Das Breakout-Projekt gibt Menschen ohne Schulabschluss eine Chance zu arbeiten. Im Non-Profit-Café in der Kreuzberger Bergmannstraße trifft klassische Sozialarbeit auf Berufsvorbereitung. Die Kunden trinken ihren Kaffee für den guten Zweck. Kann ehrenamtliches Engagement die Lücken im Bildungs- und Sozialsystem füllen? Unter welchen Bedingungen wird im Breakout gearbeitet?
von Jannes Holland-Jobb
Die Bergmannstraße 22 in Berlin Kreuzberg. Zwischen kleinen Boutiquen und Cafés, die mit ihren Tischen und Stühlen die Gehwege verzieren, schallt der metallische Klang eines Hammers aus einem Hinterhof. Folgt man diesem Klang, gelangt man in einen Durchgang, gerade so breit, dass ein Auto hindurchpassen könnte. Dahinter öffnet sich der Hof des Breakout-Cafés. Aktuell ist hier alles im Umbau. Die Tische stapeln sich im Hof, durch das große Fenster sind da, wo normalerweise ein Tresen steht, Haufen aus Schutt zu erkennen. Doch trotz all dieser Umstände wird im Hof eines klar. Zwischen den bis oben bewachsenen Hauswänden, unter Nadelbäumen, die in der Ecke wachsen und einem kleinen Holzdach mit Blumenkästen, ist man nicht mehr in der Bergmannstraße. Die Straßengeräusche sind plötzlich weit weg und nur noch Hammerschläge und Vogelzwitschern sind zu hören. Die Stadt ist nur noch durch den kleinen Durchgang zu sehen und es fühlt sich an, als wäre man ihr kurz entkommen.
Das Breakout-Café
Im Nieselregen wartet mit einem breiten Lächeln Luise Beier. Eigentlich sind sie und ihr Kollege Jonathan Scheer die Sozialarbeiter im Breakoutprojekt und betreuen hier Kinder und Jugendliche. Doch aktuell bauen sie ein Café um. Unter dem Holzdach im Hinterhof, mit Blick auf die Kletterwand erzählt Luise: „Angefangen haben wir mit ganz klassischer Sozialarbeit, also Kinder- und Jugendarbeit.“ Die Angebote im Breakoutprojekt sind Hausaufgaben- und Ferienbetreuung, Freizeit-, Outdoorpädagogik und Ähnliches. Vor drei Jahren hatten sie die Idee, ihr Büro im Bergmannkiez in ein Non-Profit-Café zu verwandeln. Viele Jugendliche kommen nach dem Schulabschluss wieder zum Projekt und suchen Rat und Hilfe rund um Bewerbungen und ihre Zukunft am Arbeitsmarkt.
Anders als in den klassischen Programmen, bei denen die Stärken und Schwächen oft nur theoretisch ermittelt werden, soll es hier greifbarer und direkter sein. „Es muss ein niedrigschwelliges Angebot geben, wo junge Menschen mit oder ohne Schulabschluss eine Chance bekommen.“, erklärt sie und ergänzt: „Sie sollen sich dabei aber trotzdem an einer richtigen Arbeit ausprobieren können.“ Die Gastronomiebranche sei perfekt dafür geeignet. Es gäbe unterschiedlichste organisatorische Aufgaben, man muss sich an Regeln halten und für Sauberkeit und Ordnung sorgen. Gleichzeit habe man immer Kundenkontakt und bekommt für alles Zubereitete auch direkt Feedback. Trinkgeld sorge für Selbstbewusstsein und Bestätigung. Man kann sich hinter dem Tresen vom Backen bis zur Buchhaltung ausprobieren. Zusätzlich ist das ein Kiez, „wo das Geld auf der Straße liegt“, die gesamten Gewinne des Non-Profit-Cafés unterstützen die Finanzierung der sozialen Arbeit. Das Breakoutprojekt werde zwar vom Jugendamt gefördert, aber ein Großteil des Geldes erhalten sie durch Spenden und Stiftungen. „Natürlich sind wir, da wir nicht aus der Gastronomie kommen, etwas naiv an die Sache heran gegangen“, sagt Luise schmunzelnd. Sie funktioniert. Inzwischen bieten sie sogar Ausbildungen an und können Jugendliche in Coaching-Programmen zusammen mit dem Job-Center oder als Ferienjob einstellen. Es läuft so gut, dass genug Geld für den Umbau verdient wurde. Durch das ausgebaute Café wollen sie weiterhin genügend Einnahmen erzielen, um ihre Sozialarbeit im Kiez zu fördern.
Doch es bleibt eine große Herausforderung. Die Organisation übernehmen die beiden Sozialarbeiter freiwillig, sonst könne man es sich nicht leisten. Da jede Stelle im Café immer fair bezahlt werden soll, wird es dennoch teurer. Geflüchtete sind hier als Bundesfreiwilligendienstleistende tätig, denn nur so haben sie die Möglichkeit, zu arbeiten und Deutsch zu lernen. In der Sozialarbeit beschäftigt das Projekt kaum noch Freiwillige. Dieses Feld habe sich in letzter Zeit zu stark professionalisiert. Auch wenn helfende Hände gebraucht würden, hat eine ehrenamtliche Stelle nicht die Verbindlichkeit und nicht die Ausbildung, welche es bräuchte. Die Wertschätzung, für diese häufig auch anstrenge Arbeit, die der Gesellschaft aber etwas zurückgibt, fehle laut Luise. Wertschätzung äußere sich heutzutage dann doch meist durch Geld. Bringen Ehrenamtliche die nötige Ausbildung und Qualifikation, dann sei es eigentlich nur fair, wenn sie bezahlt würden. Das geht zwar mit Honorarverträgen, da die finanziellen Mittel aber endlich sind, arbeiten hier meistens Luise und ihr Kollege, helfen danach noch dem Café oder schwingen so oft es geht den Hammer beim Umbau.
Kritik am System
Diese Umstände betreffen nicht nur die Arbeit im Breakoutprojekt. Die Diskussion über die Last, die gesellschaftliches Engagement in unserem System trägt wird politisch und wissenschaftlich immer wieder aufgegriffen. Die Politologin und Journalistin Claudia Pinl setzt sich schon seit vielen Jahren kritisch mit der Rolle von ehrenamtlicher Arbeit in neoliberalen Wirtschaftssystemen auseinander. In Pinls Artikel auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung kritisiert sie die Engagementpolitik in Deutschland. Es sei klar, dass bürgerschaftliches Engagement, also „die tätige Anteilnahme an dem, was um uns herum geschieht, im Quartier, in der Stadt, im Land, […] in einer Demokratie unverzichtbar ist“. Jedoch finde ein politischer Missbrauch dieser Ressourcen statt. Vor allem im Sozialsektor, so Pinl, dient bürgerliches Engagement dazu, Löcher im drastisch gekürzten Etat zu stopfen. Sie führt an, dass viele Initiativen fast vollständig auf Ehrenamtlichkeit beruhen, während deren Aufgabenspektrum weiterwächst. Auch im Bildungssektor werde vorausgesetzt, dass Freiwillige in Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfeprogrammen die „Versäumnisse der Schul- und Bildungspolitik ausbügeln“. Angebote wie der Bundesfreiwilligendienst oder das Freiwillige Soziale Jahre werden laut Webseite des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben aktuell mit maximal 426 Euro Taschengeld monatlich vergütet. Diese Freiwilligenprogramme sollten arbeitsmarktneutral sein. Reguläre Erwerbsstellen dürfen damit folglich nicht ersetzt werden. Pinl kritisiert, dass dennoch viele Basistätigkeiten wie Seniorenfahrdienste, Grünpflege, Theaterkassen, Pflege- oder Obdachlosenarbeit eigentlich Erwerbsplätze mit Mindestlohnanspruch wären. Hier könnten statt Freiwilligen auch gering qualifizierte oder fachfremde Arbeitslose eingestellt werden. Durch die Monetarisierung von Freiwilligen-Stellen verschwimme die Grenze zwischen erwerblicher und freiwilliger Arbeit. Finanzielle Lücken im System werden von Ehrenamtlichen gestopft.
Auch Bettina Hollstein, Referentin des kultur- und sozialwissenschaftlichen Kollegs der Universität Erfurt, stellt klar, dass freiwilliges Engagement eine wichtige Grundlage in einer demokratischen Gesellschaft ist. In einem Artikel, der 2017 ebenfalls durch die Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht wurde, erklärt sie die theoretischen Rahmenbedingungen ehrenamtlicher Tätigkeiten. Sie verdeutlicht, das Ehrenamt wirklich mit einer Tätigkeit verbunden sein muss, also nicht nur bloße Zugehörigkeit durch Spenden bedeutet. Die Gemeinwohlorientierung, Öffentlichkeit und Gemeinschaftlichkeit der Arbeit zeige, dass es sich um gesellschaftlich erwünschte, in Organisationen eingebettete, soziale Austauschprozesse im öffentlichen Raum handelt. Freiwilligkeit heißt aber, dass dies nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtet geschieht. Hollstein zeigt wie tief und vielfältig die Handlungsmotive von Freiwilligen sein können. Sie stellt klar, dass das Ehrenamt aber keine „Lösung für defizitäre Sozialsysteme, Pflegenotstand oder Arbeitslosigkeit“ ist. Vielmehr würdigen wir damit, als Einzelne und als Gemeinschaft, unsere Vorstellungen von einer guten Gesellschaft.
Das Breakoutprojekt versucht möglichst vielen jungen Menschen diese Vorstellung zu vermitteln. Selbstbewusstsein durch Arbeit in und für die Gemeinschaft zu stärken sowie Spaß und Erfüllung in den eigenen Tätigkeiten zu finden. Im Non-Profit-Café, dessen Erlöse der eigenen Sozialarbeit zugute kommen, stellen sie auch Geflüchteten ein. Schneller als im stark regulierten Arbeitsmarkt erhalten diese als Bundesfreiwillige eine Tätigkeit, die ihnen hilft, sich in die Gesellschaft einzugliedern. Durch das wirtschaftliche Standbein kann das Breakout-Team eigene Projekte besser fördern, sie haben einen lokalen Auftritt und bekommen mehr Resonanz aus dem Kiez. Trotzdem beruht ein Teil der Eigenfinanzierung auf zusätzlichem freiwilligen Engagement der Angestellten. Zusammengefasst: Die Lücken im System schließt auch das Breakoutprojekt immer noch selbst.
Jannes Holland-Jobb studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Management und Nordamerikastudien. Er engagiert sich seit einigen Jahren als Freiwilliger im Sport- und Jugendbildungssektor und ist überzeugt davon, dass dieser Bereich mehr Aufmerksamkeit braucht.