Dörte Jacobi. Gebürtige Hallenserin und seit Ende 2015 Stadträtin der Partei „Die Partei“ in Halle (Saale). Mit zehn Jahren war es einer ihrer vielen Traumberufe, Bundeskanzlerin zu werden. Ihr Großvater warnte: „Dörte, du bist viel zu loyal um Politikerin zu werden.“ Dennoch hat sie einen Weg gefunden, ihrem Traum ein klein wenig näher zu kommen. Bis heute hat sie es immerhin bis zur Stadträtin geschafft. Damals ging es erstmal um die Frage, wie man überhaupt in die Politik kommen kann? Mit welchen Schwierigkeiten und Widerständen muss man speziell als Frau rechnen? Hierzu bieten die Erfahrungen von Dörte Jacobi einige interessante Perspektiven.
Von Lisa-Marie Fraga Pinheiro
Generell gilt: Der typische Einsteiger tritt in eine Jugendgruppe einer großen Partei ein, verteilt Flyer, klebt Plakate, hält kleine Vorträge und muss durch sehr gute Leistung und großes Engagement auffallen. Zusätzlich ist es erforderlich, sich ein möglichst großes Netzwerk aufzubauen. Da muss man sich dann behaupten, damit man wahrgenommen wird. Und wenn man es in jungen Jahren schafft, durch viel Einsatz und gute Netzwerkarbeit den Konkurrenzkampf zu gewinnen, wird auch eines Tages die Bundespartei auf einen aufmerksam – perfekt. Oder?
Frauen sind in der Politik unterrepräsentiert
Nur ein Drittel der jungen Menschen zwischen 16 und 30 Jahren finden Politik interessant, wie eine Studie der Bertelmanns-Stiftung herausgefunden hat. Torsten Körner, Autor, Journalist und Fernsehkritiker erklärt in seinem Buch „In der Männer-Republik“: „Wenn Frauen sich immer noch weniger für Politik interessieren als Männer, dann ist das kein naturwüchsiges Phänomen, kein angeborenes Desinteresse, sondern das Ergebnis männlicher Diskurse, Erzähler und Narrative, die Frauen als Politikerinnen ausblenden.“ Eine Erfahrung, von der auch Dörte Jacobi berichtet. Ein kurzer Blick auf die Zahlen der Bundestagsabgeordneten bestätigen die Annahme der Unterrepräsentation von Frauen in diesem Bereich: Der Frauenanteil liegt derzeit bei 31,2%. Spitzenreiter sind „Die Grünen“ mit 58,2 % Frauenanteil. Das Schlusslicht bilden die CDU/CSU mit 20% und die AFD mit gerade einmal 10%. Wo wir schon mal bei Zahlen sind: Die Initiative ProQuote ermittelte 2019, dass 74,9 Prozent der Chefredaktionen von überregionalen Zeitungen mit Männern besetzt sind. Ein weiterer Blick zu den Kandidaten des neuen Kanzlerpostens zeigt ebenfalls: Keine Frau bewirbt sich bisher für das Amt. Trotz 15 Jahren weiblicher Führung, scheint Frau Merkel ein Einzelfall gewesen zu sein. Doch woran liegt das? Wie leicht oder schwer ist es, heute als Frau in der Politik Karriere zu machen? Und was sind die Gründe für die Unterrepräsentation der Frauen auf politischer Ebene?
Frauen sind die Mehrheit – aber nicht, wenn es um Teilhabe geht
In einem Interview mit Jared Sonnicksen, Politikwissenschaftler an der Arbeitsstelle „Politisches System der Bundesrepublik Deutschland“ der Freien Universität Berlin, betont dieser: „Prinzipiell darf man Frauen nicht in einen Topf mit Minderheiten werfen. Frauen stellen die Mehrheit in nahezu allen Gesellschaften dar.“ In Deutschland sind 42,12 Mio. der insgesamt 83,02 Mio. EinwohnerInnen Frauen. Gemessen an der Teilhabe, in Bezug auf politische Ämter und Führungspositionen, kann man jedoch von einer Minderheit der Frauen sprechen. „Die Unterrepräsentation finden wir auf vielen Ebenen: Bundes- Landes-, Kommunal-, und vielen anderen Führungsebenen und auf Ebene der Parlamentssitze.“ Wichtig ist hierbei allerdings die Differenzierung von Unterrepräsentation: Dies ist ein komplexer und mehrdeutiger Begriff. Wenn der Bundespräsident repräsentiert, meint man die eine Dimension der symbolischen und zeremoniellen Repräsentation, vergleichbar mit einem König oder einer Königin. Wenn wir über Gruppen sprechen, ob Frauen, Männer oder Minderheiten unterschiedlicher Art, meint man eine bestimmte Art der (Unter-)Repräsentation und das nennt man, nach Hannah F. Pitkin, deskriptive Repräsentation. Damit ist ein Spiegelbild von dem, was repräsentiert werden soll, gemeint: Eine Wiedergabe oder eine Reflektion der Gesellschaft. In unserem Fall meinen wir die deskriptive Repräsentation. Es gibt anteilig viel mehr Frauen in der Gesellschaft als Frauen mit einem Parlamentsmandat. 31,2% sind im Vergleich zur Gesamtgesellschaft noch deutlich zu wenig.
Dörte Jacobi geht ihren Weg
Zurück zu Frau Jacobi. Nach einer kaufmännischen Ausbildung beginnt sie einen Bachelor in Cultural Engineering in Magdeburg. Sie wird Vorstandsmitglied in einem Kulturverein, absolviert ein Praktikum im Kulturministerium. Ihr erster Eindruck dort? „Durch den Beitritt in eine Institution konnte ich einige blinde Flecken aufspüren. Es war eine Katastrophe. Die Steuergelder werden total verpufft“. Sie berichtet, dass sowohl das System als auch die Mehrheit der Mitarbeiter veraltet seien. Kurz vor der Rente haben einige schon aufgegeben. Raum für Veränderung? Nein, danke. Aber das kann Dörte Jacobi nicht auf sich beruhen lassen. Der Drang etwas verändern zu wollen, wird zu groß. „Die Entwicklung der Gesellschaft darf nicht von einer verstaubten Verwaltung gebremst werden.“ Es ist wichtig, dass die Lebenserfahrungen der Älteren in die Politik mit einfließen. Anstöße aus der Gesellschaft für die Politik sollten aber möglichst breit gemischt sein und nicht nur von allen Generationen, sondern auch von den unterschiedlichen Geschlechtern beeinflusst werden.
„Das haben wir doch schon immer so gemacht“
Themenbereiche wie Klimawandel, Chancengleichheit, Emanzipation und viele andere erfordern hartnäckige Diskussionen bei oftmals festgefahrenen Meinungsbildern. „Das haben wir doch schon immer so gemacht.“ „Es funktioniert doch, warum sollen wir es anders machen?“, sind immer wiederkehrende Aussagen, die auch Dörte Jacobi immer wieder hört. Stattdessen sollte auch aus ihrer Sicht ein solidarischer, sich um Erfahrungen bereichernder Dialog nicht nur zwischen den Generationen, sondern auch den Geschlechtern in Gang kommen. Leider orientieren sich auch die jungen Männer, die Neulinge in der Politik, an den alten, weißen Männern und ihren Meinungs- und Handlungsverläufen. „Für Anerkennung kann man schon mal der Führungsebene nach dem Mund reden“, erörtert Frau Jacobi. Und auf die Frage nach ihren Erfahrungen bei Stadtratssitzungen erklärt Sie: „Manchmal frage ich mich, ob ich hier im Kindergarten bin. Schon mal etwas von einer Kommunikationsetikette gehört? Ausreden lassen statt dumme Zwischenkommentare. In den hinteren Reihen was in den Bart nuscheln, können viele. Doch das Gesicht einer Aussage am Mikrofon zu seien und wie man so schön sagt ’seinen Mann zu stehen‘, das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.“ Das erklärt zwar nicht die mindernde Repräsentation von Frauen in Führungsebenen, aber zeigt für was Frauen ein dickes Fell in der Politik brauchen.
Vom Patriarchat zu einer echten Gleichstellungspolitik
Michael Horlacher, einer der Mitgründer der CSU und Landtagspräsident Bayerns, traf 1950 folgende Aussage: „Als Einzelne wirkt die Frau wie eine Blume im Parlament, aber in der Masse wie Unkraut.“ Diese Einstellung ist nach den Erfahrungen von Dörte Jacobi heute noch immer in vielen Gremien weit verbreitet. Auch Herr Sonnicksen erklärt: „Das lange Vermächtnis des Patriarchats oder der patriarchalen Gesellschaft gilt es zu überwinden. Rechtlich ist es nicht lange her, dass Frauen nicht die gleichen Rechte hatten wie Männer. Auch wenn Frauen formal seit dem Grundgesetz nicht diskriminiert werden durften, hat man sie dennoch bis in die 60er/70er Jahre regelrecht diskriminiert.“
Verheiratete Frauen hatten nicht die gleichen Rechte wie ihre Ehemänner. Nach jahrzehntelanger Marginalisierung und Unterdrückung reicht eine formale Gleichberechtigung nicht aus für eine Veränderung im System. Um das zu überwinden, bedarf es einer Gleichstellung. Nicht nur die gleichen Rechte und die Gleichheit in den Möglichkeiten, sondern aktive Gleichstellungspolitik. Das es hieran noch mangelt, ist laut Herr Sonnicksen ein Faktor, warum sich die tatsächliche Stellung und Chancen von Männern und Frauen noch nicht angeglichen haben. „Man muss jahrhundertelange Denkmuster überwinden. Das braucht Zeit und aktive Mittel.“ Das sieht man unter anderem besonders deutlich bei der Kluft in allen möglichen Führungsebenen: Der Anteil alleinerziehender Männer macht dort nur einen winzigen Bruchteil aus und auch Frauen sind hier deutlich unterrepräsentiert. Der Werdegang macht eben einen großen Unterschied. Klettert man ununterbrochen die Erfolgsleiter bis in den Bundestag hoch oder muss man eine Pause machen, ein Risiko für den (politischen) Erfolg eingehen, weil man eine Familie möchte? Beides, Karriere und Familie, gibt es natürlich auch, jedoch nur sehr selten. Diese Fälle sollten aber keine Ausnahmen mehr sein und erst recht nicht bleiben, meint Sonnicksen.
Alles nur Satire? Dörte Jacobi will ernstgenommen werden
Nach Ihrer Zeit in Magdeburg führte ein Masterstudium im Bereich Politikwissenschaften Dörte Jacobi zurück in ihre Heimatstadt Halle. Doch die Theorie reichte ihr nicht aus. Sie will ihr Wissen praktisch umsetzen und einen Beitrag für die Kommune leisten. Sie informiert sich über den Parteikatalog und stellt fest: „Die Eintrittshöhe der Mitgliedsbeiträge sind Parteiabhängig sehr kostspielig. Ein gutes Beispiel dafür, wie die Politikelite gebaut wird.“ „Frauen sind ja oft nicht unbedingt die Vielverdiener und wenn sie es doch sind, dann haben sie vermutlich wenig Zeit für Politik. Ich war auch eher eine Quotenfrau.“ Platz 2 der Liste für die Landtagswahlen von Sachsen-Anhalt. Platz 1 wurde es natürlich nicht, der König lässt sich nicht vom Thron stürzen. Nach einem Jahr im Stadtrat stellt sie fest: „Ich werde von bestimmten Leuten einfach nicht ernstgenommen. Ich werde belächelt. Letztens meinte ein Herr zu mir: ‚Frau Jacobi, wollen Sie noch was zu ihrem Antrag sagen? Ich dachte ja nicht, dass Sie das ernst meinen.‘ Ich bringe schlechte Voraussetzungen mit, um von dem Klischee der weißen, alten Männer ernstgenommen zu werden: 1. Ich bin eine Frau, 2. Bei meinem Alter (33) bin ich ja eigentlich noch grün hinter den Ohren und dann noch für eine Satirepartei. Denkbar ungünstige Faktoren um ernst genommen zu werden. Ich muss mich schon zusammenreißen, das nicht alles persönlich zu nehmen.“ Des Öfteren bekommt Dörte auch Kommentare zu ihrem Outfit und nicht zu dem, was sie inhaltlich geäußert hat. „Vielleicht sollte ich mich einfach immer schlicht in schwarz kleiden, aber soll ich mich jetzt verbiegen, um zum Erfolg zu kommen?“ Torsten Körner betont: „Gleichberechtigung und Parität ist gesetzlich möglich, aber noch lange nicht hergestellt. Die Bonner Republik hört nicht auf, sich in die Gegenwart einzuschreiben und die Politik zu organisieren und zu beeinflussen.“ Das bekommt man laut Dörte Jacobi enorm zu spüren, wenn es beispielsweise um die Aufgabe des Protokollanten geht: „Wer schreibt das Protokoll? Keiner sagt was, alle schauen einen an.“
Quoten und weibliche Vorbilder
Was man in der Zukunft gegen die festgefahrenen, patriarchalen Muster der Bonner Republik machen kann? Dörte Jacobi fordert die Einführung der Frauenquote. Die Parteien müssen dafür sorgen, dass in den Listen die Geschlechter gleichmäßig vertreten sind und aktiv eigene Maßnahmen ergreifen, um dies zu fördern. Die Grünen sind die Vorreiter, was die Einführer einer Frauenquote angeht. Aber sogar die eher konservative Partei CDU gibt sich Mühe, so etwas wie Quoten einzuführen. Ein Verhältnis von 50:50 hat sie hierbei allerdings noch bei weitem nicht erreicht, während dies bei den Grünen dafür schon längst der Fall ist. Ein solches Ergebnis ist mit einem Verhältniswahlsystem erreichbar. Darüber hinaus ist als eine aktive Maßnahme die paritätische Besetzung möglichst aller Führungseben denkbar und zwar auf allen Ebenen. Damit ist sowohl die Bundes- und Landesebene, wie auch die Kommunalebene, beispielsweise der Posten des/der BürgermeisterIns, gemeint. Es reicht nicht zu sagen, jetzt sind wir alle gleichgestellt im Sinne des Rechts: Wer es in einem freien Wettbewerb nicht schafft, ist selber schuld. Eine aktive Gleichstellungspolitik muss her!
Trotz allem betont Frau Jacobi: Es gibt zu wenig weibliche Vorbilder. „Es kann nicht sein, dass für manche Posten nur Männer kandidieren.“
Dörte Jacobi hat für ihr Engagement in der Politik auch positives Feedback bekommen. Sowohl beim Besuch eines Gymnasiums, um von ihrer Arbeit in der Politik zu berichten, als auch von den Parteimitgliedern. Sie appelliert: „Traut euch! Frauen müssen sich nicht nur anpassen. Man kann auch eine neue Art von Politik formen und muss sich nicht mit den Strukturen hingeben. Politik ist da, um etwas zu verändern.“ Aus Erfahrung sagt sie optimistisch: „Frauen sollten keine Angst haben, in der Politik aktiv zu werden. Ich kann euch sagen, dass man meistens sehr positives Feedback bekommt und unterstützt wird. Sowohl für die Quote, als auch für die Art und Weise wie man agiert.“
Lisa-Marie Fraga Pinheiro studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin.