgeführt werden – die Wahrung von Abständen, sowie die Einhaltung der geltenden Hygieneregeln sei in dieser Form nicht möglich. Diese Entscheidung würde auch für 2021 gelten. Außerdem: “Für den Doppelhaushalt 2022/2023 beabsichtigt die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales – unter der Maßgabe, dass die pandemische Lage dies zulässt – erneut die Umsetzung eines Projekts „Safe Places“ in Kooperation mit einem Bezirk”.

Im Schreiben der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales an den Hauptausschuss (24.08.2021) heißt es: „Vorbehaltlich der Schwerpunktsetzung der neuen Koalition wird die weitergehende Finanzierung im Jahr 2022 aus den dem Einzelplan 11 zur Verfügung stehenden Mitteln sichergestellt werden“. Der hier ebenso beantragten Entsperrung der Haushaltsmittel in Höhe von 20.000,00 € für die erste Phase des Modellprojekts „Safe Places“ für das Jahr 2021 wurde in der Sitzung des Hauptausschusses am 08.09.2021 zugestimmt.

Im Berliner Masterplan zur Überwindung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030 heißt es, „[b]ei erfolgreicher Erprobung sollen Safe Places / Common Places zu einem weiteren Regelansatz der niedrigschwelligen Notversorgung gemacht werden. Dafür müssen die aktuellen Ansätze für das Modellprojekt im kommenden Doppelhaushalt 2022/23 verstetigt und im übernächsten Doppelhaushalt 2024/25 verbindlich festgelegt werden“.

Laut Auskunft des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg sei die Errichtung weiterhin geplant: „In ihrer Vereinbarung zur Bildung einer Zählgemeinschaft haben sich die Bezirksverbände der Parteien B´90/Grüne und SPD zu einem solchem Vorhaben bekannt. DIE LINKE – obwohl nicht Teil der Zählgemeinschaft – hat eine solche Idee im Wahlkampf unterstützt“. Konkrete Flächen würden immer noch diskutiert werden – die geplante Umsetzung in Kooperation mit der Berliner Stadtmission auf dem Gelände des ehemaligen Containerbahnhofs wurde jedoch nicht realisiert. Der Bereich Soziales würde momentan Konzepte erarbeiten, jedoch wäre seitens der Landesebene signalisiert worden, dass keine weitere Finanzierung in Form von Modellprojektmitteln möglich sei.

Die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales verweist auf die Zuständigkeit des Bezirksamtes und darauf, dass man sich noch in Abstimmung zu den kommenden Haushaltsverhandlungen befinde.

Auf einer Wiese an der Ecke Gürtelstraße/Frankfurter Allee (Zuständigkeit des Bezirks Lichtenberg) sollte ein Common Place eingerichtet werden. Dieser ergänzt das Konzept der Safe Places mit einer gemeinschaftlichen Komponente. Bewohner*innen der Tiny Houses in den Common Places, sowie Nachbar*innen der umgebenden Häuser könnten sich hier in Repair-Cafés oder beim Urban Gardening treffen und in den Austausch treten. Die Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg hatte schlussendlich aber gegen die Umsetzung gestimmt, obwohl bereits Gespräche mit Anwohner*innen und von Wohnungslosigkeit Betroffenen geführt wurden.Das Bezirksamt teilt auf Nachfrage weiterhin mit: „Es gibt im Bereich des ehemaligen Containerbahnhofes derzeit ein Projekt mit einigen Wohnwägen, welches einen niedrigschwelligen Einstieg in das Konzept eines „Safe Places“ darstellen kann“.

Die Notunterkunft der Berliner Stadtmission am alten Containerbahnhof 
| Fotos: Amelie Kloas

Die Notunterkunft der Berliner Stadtmission steht auf dem alten Containerbahnhof, hinter dem Ring Center in der Frankfurter Allee. Wohnwägen sind von außen nicht erkennbar. Die große Wärmelufthalle scheint sie abzuschirmen. Auf diesem Gelände sollten Safe Places entstehen und bis heute sind diese nicht auszumachen.

Der Verein Urban Beta, ein Studio für Rauminnovation, arbeitet in den Bereichen Projektentwicklung, Architektur und Foresight. Im Gespräch mit Marvin Bratke und Anke Carlson von Urban Beta, will und kann man nicht viel zur aktuellen Situation der Safe Places in Friedrichshain-Kreuzberg sagen.

Ohne Finanzierung keine „Safe Places“ – Ein leeres Versprechen also?

Im Interview erzählt Jörg Richert, Vorstandsvorsitzender der Karuna e.V., von dem Planungsprozess und den Hürden bezüglich der Umsetzung. Ein Safe Place würde die Ausgangslage für karitative Versorgung um einiges verbessern. Soziale Arbeit würde besser greifen, da dann ein zentraler Ort der Ansprechbarkeit besteht. Viel effektiver wäre es, wenn möglicherweise hilfsbedürftige Menschen nicht dezentral gesucht werden müssten, sondern klar wäre, an welche Stellen Sozialarbeiter*innen effektiv Hilfestellung leisten können. Des Weiteren würden Safe Places eines der vorrangigsten Probleme wohnungsloser Menschen entgegentreten: der Schlaflosigkeit. Erst wenn sich Menschen sicher fühlen, könne dann ein Leben ohne ständiges Wachbleiben und permanente Wachsamkeit aus Befürchtung vor Übergriffen möglich werden. Auch bedeuten die Safe Places/Common Places eine Schaffung von gemeinschaftlichem Raum, der einen Beitrag zur Transformation, heraus aus der immer noch vorherrschenden Viktimisierung von Wohnungslosen, hin zu einem Umgang auf Augenhöhe schafft.

Viele Menschen, die seit langer Zeit wohnungslos sind und dementsprechend jahrelange Stigmatisierung erfahren haben, wollen nicht in reguläre Wohnungen ziehen. Das müsse akzeptiert werden, denn auch das sei eine freie und legitime Entscheidung. Mittels performativer Soziologie könne im Rahmen von Modellprojekten wie das der Common Places dann zum Beispiel erforscht werden, ob Menschen, die einige Zeit in Safe Places wohnen dann auch in eine reguläre Wohnung ziehen möchten.

Jörg Richert sieht aber nicht die Finanzierung als Problem – das würde mithilfe von Stiftungen auch ohne ausschließliche Finanzierung seitens des Senats funktionieren. Das größere Problem wäre eher die Suche nach einer geeigneten Fläche. Die andere Seite der Medaille wären nämlich die Beschwerden von Anwohner*innen über jene Plätze, an denen sich viele Menschen zum Übernachten und Leben versammeln.

So auch Florian Fleck, Anwohner der Siedlung in der Nähe der Grünflache Frankfurter Allee/Gürtelstraße. Besonders die Ansammlung unter der Brücke am S-Bahnhof Frankfurter Allee würde teilweise als störend empfunden. Die Hälfte des Gehwegs immer belegt, oft riecht es unangenehm und eine hohe Müllbelastung sei festzustellen. Ideen wie die des Common Places findet er gut. Ihm fällt das Projekt Frieda Süd in der Nähe des jüdischen Museums ein. Ungefähr so könne er sich auch einen Common Place vorstellen.

Abzuwägen wäre laut Jörg Richert also immer der Druck, welcher Seitens Anwohner*innen, Ordnungsamt und Polizei hinsichtlich Einhaltung der öffentlichen Ordnung ausgeübt wird und auf der anderen Seite eben der Anspruch für Menschen da zu sein und Hilfsangebote zu machen. Die Verantwortung nur der Politik zuzuschreiben greife zu kurz. Wohnungslosigkeit und alle damit einhergehenden Probleme und Herausforderungen wären ein stadtgesellschaftliches Problem. Wünschenswert wäre eine Umsetzung, welche sowohl Politik als auch die Zivilgesellschaft einbindet. So wäre auch das emanzipatorische Potential um einiges höher.

Verloren oder nur verschoben?

Zuständigkeit, Finanzierung und Umsetzung werden auf den ersten Blick scheinbar zwischen Bezirk und Senat hin und her geschoben. Klar ist aber, dass der Wille zur Schaffung von Safe und Common Places da ist. Die Suche nach nutzbaren Flächen, die Pandemie und die Finanzierung seitens des Senats stellen jedoch erhebliche Barrieren dar. Die Mühlen der Bürokratie mahlen, so wie das in Berlin eben ist. Die Modellprojekte gehen aber zumindest nicht ganz verloren. Es bleibt abzuwarten, was der Berliner Doppelhaushalt 2022/23 bringt und ob, wenn die Finanzierung gesichert ist, dann auch eine Umsetzung erfolgt.
Trotz aller Schwierigkeiten ist zumindest Jörg Richert optimistisch und sagt: “Der aktivistische Geist der Zivilgesellschaft wird dafür sorgen, dass die Stadt solche Plätze bekommt”.


Amelie Kloas studiert im 5. Semester Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, sowie Politikwissenschaft an der FU Berlin. Ihre journalistische, sowie wissenschaftliche Arbeit wird geleitet von kritischen Perspektiven auf gesellschaftspolitische Strukturen und Entwicklungen.