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[Neue Forschungen zum Mittelalter]



Clemens IV., Papst von 1265 bis 1268.

Womit beschäftigte sich ein Papst des Hochmittelalters? Was dachte und fühlte er? Als Gui Foucois um 1200 in Südfrankreich geboren wurde, konnte niemand ahnen, dass der Sohn einer bürgerlichen Familie später als Clemens IV. den Stuhl Petri besteigt. Eine Laufbahn innerhalb der Kirche war zunächst nicht vorgesehen, er zog ein Jurastudium in Paris vor. Erst nach dem Tod seiner Frau wurde er Priester und erklomm in rascher Folge die kuriale Karriereleiter, die ihm 1259 die Würde des Erzbischofs von Narbonne, nur fünf Jahre später die Ernennung zum Kardinal einbrachte. Er nutzte die Chance und bewies Geschick in Politik und Verwaltung. Seine Wahl 1265 zum Papst konnte dann auch kaum überraschen. In politisch turbulenter Zeit bedurfte die Kirche eines Mannes, der über Durchsetzungsfähigkeit und diplomatisches Gespür verfügte, gleichzeitig aber kompetenten Rat in seine Entscheidungen einbezog. Auch wenn Clemens IV. nicht allen Erwartungen gerecht werden konnte, hatten die Kardinäle doch eine gute Wahl getroffen. Die Residenzen in Perugia und Viterbo – Rom sollte er als Papst nie betreten – wurden Zentren seines Wirkens. Seine Politik vermittelte er vielfach in Briefen.

Unzählige Schreiben verließen die Kurie, wurden in Registern erfasst. Sie bildeten das Gedächtnis der Kurie, war das Papsttum doch die erste Institution in Europa, in der eine geordnete Registerführung zum unverzichtbaren Bestandteil effizienten Regierens geworden war. Was den Pontifikat Clemens’ IV. jedoch besonders auszeichnet, ist die Existenz einer 556 Stücke umfassenden Sammlung, die bereits zu seinen Lebzeiten den Titel „Epistolae Clementis pape quarti“ trug. Wichtige, jedoch längst nicht alle Schreiben, die die Kurie verließen, wurden dabei in chronologischer Ordnung auf Lagen eingetragen, die nach dem Tod des Papstes im Jahr 1268 zu einem Band vereint wurden. Dieser Originalband gilt heute als verloren. Abschriften sind allerdings erhalten. In ihrer Mischung aus Briefen hochpolitischen, aber auch sehr persönlichen Inhalts ist diese Sammlung einzigartig. Ihr Wert wurde recht früh erkannt: bereits 1717 wurde sie Gegenstand einer fehlerhaften Edition, die heutigen Ansprüchen aber in keiner Weise mehr genügen kann.

Matthias Thumser, Professor für Mittelalterliche Geschichte am Friedrich-Meinecke-Institut, wurde bei einem längeren Forschungsaufenthalt in Rom auf diesen Missstand aufmerksam und entschloss sich zu einer kritischen Neuedition, die alle bekannten Handschriften berücksichtigt. Nach einigen Neufunden konnte er die Textbasis auf 18 Handschriften – verteilt in ganz Europa – erweitern. Auf der Grundlage dieser Zeugnisse entstand in den letzten Jahren ein kritischer Text, der dem verlorenen Original sehr viel näher kommt als der Druck des 18. Jahrhunderts. Finanzielle Förderung durch die DFG trieb das Projekt weiter voran. Derzeit wird der so genannte Sachkommentar erstellt, mit dessen Hilfe die in den Briefen geschilderten Sachverhalte entschlüsselt und eingeordnet werden. Diese Arbeit gestaltet sich nicht immer einfach. Wenn Clemens IV. beispielsweise an Bekannte aus alten Tagen schreibt und einen Ritter eindringlich davor warnt, nach dem Tod der Gattin eine neue Ehe einzugehen, dann ist nicht nur der eigentliche Personennachweis extrem schwer zu führen. Auch die Sache selbst – ist der ansonsten völlig unbekannte Ritter dem Ratschlag eines alten Freundes gefolgt? – kann nur mit großem Aufwand nachvollzogen werden. Einfacher im Umgang erweisen sich die Briefe, in denen Gegenstände der hohen, das heißt der für das Papsttum zentralen internationalen Politik verhandelt werden. Unter Clemens IV. wird der letzte Staufer Konradin 1268 enthauptet. Dass dieses Ereignis auch außerhalb der Kurie europaweit intensiv rezipiert wurde, erleichtert die Tätigkeit der Kommentatoren. Diese Briefe bestechen durch Klarheit und lassen das Bemühen deutlich werden, päpstliche Anweisungen als das deutlich werden zu lassen, was sie sind: Verbindliche Willensbekundungen, deren Nichterfüllung massive Sanktionen nach sich ziehen kann.

Ist es überhaupt möglich, Erkenntnisse über einen mittelalterlichen Papst zu gewinnen, vielleicht den Menschen zum sprechen zu bringen? Clemens IV. bricht nicht mit seiner Vergangenheit, sondern behandelt in seiner Privatkorrespondenz Themen, die ihm vor seiner Erhebung zum Papst, ja sogar vor seiner Weihe zum Priester wichtig waren. Anders ausgedrückt: Die Person verschwindet nicht hinter dem Amt. Dass er dabei Nepotismus unter allen Umständen unterbinden wollte, zeigt ein Brief an seinen Neffen: Bescheiden solle er sein, sich nichts auf die hohe Stellung seines Onkels einbilden und es im übrigen unterlassen, die Papstresidenz aufzusuchen. Selten hat ein Papst seiner Verwandtschaft eindringlicher vor Augen geführt, dass sie von ihm in materieller Hinsicht nichts zu erwarten habe. Die Spannbreite der in der Briefsammlung behandelten Themen ist denkbar weit und vermittelt allein deshalb nicht nur Einblicke in das trockene Tagesgeschäft der Kurie.

Ralph Lützelschwab

Foto: KHI/FU Berlin


[Informationen]

Die Quellenedition bildet am Lehrstuhl von Matthias Thumser einen Schwerpunkt. Neben mehreren Dissertationen wird mit dem Livländischen Urkundenbuch ein weiteres großes Projekt betrieben, das viele Dokumente zur spätmittelalterlichen Geschichte des heutigen Lettland und Estland enthalten wird. Seit fünf Jahren trifft sich in einer engen Kooperation mit der Universität Torun (Polen) regelmäßig der deutsch-polnische Gesprächskreis zur Quellenedition, der sich zu einer Plattform für editorische Aktivitäten in den historischen Regionen Ostpreußen, Pommern und Schlesien entwickelt hat.

rl


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