[Freie Universität Berlin] [FU-Nachrichten - Zeitung der Freien Universität Berlin]
 
  
Titel[Ausgabe 1-3/2004]ktuellWissenschaft[Ausgabe 1-3/2004]tudentenCommunityVermischtes
FU Nachrichten HomeFU-Nachrichten ArchivFU Nachrichten SucheLeserbrief an die RedaktionImpressumHomepage der FU Pressestelle
Vorheriger Artikel...
Nächster Artikel...

[Prüfungszeit: Mit Selbstvertrauen gegen das Lampenfieber]



Erschlagen und begraben: Vor Prüfungen und Klausuren häuft sich ein Berg von Lernstoff.


Das Hochschulvokabular, erfährt schon der Studienanfänger, besteht aus feinen, aber bedeutungsvollen Nuancen: Die Semesterferien beispielsweise heißen offiziell vorlesungsfreie Zeit. Und das aus gutem Grund. Denn die vorlesungsfreie ist prüfungsvolle Zeit. Gerade in den ersten Wochen warten Klausuren, mündliche Prüfungen, schriftliche Hausarbeiten. Statt in den Urlaub fährt der Student in die Bibliothek.

Die Lernzeit gleicht dabei oft einem Ausnahmezustand. Vergnügungen abseits des Examensstoffes kennt der Prüfling seit langem nicht mehr. Die besten Freunde bekommen eine Sammelmail, in der steht: „Bin im Lernstress. Melde mich in vier Wochen.“ Allein der Gedanken an die Bücher und Skripte, die sich ungelesen auf dem Schreibtisch stapeln, treibt Studierenden Angstschweiß auf die Stirn. Die Kommilitonen tun derweil ganz cool, als ob sie nicht für eine wichtige Prüfung lernen, sondern ein Geburtstagsständchen für den oder die Liebste einüben. Alles Show, meint Holger Walther, der schon unzählige Studierende vor Prüfungen psychologisch beraten hat: „Es haben weitaus mehr Studenten Bammel vor Prüfungen als das zugeben wollen.“ Vierzig Prozent leiden nach Untersuchungen seiner Kollegen der FU Berlin über mehr oder minder schwere Prüfungsangst und Lernschwierigkeiten. Beides muss nicht sein. Denn: Auch lernen können Studenten lernen. Und Prüfungsängste führen durchaus zu einem positiven Examensergebnis, wenn Studierende richtig mit ihnen umgehen.

Prüfungsprobleme fangen oft schon bei der Vorbereitung an. Vielen Studierenden kommt der Lernstoff schier unüberwindlich vor, hat Helga Knigge-Illner von der Psychologischen Beratung der Freien Universität bemerkt. In Zeiten, in der die Wissenschaft in immer kürzeren Abständen das verfügbare Wissen verdoppelt, vermehrt sich potenzieller Prüfungsstoff schließlich genauso schnell. Helga Knigge-Illner rät Lernenden deswegen, zunächst eine „realistische Bestandsaufnahme“ des Prüfungsstoffes zu machen. Studenten sollten feststellen, was sie überhaupt wissen müssen, wie viel Zeit zur Vorbereitung bleibt und danach einen Lernplan aufstellen. „Der Mut zur Lücke ist ganz wichtig“, sagt sie. Deshalb sollten Studierende zunächst die elementaren Inhalte und Theorien zu ihren Themen erarbeiten. „Ins Detail kann man später immer noch gehen.“

Nehmen sich Studierende die Arbeitsmoral Thomas Manns zu Herzen, hilft das ihrem Lernerfolg ebenfalls weiter. Der große Schriftsteller marschierte bekanntlich täglich Punkt neun Uhr morgens in sein Arbeitszimmer und schrieb an seinen Werken. „Man muss der Psyche signalisieren, dass ernsthaft gelernt wird“, sagt Holger Walther. Das klappt am besten, wenn der Studierende immer zur gleichen Zeit am gleichen Ort sein tägliches Pensum erfüllt. Eine zehnminütige Pause darf der Examenskandidat beim Büffeln ruhig alle Dreiviertelstunde einlegen. Er empfiehlt: „Pause bedeutet: Aufstehen, Rausgehen, Ablenken. Das Gehirn muss sich langweilen dürfen.“

Scheitern Studierende an der Zeitplanung, helfen Kurse der FU-Studienberatung weiter. Dort vermitteln Psychologen Tipps und Tricks zur Verbesserung der Lern- und Arbeitstechniken. Seit neuestem bietet die Studienberatung zum Thema Zeitmanagement einen E-Learning-Kurs an, den Interessenten auf der FU-Webseite herunterladen können.

„Prüfungen sind zurecht eine aufregende Situation“, tröstet Holger Walther alle Studenten, die trotz einer intensiven Vorbereitung am Tag X zittern vor Aufregung und zur Beruhigung eine Zigarette nach der anderen rauchen. Eine gesunde Nervosität schadet dem Prüfungsergebnis nicht, sondern befördert es durchaus, meint Helga Knigge-Illner: „Mit einer gewissen Aufregung wird man aufmerksam, aufnahmebereit und klarsichtig.“ Sportler kennen dieses Gefühl als den nötigen Adrenalinkick, um ein herausragendes Ergebnis zu erkämpfen, Schauspieler als Lampenfieber vor dem Auftritt, das sie nicht missen möchten. Wer dagegen zu schlaff und gleichgültig dem Prüfer gegenübertritt, riskiert sogar eine schlechte Note. „Dann achtet man nicht richtig auf die Fragen und beantwortet sie nicht konzentriert genug“, sagt sie. Studierende ohne Prüfungsangst motivieren sich deswegen auf andere Weise, hat Helga Knigge-Illner beobachtet: „Die sagen sich: Ich will jetzt mal zeigen, was ich drauf habe.“

Schwere Prüfungsangst dagegen äußert sich in körperlichen Reaktionen schon lange vor dem eigentlichen Prüfungstermin. Die Betroffenen schlafen schlecht, leiden unter Appetitlosigkeit, bekommen unvermittelte Schweißausbrüche oder regelrechte Panikattacken, sobald sie an die bevorstehende Prüfung denken. „Das liegt an der Interpretation der Prüfungssituation durch die Betroffenen“, erläutert Holger Walther. Studenten mit schwerer Prüfungsangst halten die nächste Klausur oft für lebensentscheidend: Wer durchfällt, kann das Studium und damit die gesamte Lebensplanung abschreiben. Das gilt insbesondere für das abschließende Examen: „Das wird dann schnell als eine wahrhaft bedrohliche Situation ausgelegt“, sagt er. Hier hilft den Betroffenen, sich klar zu machen, dass von einer Prüfung keineswegs das Leben abhängt. „Prüfungen sind zwar wichtig, aber nicht tödlich“, ermuntert Holger Walther. Ein Notfallszenario mit alternativen Plänen im Fall des Scheiterns gibt vielen Studenten bereits einige Sicherheit.

Wobei der Notfall statistisch gesehen selten eintritt: Nach Angaben des Statistischen Landesamtes fielen im Jahr 2001 bei 14.849 abgelegten Prüfungen an Berliner Hochschulen nur 193 Kandidaten durch. Der Psychologe rät außerdem, eine individuelle psychologische Beratung oder Gruppen und Workshops zum Thema Prüfungsangst zu besuchen: „Oft erleichtert es Studenten schon, wenn sie sehen, dass Kommilitonen ähnliche Probleme haben.“

Zuviel Lernen tut übrigens auch nicht gut. „Mehr als sechs bis acht Stunden kann der Mensch nicht konzentriert lernen“, sagt Walther. Wer morgens mit der Paukerei beginnt, hat abends also noch genügend Freizeit. „Man sollte sich jeden Tag eine kleine Belohnung fürs Lernen gönnen“, empfiehlt Holger Walther. Auf ein wenig Vergnügen braucht man also auch im tiefsten Lernstress nicht zu verzichten.

Tilmann Warnecke

Foto: Ausserhofer


[Literatur]

Helga Knigge-Illner, Keine Angst vor Prüfungsangst. Strategien für die optimale Prüfungsvorbereitung im Studium, Frankfurt a.M.: Unicum bei Eichborn, Frankfurt/M.

Hans-Werner Rückert, Schluss mit dem ewigen Aufschieben. Wie Sie umsetzen, was Sie sich vornehmen, Campus Verlag, Frankfurt/M.

Umberto Eco: Wie man eine wissenschaftliche Abschlussarbeit schreibt, UTB, Paderborn.


 Zum Anfang des Artikels...