John-F.-Kennedy-Library der Universität in Addis Abeba, ein Geschenk der Amerikaner aus den 60er Jahren.
Eine Privataudienz bei der Königin von Saba, die älteste christliche Kultur der Welt, die Quelle des Blauen Nil oder Lucy, die vier Millionen Jahre alte Urmutter der Menschheit: Äthiopien bietet einzigartige Natur- und Kulturschätze. Für Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen gilt es als Eldorado. Doch die meisten Menschen kennen es nur als Land des Hungers, der Dürre und des Krieges.
Wer den Sprung nach Äthiopien wagt, erlebt eine Überraschung. Obwohl die überwiegende Mehrheit der rund sechzig Millionen Menschen in Armut lebt, bietet die Hauptstadt Addis Abeba das Antlitz einer modernen Metropole. Der Flughafen wurde neu gebaut, eine Autobahn umschließt das Stadtzentrum, große Hotels sind entstanden. Seit der Grenzkonflikt mit Eritrea zu Ende ist, blüht das Land auf. Immer mehr Touristen strömen in die verschiedenen Landesteile: zu den prachtvollen Kirchenstätten im Norden; zum Tanasee, der als Wiege des Blauen Nil gilt oder zu den südlichen Nationalparks, deren Wildbestände und Pflanzenreichtum denen Kenias kaum nachsteht. Nur der Osten Äthiopiens ist kaum erschlossen, dort erstreckt sich der Ogaden, eine erbarmungslose Wüste. Interessierte Besucher sollten unbedingt in Addis einige freie Tage einlegen, bevor die Reise ins Landesinnere geht. Die Universität von Addis Abeba gleicht einem Botanischen Garten. Sie entstand auf dem Gelände einer früheren Residenz von Kaiser Haile Selassie. In unmittelbarer Nähe befindet sich das Nationalmuseum, in dem neben dem Australopithecus Lucy etliche Fossilien unserer Vorfahren besichtigt werden können eine der wichtigsten archäologischen Sammlungen der Welt. Nebenbei bietet Addis auch den größten Marktplatz der Welt, der einen ganzen Stadtteil einnimmt: Merkato. Die zahlreichen Dome und Kirchen der äthiopischen Orthodoxie lassen sich in der Fülle ihrer Ornamentik und Wandmalerein durchaus mit polnischen und italienischen Kirchen vergleichen.
Wer Kulturgeschichte sucht, entdeckt im Norden des Landes ein kleines Paradies. Seit 1974 gräbt die Unesco am geheimnisvollen Stelenfeld von Axum, in unmittelbarer Nähe zur Grenze nach Eritrea gelegen. Erst ein Bruchteil der unter den Stelen liegenden Gräber wurde freigelegt. Vor der Stadt erheben sich die Überreste eines Palastes, der einmal der Königin von Saba gehört haben soll.
In Lalibela, rund eine Flugstunde südlich von Axum, schlugen die äthiopischen Kaiser vor 800 Jahren elf riesige Kirchen aus dem vulkanischen Tuff. In den Felsgipfeln der nahen Berge kleben Klöster wie riesige Schwalbennester an der Wand. Solange die Sonne am Himmel steht, schallt der nasale Gesang der ganz in Gelb gekleideten Mönche durch die Schluchten. Lalibela ist das religiöse Zentrum der äthiopischen orthodoxen Kirche. Zum traditionellen Timkat-Fest im Januar, zu Weihnachten und Ostern treffen sich hier zehntausende Pilger aus aller Welt.
Im Nordosten, zum Roten Meer hin, liegen die wichtigsten archäologischen Fundstätten der Archäologen, für die Äthiopien immer wieder neue Überraschungen bietet. Das Land bildet den nördlichen Teil des Rift Valley, das als Geburtsstätte des modernen Menschen gilt. In der Antike spielte Äthiopien als Machtzentrum eine herausragende Rolle, eine Zeitlang saßen äthiopische Könige sogar auf dem Thron der Pharaonen Ägyptens.
Im Süden Äthiopiens liegt Arba Minch, die Stadt der vierzig Quellen quirlig und aufstrebend. Tausende junger Menschen zieht es dorthin, vor allem wegen der Arba Minch University, an der auch deutsche Wissenschaftler tätig sind. Die Bevölkerung in Äthiopien wächst rasant, in wenigen Jahrzehnten könnte sie sich verdoppeln. Der bisher kaum entwickelte Süden gilt als einzige Hoffnung. Nur hier befinden sich ausgedehnte Süßwasserseen, die so genannten Southern Lakes, die sich wie eine Perlenkette vom Turkanasee nach Norden durch das Rift Valley ziehen. Allerdings sind diese Seen sehr flach. Da fast ganz Äthiopien abgeholzt wurde, ist die Bodenerosion ein riesiges Problem. Zum einen schwindet die ohnehin dürre Ackerkrume, zum anderen verschlammen die Seen. Steigende Temperaturen durch die globale Klimaerwärmung lassen die Seen zusehends verdunsten. Deshalb sind in Arba Minch vor allem Geowissenschaftler und Agrarwissenschaftler zugange, um nachhaltige Konzepte zu entwickeln. Einige Studiengänge widmen sich der Ausbildung von Lehrern und Berufsschullehrern, vor allem für die ländlichen Regionen. Analphabetentum und fehlende Ausbildung sind ein ernstes Problem. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch. Nach dem Zusammenbruch der ehemals kollektivierten Staatsfarmen entwickelt sich erst langsam eine tragfähige Landwirtschaft.
Südlich von Arba Minch beginnt der Dschungel, eines der letzten tatsächlich unberührten Naturreservate Afrikas. Darin leben Volksstämme wie die Dassanech oder die Hamer noch immer wie in der Steinzeit.
Von Heiko Schwarzburger
Fotos: HS
Meles Zenawi ist Premierminister von Äthiopien. Während des Besuches der deutschen Delegation unter Bundeskanzler Gerhard Schröder eröffnete er das Gipfeltreffen der Organisation der Afrikanischen Einheit, auf dem der deutsche Gast beim Aufbau von Demokratie und Wirtschaft Hilfe versprach. Mit Meles Zenawi traf sich Heiko Schwarzburger, im Amtssitz des Premiers in Addis Abeba.
Ato Meles, wie ist die Situation in Ihrem Land?
Wir stehen noch ganz am Anfang der Erschließung. Unsere Infrastruktur ist noch unzureichend. Wir müssen neue Straßen und Flughäfen bauen. Gleichzeitig muss die Versorgung mit Lebensmitteln, Strom und Wasser bis ins letzte Dorf gesichert sein. 85 Prozent der Äthiopier sind Kleinbauern. Unser Ziel ist deshalb zuerst die Entwicklung der ländlichen Gebiete und einer stabilen Landwirtschaft.
Welche Zukunft sehen Sie für Handel, Gewerbe und Industrie?
Der Mangel an Bildung ist unser größtes Problem. In den nächsten fünf Jahren wollen wir das Analphabetentum auf rund 50 Prozent drücken. In ländlichen Gebieten können bis zu 80 Prozent der Leute weder lesen noch schreiben. Für technische Berufe läuft zur Zeit ein gemeinsames Programm mit Deutschland, das uns beim Aufbau von Gewerbeschulen und handwerklichen Ausbildungsstätten tatkräftig unterstützt. Unsere Tourismusabteilung ist angewiesen, verstärkt nach Partnerschaften zwischen privaten Veranstaltern und dem Staat zu suchen, vor allem wenn es um die Werbung im Ausland geht.
Wann werden die Programme Ihrer Regierung greifen?
In zwei bis drei Jahren sind wir soweit. Dann können wir verstärkt private Investoren anziehen. Bislang konzentrieren sich die Aktivitäten noch zu sehr auf Addis Abeba. Zugleich werden wir den jungen, privaten Sektor im eigenen Lande stärken. Dazu gehörten bisher die Veräußerung der Regierungshotels, die Freigabe des Handels und der Preise sowie der Abbau der Bürokratie. Es geht langsam vorwärts, aber wir brauchen Zeit.
Donald Johanson & Blake Edgar: Lucy und ihre Kinder, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2000.
Äthiopien, Nelles Jumbo Guide, Nelles Verlag, München 1996.