Portrait eines ukrainischen Datenanalysten in Berlin: Zwischen Konferenzen, Bildschirm und Krieg

Oleksandr R. arbeitet als Datenanalyst bei einem Spieleentwickler in Berlin-Gesundbrunnen. Foto: Athena Riegel

Portrait eines ukrainischen Datenanalysten in Berlin: Zwischen Konferenzen, Bildschirm und Krieg

Oleksandr R. ist 23 Jahre alt und aus der Ukraine. Sein Job als Datenanalyst führte ihn nach Berlin und bewahrt ihn so vor dem russischen Krieg.

von Athena Riegel

Im November 2021 zog er von Kiew nach Berlin – mittlerweile herrscht in seinem Heimatland Krieg. Oleksandr R. kommt ursprünglich aus Avdiyivka, einer kleinen Stadt circa sieben Kilometer von Donezk in der ostukrainischen Region Donbass entfernt. Seit nunmehr acht Monaten lebt er in Berlin und arbeitet als Datenanalyst.

Oleksandr hatte Glück, denn nur wenige Monate nach seinem Umzug, ist es Männern in seinem Alter nicht mehr erlaubt, das Land zu verlassen. Sie gehören im Alter von 18 bis 60 Jahren offiziell zu den wehrpflichtigen Menschen in der Ukraine. Oleksandr muss nicht an die Front, er arbeitet als Analyst bei einem Spieleentwickler in Berlin-Gesundbrunnen.

Daten sind das neue Öl

Sechs Jahre lang lebt und studiert Oleksandr in Kiew. Zuerst macht der jetzt 23-Jährige einen Bachelor in Economic Cybernetics, darauf folgt ein Master in Data Sciences. Während seines Studiums arbeitet Oleksandr in Vollzeit für diverse Unternehmen. Heute ist er als Datenanalyst in einem Spieleunternehmen in Berlin tätig. „Momentan werden Datenanalysten in jeder Firma aus jedem Feld gesucht. Es heißt oft, Daten sind das neue Öl“, erklärt Oleksandr. Vor allem die Firmen, die mehr Umsatz machen wollen, bräuchten dafür die Analysten.

Oleksandr hat deswegen bereits für Firmen aus unterschiedlichsten Bereichen gearbeitet. „Da gibt es keine großen Unterschiede, weil mir das relativ gleichgültig ist welche Daten es sind. Für mich sind es nur Daten“, erklärt der Analyst.

Nach einigen Hürden in Deutschland

Schon während seines Bachelorstudiums überlegt sich Oleksandr, nach Deutschland zu gehen. Er bewirbt sich für einen Masterstudienplatz und wird abgelehnt. In seinem letzten Jahr im Masterstudium in Kiew entscheidet er sich erneut, dass er nach Berlin gehen wolle. „Ich musste mich sowieso nach einem neuen Job umgucken bedingt durch die Corona Pandemie, ist es den meisten Firmen egal, ob ich von der Ukraine oder Deutschland aus arbeite“, erklärt Oleksandr. Im Januar 2021 findet er dann eine deutsche Firma und arbeitet von der Ukraine aus. Nach seinem Master-Abschluss will er nach Deutschland gehen, doch weil sein Arbeitgeber das nicht befürwortet, wechselt er zu seinem jetzigen Job. „Ich habe diese wunderbare Firma gefunden, die mich in allen Bereichen unterstützt hat. Sie zahlten für meinen Flug und hat mir bei meiner Wohnungssuche geholfen“, so der junge Ukrainer.

Diversität wird hier Groß geschrieben

In Oleksandrs Firma arbeiten Menschen aus 32 Ländern. | Foto: Athena Riegel

Für Ukrainer*innen ist es beinahe unmöglich ohne Jobangebot nach Deutschland zu kommen. Um ein Visum zu bekommen, benötige man ein Angebot, erzählt Oleksandr. Deswegen habe er sich zuerst den Job gesucht und ist dann nach Berlin gezogen. Dabei ist Berlin nicht seine erste Wahl in Deutschland. Eigentlich wollte Oleksandr nach Frankfurt am Main. Doch, weil er kein Deutsch spricht, ist es schwierig in Frankfurt Arbeit zu finden. „Alles ist mit Finanzen und Banken verbunden. Weil ich kein Deutsch spreche, war Berlin daher der ideale Ort“, meint Oleksandr.

In seiner Firma sprechen die wenigsten nur Deutsch. „Wir haben 120 Angestellte in der Firma und unter denen sind 32 Nationalitäten vertreten. Also kommt fast jede dritte Person aus einem anderen Land“, erklärt der Datenanalyst. Dadurch gäbe es viele verschiedene Perspektiven bei der Arbeit.

Bildschirm und Stakeholder sind Hauptprogramm

Oleksandr arbeitet 40 Stunden die Woche. Dabei ist es ihm selbst überlassen, ob er ins Büro geht, oder von Zuhause aus arbeitet. Sein Arbeitsalltag findet zwischen Laptop und Konferenzen statt. Die meiste Zeit verbringt er vorm Bildschirm beim Auswerten von Daten.

„Daten zu analysieren, benötigt eine enge Kommunikation mit den Stakeholdern, da du sozusagen das Business Goal verstehen musst“, erklärt Oleksandr. Die „Stakeholder“ sind die jeweiligen Auftraggeber. Diese seien sehr wichtig, um den Kontext der Daten zu verstehen, erzählt der Analyst: „Du kannst Daten analysieren, ohne zu wissen, was die Auftraggeber erreichen wollen. Aber es ist immer gut zu wissen, was der Kontext der Daten ist und was das Ziel ist.“

Neben der Kommunikation mit den Kund*innen, wird auch oft mit Kolleg*innen gearbeitet. „Du sprichst auch mit anderen Personen, wie Data Engineers oder Daten Experten, um die Standards festzulegen.“ Man wolle den Datenverkehr verstehen und arbeitet dafür viel in Team Work, berichtet Oleksandr.

In der Ukraine gibt es Limits

Als Datenanalyst sitzt Oleksandr den ganzen Tag vorm Bildschirm. | Foto: Athena Riegel

Als Ukrainer spürt Oleksandr R. große Unterschiede bei der Arbeit zwischen seinem Heimatland und Deutschland. „In der Ukraine fühlt man sich immer etwas limitiert in Ressourcen wie bei der Finanzierung oder Anzahl an Experten.“ Es sei schwerer für ausländische Expert*innen aus den USA oder Europa, in der Ukraine zu arbeiten. „Wahrscheinlich, weil wir kein Mitglied der EU sind“, sagt Oleksandr. Man fühle diese Erfahrungs- und Wissenslücken in der Ukraine. In Berlin gäbe es im Gegensatz dazu Perspektiven aus der ganzen Welt. „Du kannst hier viel dazu gewinnen und wachsen.“, so Oleksandr. „Der einzige Unterschied ist nur die Sprache und die größere Verantwortung und das Wissen anderer Menschen.“

Berlin – so grün wie Kiew

Deutschland ist das einzige Land auf Oleksandrs Wunschwohnortsliste. Schon vor vergangenem Winter besucht er das Land einige Male. Berlin gefällt ihm besonders gut, weil es ihn an Kiew erinnert. „Kiew ist auch super grün. Dort gibt es viele Parks, das ist eine Gemeinsamkeit zwischen den Städten. Und die Einwohnerzahl ist fast gleich.“, sagt der junge Ukrainer.

Mit 17 Jahren ist Oleksandr nach Kiew gezogen und blieb für sechs Jahre. Das sei ein normales Alter in der Ukraine. Während des Studiums arbeiten die meisten Ukrainer*innen. „Ab dem ersten Jahr fängst du an zu arbeiten, wenn du es mit deinem Vollzeitstudium kombinieren kannst. Und wenn du das schaffst, hast du am Ende deines Masters schon sechs Jahre Erfahrungen gesammelt.“ Deswegen sei es einfach für ukrainische IT- oder Technik Expert*innen Jobs in Deutschland zu finden. In der Ukraine könne man so auch durch Arbeitserfahrungen seine fehlende Schulbildung ausgleichen. „Ich kann sagen, das meiste Wissen habe ich bei der Arbeit bekommen, nicht in der Uni. Da habe ich die Basics gelernt.“, erklärt Oleksandr.

Der Krieg beeinflusst den Arbeitsalltag

Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, hat sich Oleksandrs Arbeitsalltag sehr geändert. Seine Mutter ist nach Berlin gekommen und lebt jetzt mit ihm in seiner 35 Quadratmeter Wohnung in Schöneberg. Bald ziehen die beiden in eine größere Wohnung um. Weil die Wohnung zu klein ist, fährt Oleksandr jetzt regelmäßiger ins Office. Die Nachrichten bestimmen seinen Alltag. „Jeden Morgen wachst du auf und checkst die Nachrichten, was über Nacht passiert ist.“, erzählt der Ukrainer. „Jeder Tag ist gleich. Du fährst ins Büro, trinkst einen Kaffee und checkst dann erneut die Nachrichten. Du hast ein Meeting, schließt deine Tabs und dann ließt du wieder Nachrichten.“ Das ist emotional sehr anstrengend, so Oleksandr. Aber es gehöre mittlerweile zu seiner neuen Normalität.


Athena Riegel (20) studiert Geschichte, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der FU Berlin. Als Freie Journalistin liebt sie es die Geschichten zu erfahren und über sie zu schreiben. Sie findet, jede Perspektive sollte Platz im Journalismus haben.


2022-10-21T23:18:39+02:00 Kategorien: Lesen, Wissen + Wirken|Tags: , , , , , |