Verkehrswende in Belgien: Autofreie Straßen in Schaerbeek

Autofreie Straßen in Schaerbeek. Foto: Olivia Pieczewski

Verkehrswende in Belgien: Autofreie Straßen in Schaerbeek

Schlagzeilen über Verkehrsunfälle werden zum Muster in lokalen Berichten und internen Facebook-Gruppenchats der Schaerbeeker*innen, die das lebhafte Familienviertel als zunehmend unsicher empfinden.

von Olivia Pieczewski

Der letzte Autounfall, von dem in den Lokalmedien berichtet wurde, liegt erst kurz vor Neujahr zurück: Zwei Fußgänger*innen werden beim Überkreuzen der Leopold III-Straße angefahren, der Fahrer flüchtet vom Unfallort und ruft den beiden Verletzten provokative Sprüche zu. Anwohner*innen an stark befahrenen Kreuzungen beklagen die wöchentlichen Unfälle und Polizei-Absperrungen, verursacht durch fahrlässiges Autofahren.

Initiativen wie der autofreie Sonntag der Stadt Brüssel, an dem man die Straßen einmal im Jahr voller Fahrräder, Roller und Straßenspielen sieht, sind wenig Entschädigung für solche Vorfälle und mangelnden verkehrsberuhigten Bereichen. Anfang 2020 erklärte die Bürgermeisterin von Schaerbeek die inoffizielle Spielstraße am Josaphatpark als erste autofreie Straße. Von einem Tempolimit oder weiteren Spielstraßen ist seitdem leider nicht mehr die Rede.

Laura aus den Niederlanden lebt seit letztem Sommer in Schaerbeek, ihr Sohn besucht hier einen Kindergarten. Vor ihrem Umzug diente das Fahrrad mit Kindersitz als ihr alltäglicher Begleiter, aber bislang meidet Sie die vollen Straßen und vielen Kreisverkehre, die die Verkehrslandschaft schmücken. Zudem macht sie die interessante Beobachtung, dass viele Schulkinder hier auf den Bus statt auf das Fahrrad ausweichen, auch für nur wenige Stationen. „Den Schulweg nicht allein auf dem Fahrrad oder Roller und ohne die Eltern bestreiten zu können, nimmt den Kindern Erfahrung und die Sicherheit im Straßenverkehr“ betont Laura.

Statistiken der Brüsseler Polizei für den Verkehrsbereich im Stadtnorden, wo Schaerbeek situiert ist, zeigen seit 2013 eine steigende Entwicklung an Verkehrsverbrechen. Nicht abzustreiten ist der Zusammenhang mit dem offensiven Ausbau von Radargeräten an den berüchtigten Kreuzungen. So waren es im ersten Halbjahr 2018 noch etwa 11.000 Verkehrsverbrechen der Geschwindigkeitsüberschreitungen und nach Ausbau der Verkehrsbeobachtungen in den Folgejahren im Durchschnitt etwa 25.000 dieser Fälle, jeweils in den ersten Jahreshälften.

Die Befürwortenden autofreier Straßen vor Ort sind mitunter Verbände von Grundschullehrkräften, die für ihre Schüler*innen einen sicheren Schulweg gewährleistet sehen möchten. Bislang stockte der Ausbau weiterer verkehrsberuhigter Bereiche seit dem letzten Akt des Stadtteilbüros vor zwei Jahren. Weitere Pläne zum Ausbau sind nicht veröffentlicht und auch nach Anfrage unbestimmt.

Es bleibt zu hoffen, dass das „arme Croissant“, so wie der Stadtteil aufgrund seiner geografischen Form und der hohen Anzahl an der Armutsgrenze lebender Bürger*innen genannt wird, noch in diesem Jahr ein neues Mobilitätskonzept erreicht. Nur so ist den bösen Schicksalen der hohen Unfallsdichte entgegenzuwirken.


Olivia Pieczewski studiert im fünften Semester Publizistik-und Kommunikationswissenschaft. Den Stadtteil Schaerbeek erkundet sie seit Ihrem Erasmus-Semester in Brüssel im Wintersemester 2021/2022 und hat in ihm ihr neues Zuhause gefunden.


2022-05-27T09:50:29+02:00 Kategorien: Lesen, Wissen + Wirken|Tags: , , , |