Away from the family: Das Leben von Auslandstudierenden in der Corona- Pandemie

Mohamed aus Ägypten auf den Stufen zum Wohnheim. Foto: Nika Agababyan

Away from the family: Das Leben von Auslandstudierenden in der Corona- Pandemie

Die Corona-Pandemie war und ist immer noch eine große Herausforderung für alle: Die Angst vor dem Virus, der Travel-Ban und besonders der Lockdown. In diesem Beitrag erzählen ausländische Student*innen von ihren Perspektiven.

von Nika Agababyan

Es war nie so voll hier an Weihnachten. Ein großes Wohnheim mitten in Charlottenburg, das für viele internationale Studierende ihr Zuhause ist, — hier ist immer etwas los. Lebhaftes Geplauder in den gemeinsamen Küchen, jemand spielt die neuesten TikTok-Songs so laut, dass der ganze einhundertjährige Altbau zittert, fröhliches Gelächter in den Fluren. Und dann — wie eine Zauberei. Es sind winterliche Semesterferien, wo fast in jedem Land was gefeiert wird. Viele Student*innen besuchen ihre Familien oder machen Reisen mit ihren Freund*innen. Das Gebäude bleibt fast leer.

Das studentische Wohnheim in der Danckelmannstraße. Dieses 115 Jahre alte Gebäude ist das Zuhause für 156 Studierende. | Photo: Nika Agababyan

So war es jedes Weihnachten in dem Wohnheim in der Danckelmannstraße. So war es — bis das Leben von allen plötzlich geändert wurde. Die Corona-Pandemie hat viele von uns monatelang zu Hause gehalten, aber jeder hat es anders erlebt: Mit seiner Familie, in einer WG oder einer Einzelwohnung, in einem anderen Land ohne die Möglichkeit seine Mutter zu umarmen.

Der Travel-Ban und das Neujahrsfest im Freundeskreis

Unsere Freundesgruppe war ganz bunt: Leute aus vielen unterschiedlichen Ländern wie Vietnam oder Georgien, und nur eine Person aus Deutschland. Wir waren alle Student*innen, haben alle die Peinlichkeit von Online-Vorlesungen und “Just stay home” geteilt. Aber Weihnachten und dann Neujahr kamen, und nur unser deutscher Freund konnte nach Hause. Klar, nicht alle wollten, aber, wie N. aus der Türkei sagte, “wenn es kein Flug gibt, auch wenn du nicht unbedingt deine Familie sehen möchtest, dass du es nicht kannst ist ein komisches Gefühl”. N. wohnt seit sechs Jahren in Deutschland und würde sich wünschen, seine Familie öfter sehen zu können. “Das war das Ding. Du hast Bock plötzlich und die Flüge sind OK, du möchtest gehen und du kannst es nicht”.

Am Ende des Jahres 2020 galten 175 Länder — fast alle, die es gibt — als “Risikogebiete”. Das bedeutete eine zehntägige Quarantäne nach der Einreise und eine Testpflicht. Man musste einen guten Grund dafür haben, um nach Deutschland zurückkommen zu dürfen. Eine deutsche Staatsbürgerschaft war als Grund natürlich gut genug; andere mussten ihr Recht, nach Deutschland zu kommen, beweisen.

Auch viele andere Länder haben den Travel-Ban oder starke Reiseeinschränkungen im Angesicht der Pandemie eingesetzt. Haoyan aus China hat 2019 ein Semester in Deutschland studiert und ist zurück nach China gezogen, als das Virus ausgebrochen ist. Im letzten März ist sie wieder nach Deutschland gekommen und wohnt jetzt in unserem Wohnheim. “China führt diese “Null Positive Fälle”-Politik. Das bedeutet, dass die chinesische Regierung gar keine positive Fälle in China haben will, deswegen ist es wirklich schwer für uns, zurück nach China zu fliegen. Das Flugticket ist ganz teuer und wir müssten auch, wenn wir zurück nach China wollten, in Isolation bleiben. Früher war es sogar ungefähr ein Monat (14 Tage plus 14 Tage). Jetzt ist es ein bisschen lockerer, aber trotzdem müssen wir noch sieben Tage im Hotel plus drei Tage zuhause in Isolation bleiben.” Deswegen ergab es für Haoyan überhaupt keinen Sinn, für ein oder zwei Wochen nach China zu fliegen.

Einsamer, gedeckter Tisch in einer der Küchen des Wohnheims. Vor der Pandemie war hier immer viel Trubel. | Foto: Nika Agababyan

In China feiert man das Neujahr viel später: Irgendwann zwischen dem 21. Januar und dem 21. Februar, abhängig von dem Mondkalender. Es ist eines der wichtigsten Feste in China, das man unbedingt mit der Familie verbringt. “Ich glaube, es ist wie Weinachten in westlichen Ländern,” sagt Haoyan. Das letzte chinesische Neujahr hat sie in Deutschland verbracht. “Es ist wirklich schade, wenn man es nicht zusammen mit seiner Familie verbringen kann. Ich habe hier mit einigen chinesischen Kommilitonen gefeiert. Wir haben etwas gekocht und zusammen gegessen”.

“Das war richtig deprimierend”

Die Corona-Pandemie hat viele Herausforderungen mit sich gebracht, auch Psychologische. Laut RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), fühlte sich rund die Hälfte der Deutschen in den ersten Monaten einsam. Bei jüngeren Menschen (geboren ab 1994, praktisch die Altersgruppe eines studentischen Wohnheims) waren die Zahlen mit 62 Prozent am höchsten. “Ein großer Nachteil waren natürlich die eingeschränkten sozialen Kontakten,” sagt Mohamed aus Ägypten, der seit vier Jahren in Deutschland wohnt. “Das war richtig deprimierend, dass man wirklich nicht mehr in die Mensa gehen kann, Freunde treffen kann. Als ich meine Freunde damals getroffen habe, fühlte ich mich, als ob ich etwas illegales gemacht habe. Außerdem konnte ich keine neuen Freundschaften machen, keine neuen Leute kennenlernen. Sogar meine Gruppe an der Uni, wir kannten uns nur durch Microsoft. Und ich glaube bis jetzt, die engeren Freunde, die ich habe, sind immer noch diejenigen, die ich aus dem ersten, zweiten Semester vor Corona kennengelernt habe”.

Mohamed, wie alle anderen Interviewten, bestätigte, dass er sich einsam gefühlt hat und sogar depressiv war. “Damals habe ich versucht das ein bisschen auszugleichen, im Sinne, dass ich mehr Sport gemacht habe, mehr Hobbys entdeckt habe, was ich vorher nicht gemacht habe. Man durfte einfach niemanden treffen. Viele hatten damals Angst, und es ist natürlich verständlich — so eine Situation, wo man vorsichtig sein soll”. Mohamed sagt, dass er während der Pandemie weniger mit seiner Familie in Kontakt stand — und das fand er Schade. “Damals war nicht viel los, worüber man reden oder diskutieren kann. Normalerweise würde ich mit meinem Vater telefonieren, ich erzähle ihm, wie mein Alltag war, was ich heute gemacht habe, was neu ist. Und während Corona gab es weniger Sachen, die man als neu bezeichnen kann”.

Die andere Seite der Pandemie

Obwohl das Virus niemanden diskriminiert, hat jeder die Pandemie und den Lockdown anders erlebt — je nach Altersgruppe, Wohnsituation, Gesundheitszustand, Finanzlage. Mohamed sieht auch einen Vorteil in der Corona-Pandemie: “Das einzige Gute war, dass die Vorlesungen nicht in Präsenz waren. Eine Vorlesung ist halt, ein Professor, ein Doktor, der etwas über ein Thema vorliest, und da gibt’s nicht viel Raum, um Fragen zu stellen — anders als bei einem Seminar. Und vor Corona war es einfach Unsinn, dass man eine Stunde lang durch die Stadt fahren muss, damit man jemanden beim Reden zuhören kann”.

Selbstgebastelter Desinfektionsmittelhalter. Als die Pandemie kam, musste man schnelle Lösungen finden. | Foto: Nika Agababyan

Julieta aus Peru hat eine gegenteilige Erfahrung gemacht. Sie hat das Campusleben von Anfang an genießen können, da für sie fast alles in Präsenz stattgefunden hat. So konnte sie auch viele neue Freundschaften schließen. Als die Pandemie ausgebrochen ist, war sie noch in ihrem Heimatland: “Ich hatte eigentlich viel Glück, weil ich mit meiner Familie die ganze Zeit war, und mit meinen Hunden und meinen Schwestern, ich war nie alleine. Ich glaube, meine Familie hatte viel viel Glück, ökonomisch und so, im Vergleich zu vielen Orten in Peru, also es war nicht so schwer.“

Haoyan, nach ihrer Einsamkeit gefragt, sagt, dass die Pandemie nicht der einzige Grund dafür war. “Wir haben als ausländische Studierende zum Beispiel Sprachprobleme. Und auch ohne Familie und ohne Freund*innen, die in China sind, müssen wir neue Leute kennenlernen. Wegen der Pandemie ist die Situation sogar etwas schwieriger, weil wir in Deutschland letztes Jahr auch Isolation und weniger Kontakte hatten. Es war noch schlimmer, weil wir alleine im Zimmer wohnen.“

Alle Personen, die ich befragte, sprachen über die Wichtigkeit von sozialen Kontakten und die Einsamkeit, die uns beherrscht, wenn wir zwangsläufig isoliert sind. Vor allem, wenn man in einem anderen Land sein Leben aufbauen möchte, spielt es eine riesige Rolle, Freund*innen zu gewinnen und gleichzeitig den Kontakt zu seiner Familie nicht zu verlieren. Es ist kein Wunder, dass junge Menschen sich am meisten einsam gefühlt haben: Die Hochschule ist ein wichtiger Ort, wo man sich als aktiver Teil der Gesellschaft identifiziert. Es ist vor allem für diejenigen wichtig, die in dieser Gesellschaft neu sind, — egal, ob man aus der Türkei, China, Ägypten oder Peru kommt.


Nika Agababyan studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft im 4. Semester. Am Anfang der Pandemie wurde ihr Flug in die Heimat abgesagt. Infolgedessen hat sie ihre Familie fast eineinhalb Jahre nicht gesehen.


2022-10-22T00:18:55+02:00 Kategorien: Lesen, Wissen + Wirken|Tags: , , , , , , |