Arabische Frauen in Deutschland: Arbeiten zwischen zwei Gesellschaften

Razan Naser Eddin auf dem Heimweg, nachdem sie an einem See in Berlin gemalt hatte

Arabische Frauen in Deutschland: Arbeiten zwischen zwei Gesellschaften

„Aus sozialer Perspektive braucht man eine Arbeit und Geld, damit man leben kann. Das Arbeitskonzept hat sich im Laufe der Zeit zu der heutigen Form entwickelt, also ist Arbeit Teil eines komplizierten Systems“, sagt Razan Naser Eddin und malt dabei ein Gemälde. Die 24-jährige Malerin hat aber ihre eigene Idee von Arbeit: „Aus meiner persönlichen Sicht betrachte ich die Arbeit als etwas Anderes: Sie ist die Liebe von der verfügbaren Materie und was man mit dieser Materie machen kann, um etwas zur Existenz beizutragen. Für mich ist es nicht notwendig, dass Arbeit von Systemen abhängig ist, die aus Institutionen bestehen, sondern eher vom ökologischen und spirituellen System zum Beispiel.“

Von Ali Al-Haj Ibrahim

Razan Naser Eddin ist eine palästinensische selbständige Künstlerin, die in Kuwait geboren ist und dort 17 Jahre gelebt hat, bevor sie 2013 nach Deutschland gekommen ist. In Kuwait hat sie mit der LOYAC-Organisation gearbeitet, einer gemeinnützige Organisation, die 2002 als Initiative einer Gruppe von Frauen – als Reaktion auf den Terroranschlag am 11. September 2001 – gegründet wurde. Diese Organisation zielt darauf ab, eine friedliche und aufgeklärte Generation mithilfe verschiedener Programme aufzubauen. „LOYAC hilft Teenagern, sich auf dem Arbeitsmarkt zu engagieren. Sie gibt ihnen sechs Wochen Arbeit im Sommer jedes Jahr. Dank ihr habe ich in einem Café und in einem Bekleidungsgeschäft in Kuwait gearbeitet“, so Naser Eddin.

Das Arbeitskonzept aus Gender-Perspektive

Weltweit unterscheidet sich der Arbeitsmarkt von Männern und Frauen. Bis heute gibt es in manchen Arbeitsbereichen wenige oder gar keine Frauen. Frauen besetzen selten Führungspositionen. Europäische Frauen haben sich in den letzten Jahren eine gewisse Emanzipation vom patriachalen System erkämpft. Andererseits besteht patriarchale Autorität innerhalb der Familie vieler arabischen Gesellschaften bis heute, was die Bewegungs-, Kleidungs- und Arbeitsfreiheit von Frauen angeht und sie stark einschränkt. „Ich sehe keinen großen Unterschied zwischen arabischen und europäischen Ländern in Bezug auf das Arbeitssystem. Frauen haben zwar beispielsweise ihre Freiheit von der Autorität der Familie in Europa erkämpft, stehen jetzt aber vor einem neuen Problem, nämlich dass die meisten Institutionen auf männlicher Autorität und einem männlichen Entscheidungsträger beruhen. Bis jetzt gibt es einen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Auf dem Arbeitsmarkt ist dies sehr klar. Sicherlich basiert das westliche Wirtschaftssystem auf der Freiheit, allen Arbeit zu geben, aber die männliche Macht bleibt bestehen“, sagt Naser Eddin.

Arbeit der arabischen Frauen in ihren Herkunftsländern

Razan Naser Eddin in ihrer ersten Ausstellung

Innerhalb der arabischen Ländern änderte sich das Problem der familiären Herrschaft über arabische Frauen über die Zeit und unterscheidet sogar die arabischen Gemeinschaften untereinander. Bis 1958 konnte ein Ehemann in Deutschland entscheiden, ob seine Frau arbeiten darf oder nicht. Die einzige Arbeit, die einer Frau gestattet war, war die Hausarbeit und die Kinderbetreuung. In manchen arabischen Gesellschaften darf eine Frau bis heute nur mit Zustimmung ihres Vaters, Bruders oder ihres Mannes arbeiten oder das Haus verlassen.
Trotzdem hat sich die Wahrnehmung der Gesellschaft von Arbeit im Allgemeinen und von Frauenarbeit im Besonderen geändert, weil das Interesse an der finanziellen Situation gestiegen ist und die Lebensfähigkeit von der Geldbeschaffung abhängt.

„Ich glaube, dass die Kontrolle der Männer über die Frauenarbeit in arabischen Gesellschaften jetzt gesunken ist, weil sich die Prioritäten des Lebens geändert haben und die Arbeit des Mannes allein nicht mehr ausreicht, um die Familie zu unterhalten“, sagt Asma Helo, eine 30-jährige syrische Masterstudentin an Beuth-Hochschule für Technik in Berlin. Derzeit schreibt sie an ihrer Masterarbeit in einem Pharmaunternehmen. In Deutschland sehe man einen deutlichen Unterschied zwischen den Sichtweisen der arabischen und westlichen Gesellschaft in Bezug auf von Frauen besetzten Arbeitsstellen.

Es gibt viele Jobs in den arabischen Ländern, in denen nur sehr wenige oder gar keine Frauen arbeiten, wie zum Beispiel in der Taxi- und Busfahrerbranche sowie der Gastronomie. Diese Geschlechterdiskriminierung raubt Frauen die Chance, finanziell unabhängig zu werden und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. „Es war nicht einfach, daran zu denken, in einem Restaurant, Café oder Hotel zu arbeiten, selbst wenn eine Frau finanzielle Probleme hat. Ich weiß nicht, warum die Gesellschaft die Frauen, die in diesen Bereichen arbeiten wollen, so ansieht, als ob sie sich selbst verkaufen“, sagt Helo ironisch. „Aber in Deutschland habe ich vor Beginn des Masters in einem Eiscafe gearbeitet, um meinen Lebensunterhalt zu finanzieren, und das war ganz normal“, ergänzt sie.

Geschlechterdiskriminierung und rassistische Kommentare

Die beiden jungen Frauen, Asma und Razan, können von ihren Erfahrungen aus ihren Herkunftsländern erzählen und diese mit ihren Erfahrungen in Deutschland vergleichen. Als arabische Frauen standen sie in ihren arabischen Gemeinschaften vor Herausforderungen, aber in Deutschland sei die Situation nicht viel besser. Wegen ihrer arabischen Identität und weil sie Frauen sind, werden sie am Arbeitsplatz oder an der Universität diskriminiert. Beide erlebten Situationen, in denen sie sich nicht wohl fühlten. „Ich habe einmal in einem Theater gearbeitet und als ich einchecken musste, fragte mich die Frau mit der Liste der Mitarbeiternamen, wie man meinen Namen aussprechen würde und sie sagte: ‚Oh, Sie Araberinnen haben schwierige Namen!’“ Nachher, als ich mein Hemd für die Arbeit bügelte, kam ein Mann herein und warf sein Hemd nach mir, lachte und sagte: ‚Bügel mein Hemd mit deinem.‘ Wow! Doppelte Diskriminierung an einem Tag“, sagt Naser Eddin sarkastisch.

Man kann nicht sagen, dass arabische Gesellschaften überall gleich sind, weil es von Familie zu Familie und von Region zu Region variiert. Diese Vorverurteilung stört Asma und Razan besonders wenn sie gefragt werden, „Warum tragen Sie kein Kopftuch?“ oder „Dürften Sie in Ihrem Land nicht arbeiten?“. Nur weil es arabische Frauen gebe, die Kopftuch tragen, bedeutet das nicht, dass alle Frauen eines tragen müssen. „Außerdem denke ich, dass Kleidung eine persönliche Freiheit ist“, sagt Razan.

Ein weiteres Beispiel für Geschlechterdiskriminierung und rassistische Kommentare, die Razan am meisten schockierten, ereigneten sich an ihrer Universität. Als sie mit dem Studium an der Bauhaus-Universität Weimar angefangen hatte, habe ein Professor ein Kamel und eine Palme in ihr Notizbuch gezeichnet und sie scherzend gefragt, ob Razans Familie wisse, dass sie einen Freund habe. „Das ist ein rassistischer und unangemessener Kommentar. Wieso sollte er das zeichnen? Fällt ihm zu Arabern wirklich nur Kamel ein? Und warum hat er so über den Freund und meine Familie gesprochen? Das ist doof“, erzählt Naser Eddin wütend.

„Ich blicke optimistisch in die Zukunft“

Razan Naser Eddin kann als selbständige Künstlerin arbeiten ohne an eine Institution gebunden zu sein. Sie postet ihre Gemälde auf Instagram und im Sommer malt sie immer am See oder in einem Park. Vor ein paar Tagen habe sie an ihrer ersten Ausstellung teilgenommen und fühle sich sehr froh und wohl, weil die Ausstellungsorganisatoren sehr nette Frauen seien.

Was Arbeit allgemein betrifft, ist die Geschlechterungleichheit zwar in der ganzen Welt noch zu beobachten, jedoch nimmt sie besonders in der arabischen Welt erschreckende Ausmaße an. Nach Angaben der Weltbank waren 2019 weniger als die Hälfte (47,7%) aller Frauen in der ganzen Welt erwerbstätig, wärend fast drei von vier Männern (74,7%) Erwerbsarbeit ausübten. Zudem befinden sich 13 der 15 Länder mit der niedrigsten Erwerbsquote von Frauen im Nahen Osten und in Nordafrika. Razan Naser Eddin blickt dennoch optimistisch in die Zukunft und sieht, dass diese Zahlen sich weltweit noch ändern können. In Bezug auf die arabische Welt ist Razan der Ansicht, dass die Gesellschaft nicht zu stark unter Druck gesetzt werden sollte, weil soziale Veränderungen Zeit brauchen. „Um eine Veränderung in einer Gesellschaft herbeizuführen, muss diese Veränderung von den Einheimischen vorgenommen werden, und hier spreche ich über die Frauen. Arabische Frauen sollten zusammenstehen, sich mehr treffen und mehr ihre Interessen untereinander besprechen. Und wenn sie mit ihrem heutigen Leben zufrieden sind, sollte niemand sie unter Druck setzen. Ich blicke optimistisch in die Zukunft“, sagt sie lächelnd.