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[Methoden, um Lesestörungen früh zu entdecken]


Bewusstsein und Sprache gehören eng zusammen: Neurologen suchen die Ursachen von Problemen mit Sprache und Wörtern.

Arthur Jacobs ist ein Genießer. Jemand, der mit vielen Fasern seines Herzens Wissenschaftler ist, auch wenn er als Nachfolger von Wolfgang Schönpflug vor allem über kognitive Prozesse im Gehirn forscht. Von deutschen Städten erinnert Berlin den Vater zweier Söhne am meisten an Paris, weshalb er sich „tierisch“ über das Angebot der Freien Universität gefreut habe, ihn ab 1. November 2003 als Professor für Allgemeine Psychologie zu beschäftigen. „Immerhin bin ich seit zwölf Jahren der erste neue Professor in der Psychologie,“ sagt der „genetisch vorbelastete“ Frankophile und zählt die Vorteile auf, die der Standort Berlin für seine Forschung im Bereich der Lese- und Lernforschung habe. Das beginnt bei den topaktuellen Forschungslaboren, die Jacobs in der Silberlaube einrichten wird und endet bei den guten Kontakten zur Humboldt-Universität und der Universität Potsdam, wo Kollegen an ähnlichen Fragen arbeiten.

Damit, wie Legasthenie mit Hilfe von computergestützten Methoden erkannt werden kann, beschäftigt sich der naturwissenschaftlich orientierte Psychologe schon seit seiner Studienzeit Ende der siebziger bzw. Anfang der achtziger Jahre. Der Sohn seines Doktorvaters arbeitete mit einem so genannten Blickbewegungsmessgerät, mit dessen Hilfe sich nachweisen ließ, dass Kinder mit Leseschwäche mit den Augen mehrere Sekunden um ein Wort kreisen, ohne dass sie es in seinem Sinn erfassen. Kaum war die Leidenschaft für die Leseforschung geweckt, reiste der junge DAAD-Stipendiat nach Paris, wo er sein Studium an der Université René Descartes, Sorbonne, mit einem Thema zur Leseschwäche beendete. Nach einem Zwischenspiel in Würzburg, das den „Dipl. Psych“ brachte, schrieb der heute 45-Jährige in Paris auf Französisch eine Dissertation bei Ariane Lévy-Schoen und Kevin O’Regan – zwei Koryphäen der experimentell arbeitenden Leseforschung. Der letzte Schliff kam während eines Forschungsaufenthalts in den USA, am „Center for the Study of Reading“ an der University of Illinois.

„Stellen Sie sich vor, Sie werden gebeten, dass Wort Reineclaude laut zu lesen oder das Ihnen vorgesprochene Wort „talje“ zu buchstabieren,“ beginnt Jacobs seine Forschung zu erklären. Immer mehr Kinder hätten Probleme Wörter richtig zu schreiben oder richtig auszusprechen. Um die verschiedenen Typen von Lesestörungen zu erklären, ist es notwendig, wie die zugrunde liegenden kognitiven Prozesse der Kodierung und Dekodierung der gesprochenen Sprache beim Lesen, Buchstabieren und Schreiben funktionieren. Jede Sprache hat dabei eigene Unregelmäßigkeiten. Wer einmal französische Vokabeln gepaukt hat, weiß, wie schwierig die Schreibweise von Wörtern ist. „Alleine für das Phonem /o:/ gibt es zwölf verschiedene Schreibweisen“, erzählt Jacobs, der lange Jahre in Frankreich gelebt hat. „Denken Sie nur an: eau, eaux und oh!“ Die englische Sprache wiederum habe andere Schwierigkeiten. Hier sei vor allem die Schrift-Laut-Kodierung problematisch. „Die drei Wörter park, hand und ball werden unterschiedlich ausgesprochen, aber alle gleich mit „a“ geschrieben“, erklärt Jacobs.

In einem 2003 bewilligten DFG-Projekt will Jacobs die „phonologischen Prozess beim Lesen komplexer Wörter“ im Spanischen, Deutschen und Französischen untersuchen. In einem gerade von dem DAAD genehmigten zweiten Projekt werden spanische und deutsche Psychologen der Frage nachgehen, welche die Rolle die Silben bei der Worterkennung spielen.
Doch wer denkt, es handle sich bei den Silben- um Glasperlen-Spielereien eines Forschers im Elfenbeinturm, fehlt. Jacobs Forschungen haben einen hohen Anwendungsbezug und damit Nutzwert für Klinik und Schule. „Wir sind inzwischen in der Lage einzelne Lesestörungen bei Kindern mit Hilfe von lexikalischen Entscheidungstests in Verbindung mit einem EEG und bildgebenden Verfahren nachzuweisen,“ sagt Jacobs, der von 1992 bis 1996 als Leiter der Gehirn und Sprachgruppe am Centre de Recherches en Neurosience Cognitive in Marseille gearbeitet hat. Bislang kennt die neuropsychologische Forschung neun verschiedene Typen von Lesestörungen, die von dem Problem, Worthälften zu unterscheiden (Neglect-Dyslexie) hin zum Problem, unbekannte Wörter (phonologische Dyslexie) zu verstehen, reicht.

Nach wie vor würden viele Lese- und Leistungsstörungen bei Kindern viel zu spät entdeckt, da es häufig keine brauchbaren und nach Sprachen differenzierten Testverfahren gebe. Nicht nur Kinder, sondern auch Menschen nach einem Schlaganfall profitieren indessen von Jacobs Erkenntnissen, weil sich nach der Diagnostik der Störung leichter ein spezielles Sprachtherapie-Programm entwickeln lasse. Der Rheinländer will deshalb möglichst rasch Kontakte zu neurologischen Kliniken im Berlin-Brandenburger Raum aufnehmen. „Derzeit kommen unsere Klienten noch aus dem Münchner Raum“, sagt Jacobs, der nach zwei Jahren Professorenschaft in Marburg von 1998 bis 2003 an der Katholischen Universität Eichstätt lehrte.

Felicitas von Aretin

Foto: UNICOM


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