Homeoffice im 14. Jahrhundert: Ein Interview mit dem Historiker Bernd Gutberlet

Homeoffice im 14. Jahrhundert: Ein Interview mit dem Historiker Bernd Gutberlet

In den letzten eineinhalb Jahren haben wir alle ein historisches Ereignis durchlebt: die Corona-Pandemie. Eine Krise, wie sie die jungen Generationen noch nicht erlebt haben. Doch auch wenn die Situation für uns völlig neu und unerwartet war, ist eine Krankheit, die über Berlin hereinfällt, nicht neu. Die Menschen hier haben immer Wege gefunden sich anzupassen. „Berlin hat so ziemlich jede Seuche mitgemacht“, erklärt Bernd Gutberlet, Historiker, Autor und Stadtführer im Interview mit dem MedienLabor.

von Franziska Metzner

Bernd Gutberlet kennt sich aus mit dem Thema Seuchen und Pandemien der Vergangenheit. Sein Buch „Heimsuchung. Seuchen und Pandemien: Vom Schrecken zum Fortschritt“, erscheint im Oktober 2021. Darüber hinaus leitet er die „Berlin Pandemie Tour“. Wir wollen von ihm wissen, wie die Stadt früher auf solche Probleme reagiert hat.

Harter Lockdown während der Pest: Stadttore wurden geschlossen

Pest, Cholera, Tuberkulose, Typhus, Fleckfieber, Ruhr oder Spanische Grippe – sie alle haben eins gemeinsam: Sie kamen in Berlin vor. Was für Maßnahmen wurden ergriffen, wenn Berlin früher von einer derartigen Krankheit heimgesucht wurde?

Bernd Gutberlet, Foto: privat

Bernd Gutberlet: Während der Pest zum Beispiel gab es Verordnungen, sogenannte Pest-Regimente. Damit wurde versucht das öffentliche Leben einzuschränken, so wie wir das heute auch kennen. Es wurden insbesondere Messen und Märkte verboten, Schulen geschlossen oder Reise-Sperren verhängt. Dafür wurden die Berliner Stadttore geschlossen und kontrolliert, wer ein- und ausgeht. Allerdings ist ein Stadttor, wenn man es schließt, nicht wie ein Gefängnistor, sondern eher wie eine Nachtpforte eines Internats. Da gab es schon Wege, wie man raus oder rein kam. Auch damals haben die Menschen Wege gefunden, die Regeln zu umgehen. Deswegen sind die Maßnahmen auch nicht so wirksam gewesen.

Was bedeutete es konkret für die Menschen und ihre Lebensumstände, wenn eine Seuche in Berlin herrschte?

Während der Pest beispielsweise hat man Häuser, in denen Kranke waren, versucht zu isolieren. Das hat wirtschaftliche Auswirkungen gehabt für die Leute, die in einem Pest-Haus wohnten. Berlin war im 14. oder 15. Jahrhundert klein, aber dicht bewohnt. Wenn ein Haus gesperrt wurde, weil jemand krank war, dann durften auch die, die gesund waren, nicht mehr das Haus verlassen – auch nicht um zu arbeiten. Das war ein Grund, warum die Leute versucht haben, einen Pest-Fall zu verheimlichen. Man hatte die Wahl: entweder verhungern, weil man nicht arbeiten gehen konnte oder an der Pest sterben. Später im 19. Jahrhundert bei der Cholera haben ebenfalls viele versucht, Krankheitsfälle zu verheimlichen.

Home-Office gibt es nicht erst seit dem 21. Jahrhundert

Wenn so ein Haus abgeriegelt wurde, gab es für die Menschen also keine Möglichkeit mehr zu arbeiten? Gab es manche, die von zuhause arbeiten konnten?

Ja, das ging wahrscheinlich. Denn man hat früher nicht so dezentral gearbeitet wie heute. Ein Handwerker, wie ein Schmied beispielsweise, hat normalerweise auch in seiner Werkstatt gewohnt. Solang er sein Material noch bekam, konnte er weiterarbeiten.

Schmiede hatten Glück und wurden von der Pest meistens verschont. Foto: H. Zille, zur Verfügung gestellt von Bernd Gutberlet

Das ist ein Aspekt, den man aus heutiger Sicht schnell übersieht, weil bei uns bis zur Corona-Pandemie Homeoffice eigentlich die Ausnahme war. Dann sind bestimmte Berufsgruppen weniger schlimm von Pandemien in der Vergangenheit betroffen gewesen?

Anhand von statistischen Untersuchungen lässt sich belegen, dass bestimmte Berufsgruppen, vor allem Handwerker, nicht so stark von der Pest betroffen waren als andere. Da ich gerade vom Schmied gesprochen habe: Es war damals so, dass bestimmte Handwerker in einer Gegend gewohnt haben. Die Straßen, in denen die Schmiede wohnten, waren nicht so stark von der Pest betroffen. Das lag an dem Krach, den ein Schmied bei der Arbeit macht. Das mögen Ratten, welche die Pest auf den Menschen übertrugen, nicht.

Welche Berufsgruppen waren von Seuchen in Berlin am schlimmsten eingeschränkt?

Weniger Glück hatten Hausmädchen während der Cholera. Foto: F. L. Stuber (1870)

Vor allem waren die betroffen, die gehandelt haben. Das waren zum Beispiel viele Juden, da Juden damals viele andere Berufe, z.B. im Handwerk, nicht erlaubt waren. Auch Bauern waren eingeschränkt, weil sie ihre Erträge nicht mehr in die Stadt bringen oder verkaufen konnten.

Ein anderes Beispiel ist die Cholera im 19. Jahrhundert: Diese hat bestimmte Berufsgruppen sehr getroffen, weil sie sich über schmutziges Wasser verbreitete. Die ersten Cholera Fälle in Berlin 1831 waren deshalb Leute, die am Wasser, an der Spree, gearbeitet haben. Ebenfalls davon betroffen waren Dienstboten und Hausmädchen, weil sie viel mit schmutzigem Wasser in Berührung gekommen sind. Bei der Tuberkulose, die sich ähnlich wie Corona heute über Aerosole verbreitet, waren besonders Leute betroffen die eng zusammengewohnt und gearbeitet haben.

Das Geschäft mit der Angst: Durch die Pest zu Reichtum und Fortschritt

Gab es andererseits auch Menschen, die von den Seuchen profitiert haben?

Ja, während der Pest allen voran die Kurpfuscher. Leute, die irgendwelche Sachen verkauft haben, die angeblich gegen die Krankheit helfen. Die haben mit der Angst der Leute Geschäft gemacht. Wer auch davon profitiert hat waren Klöster. Die Leute haben Geld gespendet, damit die Mönche für sie beten und sie von der Pest verschont werden. Die Klöster haben damit gut Geld machen können, aber andererseits sind auch viele Mönche gestorben, weil sie sich um die Pest-Kranken gekümmert haben.

Also gab es Solche und Solche.

Genau. Abschließend noch ein interessantes Phänomen des 14. Jahrhunderts: Ungefähr ein Drittel aller Europäer und Europäerinnen sind damals ums Leben gekommen. Was bewirkte, dass viele Menschen damals geerbt haben. Das heißt es kam zu einer Akkumulation von Reichtum. Damit gab es Probleme, weil die Leute, die plötzlich zu Reichtum gekommen waren das gezeigt haben. So wurden in vielen Städten Luxus-Gesetze erlassen, um den Leuten zu verbieten besonders prunkvoll oder luxuriös aufzutreten. Das war eine merkwürdige Auswirkung damals. Ebenfalls profitiert haben die Menschen vom Land, die in die Stadt ziehen wollten: Die Städte, auch Berlin, haben viele Einwohner verloren. Dadurch bekamen die Menschen vom Land plötzlich die Gelegenheit, in die Stadt zu ziehen. Diese Entwicklung wird mitunter als Erklärung angeführt, dass es in den Jahrhunderten danach zu Modernisierungs-Schritten in Europa gekommen ist.

Eine Krise hat also, historisch betrachtet, immer auch die Möglichkeit für Fortschritt mit sich gebracht. Das ist ein interessanter Punkt zum Abschluss. Vielen Dank für das Gespräch. 

 

Bernd Gutberlet hat uns einen Überblick gegeben, welchen Krankheiten Berlin standgehalten hat und wie die Berlinerinnen und Berliner mit den Seuchen gelebt und gearbeitet haben. Stets hat sich die Stadt und die Arbeit der Menschen durch Krankheiten verändert. Doch die Krisen haben auch Fortschritt und Möglichkeiten zur Verbesserung mit sich gebracht. In unserem Fall heutzutage: die Rückbesinnung auf die Arbeit von zuhause aus. 

 


Franziska Metzner studiert im 4. Semester Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin. In ihrer Freizeit ist sie ebenfalls journalistisch für den Verein „Junge Presse“ tätig.