Die rechte Szene in Lichtenberg: Rassistische Gewalt, ein Brandanschlag, aber auch LichtBlicke

Das Gebäude im Hintergrund, die Weitlingstraße 122, war um die Wendezeit ein zentraler Treffpunkt für Neonazis – inzwischen ist davon nicht mehr viel zu sehen. Foto: Laura

Die rechte Szene in Lichtenberg: Rassistische Gewalt, ein Brandanschlag, aber auch LichtBlicke

Seit den 90ern galt Berlin Lichtenberg als „Nazibezirk“. Über die letzten Jahre hat der Bezirk sich gewandelt: Rechte Strukturen wurden bekämpft und Opfer rechter Gewalt unterstützt. Doch auch wenn die organisierte Rechte nicht mehr so stark wie früher ist, heißt das nicht, dass die menschenfeindlichen Überzeugungen aus dem Bezirk verschwunden sind. Ein Blick auf die Entwicklung der rechten Szene in Lichtenberg und die aktuelle Situation im Bezirk.

von Laura

„Die Nachbarn haben den Besitzer des Ladens angerufen, um halb sechs oder fünf Uhr morgens, und gesagt, dass der Laden brennt“, erinnert sich die Mitarbeiterin der Lichtenberger Kneipe „Morgen wird besser“. Bei dem Brandanschlag vor anderthalb Jahren brennt die Kneipe fast vollständig ab – verletzt wird zum Glück niemand. Auf der Innenseite der Tür werden zudem ein Davidstern und die Zahl 28 (rechter Code für „Blood & Honour“) hinterlassen. Bis heute scheint daher ein antisemitisches Tatmotiv wahrscheinlich. Der jüdische Inhaber der Kneipe und die Mitarbeitenden werden zuvor immer wieder von Mitgliedern der rechten Szene beleidigt und bedroht. Außerdem wird mehrfach in die Kneipe eingebrochen. Die Polizei wird gerufen, Anzeigen werden gestellt, aber die Mitarbeiterin meint: „Es wurde nicht ernstgenommen.“ Und dann, am 14. August 2020, brennt die Kneipe in der Lichtenberger Fanningerstraße.

„Lichtenberg hat, das ist ja bekannt, eine sehr lange Geschichte extrem rechter, neonazistischer Organisierung – die reicht im Prinzip bis in die DDR zurück“, erzählt Michael Mallé von der Fach- und Netzwerkstelle Licht-Blicke in einem Interview. Mallé betreut das Lichtenberger Register, in welchem sämtliche „rassistisch, antiziganistisch, antimuslimisch, anti-schwarz, antisemitisch, extrem rechts, LGBTIQ*feindlich, behindertenfeindlich, sozialchauvinistisch und antifeministisch motivierten Vorfälle“ in Lichtenberg seit 2005 dokumentiert werden. Laut Mallé wurden bereits in der DDR die politischen Freiräume in den Fußballstadien von der rechten Szene genutzt. Die Fanszene des Alt-Hohenschönhauser Fußballvereins BFC Dynamo wurde so bereits vor der Wende von Rechtsextremen dominiert und ist über die Jahre zumindest rechtsoffen geblieben.

Mit der Wende beginnt die Zeit, die Lichtenberg den Ruf des „Nazibezirks“ einbringen sollte. Mitglieder der rechten Szene besetzten Häuser im Lichtenberger Weitlingkiez. Die Kommunale Wohnungsverwaltung bietet den Neonazis ein Alternativobjekt in der Weitlingstraße 122 an, welches zum Parteibüro für die „Nationale Alternative“ wird. Sie ist eine der ersten Neonazi-Gruppen, die sich im Osten etablieren und handlungsfähige Strukturen aufbauen kann. Aus dem Weitlingkiez heraus werden nun zahlreiche Anschläge und Angriffe geplant.

Die Häuser in der Weitlingstraße werden allerdings bereits im Verlauf des Jahres 1990 wieder geräumt. Nach den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen kommt es laut Mallé zu einigen Parteiverboten, von denen auch „die Lichtenberger Strukturen betroffen waren“. Trotzdem bleiben verschiedene Cafés, Kneipen und Jugendclubs weiterhin Treffpunkte der Szene.

In den Folgejahren organisieren sich die Neonazis im Bezirk hauptsächlich in Form von Kameradschaften, die auch über die Grenzen von Lichtenberg hinweg aktiv sind. Als diese schließlich Mitte der 2000er Jahre zum Teil ebenfalls verboten werden, reorganisieren sie sich ab 2005 zusammen mit anderen Berliner-Neonazigruppen in Form vom „Nationalen Widerstand Berlin“ (NW-Berlin). Michael Mallé zufolge war NW-Berlin „in den Folgejahren verantwortlich für im Prinzip fast jede Neonazi-Kampagne, die in Berlin stattfand.“

Ein gelbes Altbaugebäude mit weißen Fensterrahmen steht an einer zweispurigen Straße. Zwei schwarze Autos stehen neben dem Haus. Auf der linken Seite des Bildes ist ein dunkler Laternenpfahl mit einem „Antifa Area“-Sticker im Bild.

Treffpunkt von NW-Berlin war von 2011 bis 2014 dieses Gebäude in der Lückstraße im Lichtenberger Weitlingkiez. | Foto: Laura 

Im Laufe der Jahre beginnen sich die Bewohner*innen Lichtenbergs gegen die Aktivitäten der rechten Szene zu wehren. 2005 startet so beispielsweise die antifaschistische Kampagne „Hol dir den Kiez zurück“ und es wird ein Konzert mit über 3.000 Besucher*innen mitten im Weitlingkiez veranstaltet. Drei Jahre später wird ein Neonazi-Aufmarsch von Karlshorst in den Weitlingkiez blockiert. „Das war für viele so ein Erlebnis von: Wir können was effektiv gegen die Neonazis tun,“ meint Mallé.

Zu einer der Akteur*innen, die sich aktuell gegen die rechte Szene in Lichtenberg einsetzen, gehört die Antifaschistische Vernetzung Lichtenberg (AVL). Sie haben sich vernetzt um, laut eigener Aussage „gemeinsam außerparlamentarische antifaschistische Arbeit“ zu leisten. In Bezug auf das Engagement gegen die rechte Szene im Bezirk halten auch sie fest: „Antifaschistische Interventionen und breite Kampagnen haben dann vor allem Ende der 2000er Jahre dafür gesorgt, dass den Rechten der Raum im Weitlingkiez genommen wurde.“

Ein Sticker der Antifaschistischen Vernetzung Lichtenberg klebt an einem Metallpfeiler. Auf dem Sticker ist ein weiß beleuchteter Berg vor rote-schwarzem Hintergrund. Der Sticker ist rund und auf dem schwarzen Rand steht in weißer Schrift„Antifaschistische Vernetzung Lichtenberg“.

Die Sticker der Antifaschistischen Vernetzung Lichtenberg findet man an einigen Orten im Bezirk. | Foto: Laura 

Das Engagement aus der Zivilbevölkerung bekommen auch 2020/21 der Inhaber und die Mitarbeitenden von „Morgen wird besser“ zu spüren. Auf die Frage, wie die Menschen im Bezirk auf den Brandanschlag reagiert hätten, antwortet die Mitarbeiterin: „Die standen hinter uns. Die waren geschockt, aber die standen komplett hinter uns.“ Rund ein Jahr nach dem Brandanschlag kann die Kneipe wieder eröffnen. Die Unterstützung kommt von verschiedenen Seiten: Vom Bezirksbürgermeister und anderen politischen Akteur*innen bis zur evangelischen Kirche. „Das war wirklich so ein kleiner Lichtschein, der uns gezeigt hat: Ok wir sind nicht allein.“

Ein Foto von der Kneipe „Morgen wird besser“ in der Nacht. Die Kneipe ist an der Ecke eines Hauses, hat ein schwarzes Ladenschild und in weißer Schrift steht darauf der Namen der Bar. Sie hat außerdem große Fenster, die Teile des Kneipeninneren zeigen.

Ein aktuelles Foto von „Morgen wird besser“ aus dem Januar 2022. | Foto: Laura

Durch zivilgesellschaftliches und aktivistisches Engagement wie dieses, wandelt sich der Bezirk über die Jahre. Bis heute werden auch noch mehrere Treffpunkte der rechten Szene geschlossen. Trotzdem meint die AVL: „Nur weil Neonazis aufgrund der fehlenden Strukturen weniger sichtbar sind, sind sie und ihr Weltbild nicht verschwunden.“

Auch Mallé betont, dass bis heute ein Spektrum an extrem rechter Organisierung in Lichtenberg existiert. Bis 2016 war die NPD Teil der Bezirksverordnetenversammlung. Doch auch mit dem Ausscheiden NPD sind die rechtsextremen Stimmen nicht aus der BVV verschwunden, denn im gleichen Jahr zog die AfD erstmals in das Bezirksparlament ein. Bei der Wahl im vergangenen Jahr fiel ihr Stimmenanteil allerdings von 19% (2016) auf 12% (2021) und der AfD-Stadtratskandidat wurde bisher von der BVV abgelehnt.

Die aktivste rechte Organisation im Bezirk ist aktuell, laut Mallé und der AVL, die rechtsextreme Partei Der III. Weg. Vor anderthalb Jahren mobilisiert dieser bundesweit zu einer Demonstration in Neu-Hohenschönhausen und verteilt im Vorfeld verschiedenste Arten von Propaganda im Bezirk. Am Tag des Protests stellen sich jedoch rund 1000 Gegendemonstrant*innen den Neonazis in den Weg und blockieren erfolgreich die Route.

Viele der Aktivitäten im Bezirk sind inzwischen allerdings nicht mehr auf organisierte Rechte zurückzuführen, denn Materialien wie Sticker sind online auch für Einzelakteur*innen leicht bestellbar. Auch hinter anderen Arten von Vorfällen im Bezirk, die im Lichtenberger Register aufgenommen werden, stecken Einzelpersonen ohne Verbindung zur rechten Szene. Im Jahr 2020 wurden dem Register so 25 zum Großteil rassistische Angriffe gemeldet. Mallé erläutert: „Diese Alltagsgewalt findet sich allen Berliner Bezirken und vermehrt an Orten, wo viele Leute aufeinandertreffen.“ Gewalt sei aktuell kein Spezifikum von Lichtenberg. Viel mehr steche der Bezirk, zusammen mit Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick durch die Präsenz von rechter Propaganda hervor.

Vor allem bei den rassistischen Taten geht Mallé allerdings auch von einem gewissen Dunkelfeld aus – schließlich werden im Rahmen des Registers nur die Taten aufgenommen, die auch gemeldet werden: „Da krieg ich längst nicht alles mit, würde ich sagen.“ Außerdem spricht er von einem „rassistischen Nährboden im Bezirk“, der bei aktuellen Diskussionen, wie zur Unterbringung von Geflüchteten um 2015 wieder aufbricht.

Das vermutlich bekannteste Beispiel für die Auswirkungen rassistischen Gedankenguts im Bezirk ist der Fall von Eugeniu Botnari aus dem Jahr 2016. Botnari kam 2015 aus Moldawien nach Deutschland und lebte ohne festen Wohnsitz bei Freund*innen und Verwandten. Am 17. September 2016 warf André S., der damalige Leiter der EDEKA-Filiale im Bahnhof Berlin-Lichtenberg, Botnari Diebstahl vor. Andre S. führte ihn dann in den hinteren Teil des Ladens und verprügelte ihn. Botnari suchte trotz zunehmender Beschwerden zunächst keine*n Ärzt*in auf, weil er nicht krankenversichert war und Angst vor den Behandlungskosten hatte. Drei Tage nach dem Angriff starb er im Krankenhaus an einem Schädel-Hirn-Trauma.

In der Gerichtsverhandlung zu dem Fall wurden die rassistischen und sozialchauvinistischen Einstellungen des Täters deutlich. André S. wurde schließlich zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Die AVL fasst es passend zusammen: „Rassismus tötet, auch wenn die Mörder nicht in faschistischen Strukturen organisiert sind.“


Laura studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit Politikwissenschaft im Bachelor an der Freien Universität. Neben dem Studium arbeitet sie als Werkstudentin im Medienkompetenzbereich eines lokalen Fernseh- und Radiosenders.


2022-05-27T09:44:04+02:00 Kategorien: Berlin + Brandenburg, Lesen, Macht + Medien|Tags: , , , , |