Seit Monaten hinterlässt die Corona-Krise in allen Bereichen des Lebens tiefe Spuren. Mit knapp 200.000 Erkrankten und über 9.000 Toten in Deutschland trifft die Pandemie die Gesellschaft schwer. Besonders darunter zu leiden haben ersten Erkenntnissen zufolge Gastronomie, Tourismus und die Event-Branche. Wenn man sich abseits der Großkonzerne umschaut, wird deutlich, dass auch einzelne Bevölkerungsgruppen stärker in Mitleidenschaft gezogen werden als andere. Dazu gehören unter anderem Menschen in niedrigeren Einkommensschichten, Alleinerziehende und Mütter.
Von Paula Machel
Nach ihrem sechs-Stunden-Tag im Amt beeilt sich Tabea M., pünktlich nach Hause zu kommen. Auf die 33-Jährige warten ihr Sohn (3), ihre Tochter (5) und noch mehr als sechs Stunden unbezahlte Sorgearbeit. Zum Glück ist ihr Arbeitgeber verständnisvoll. Zu Beginn der Pandemie wurde im Wechselmodell gearbeitet, bei dem abwechselnd Gruppe A für zwei Wochen im Amt und Gruppe B zuhause war. Danach durften alle Kolleg*innen mit Kindern unter 12 Jahren prinzipiell im Homeoffice arbeiten – was bedeutet, dass sie zuhause waren und gar nicht arbeiteten. Gewissensbisse ließen Tabea dieses Privileg jedoch nur selten nutzen: „Man hat ja doch irgendwie ein schlechtes Gewissen, wenn man zuhause ist, nicht arbeitet und dafür auch noch bezahlt wird.“
Auch ihr Mann hatte Glück mit seinem Arbeitgeber. Es war ihm möglich, komplett von zuhause aus zu arbeiten. Das bedeutete für ihn konkret sich den ganzen Vormittag um die Kinder zu kümmern, ihnen Essen zu machen und sie dann vor dem Fernseher zu „parken“, um mit seiner Arbeit beginnen zu können. Dort beschäftigten sie sich selbst, bis Tabea wiederkam und die Betreuung übernehmen konnte.
An ihrem Arbeitsalltag hatte sich sonst nicht viel geändert: Sie stand früh auf und erledigte ihre Aufgaben. Nur die Gefühlslage war merklich anders. Die Arbeit machte deutlich weniger Spaß, sie war öfter gestresst und hatte immer den Gedanken im Hinterkopf: „Du musst jetzt pünktlich zuhause sein, sonst sitzen die Kinder wieder Ewigkeiten vor dem Fernseher.“
„Homeoffice mit kleinen Kindern ist nicht möglich“
Die wirklichen Veränderungen wurden erst zuhause richtig deutlich. Ihr Nachmittagsprogramm bestand nunmehr daraus, auf ihre Kinder aufzupassen. Schon das Einkaufen wurde zum Kraftakt – die Hamsterkäufe anderer erschwerten diesen Punkt zusätzlich, zusammen mit den neuen Hygienevorschriften und kleinen Kindern im Schlepptau. Und abends musste noch gekocht werden. Ihr Mann arbeitete währenddessen bis zum Abendessen, manchmal noch darüber hinaus.
Für Tabea bedeutete die Zeit im Homeoffice also, gar nicht zu arbeiten. Und darüber war sie sehr froh, denn: „Homeoffice mit kleinen Kindern ist nicht möglich! Das haben sich alte weiße Männer ausgedacht, die wahrscheinlich niemals mit ihren Kindern mehr als vier Stunden am Stück Zeit verbracht haben.“
Die Vorstellung vieler Arbeitgeber, dass man zuhause sitzen und arbeiten könne und die Kinder friedlich miteinander spielen würden, das funktioniere nicht. „Ich weiß nicht, mit welchen Kindern das funktionieren könnte, mit meinen nicht.“ Um diesen Stress zu vermeiden, wäre sie lieber ins Beschäftigungsverbot aufgrund ihrer Schwangerschaft gegangen, „aber diese Option haben ja nun auch nicht viele.“
„Du kommst von der Arbeit und bist komplett für die Kinder zuständig. Und dann fällst du ins Bett“
Auch bei der Zufriedenheit mit der Familiensituation spürte Tabea einen deutlichen Rückgang. „Ich kann mich noch dran erinnern, dass jemand mir zum Geburtstag gratuliert hat und mir viel Zeit mit der Familie gewünscht hat. Da hab‘ ich gesagt: ‚Nee, die hab‘ ich grade, ich hätte jetzt gerne wieder mehr Zeit für mich. Ohne Kinder.’“
Anstrengend sei die Zeit auf jeden Fall gewesen, für alle, besonders auch für die Kinder. Sie wurden aus ihrem kompletten Alltag herausgerissen, „und wären wir nicht leichte Gesetzesbrecher gewesen, indem wir sie mit dem Nachbarskind haben spielen lassen, dann hätten sie ja nicht mal andere Kinder zum Spielen gehabt, was total irre ist.“ Der fehlende soziale Kontakt und die ungewohnte Situation, den ganzen Tag gezwungenermaßen Zeit miteinander verbringen zu müssen, sei eine starke Belastung gewesen.
Das Argument „Aber im Urlaub hast du doch auch die ganze Zeit die Kinder um dich!“ will Tabea nicht gelten lassen. „Im Urlaub macht man auch etwas und alle Möglichkeiten stehen einem offen, bei Corona … siehst du ja, wie viele Möglichkeiten wir hatten“, sagt sie und schnaubt resigniert. Dabei denkt sie nicht nur an das Kontaktverbot und die Kita-Schließungen, sondern auch an das Spielplatz-Verbot.
„Grade an Tagen, wenn wir beide gearbeitet haben, war es sehr belastend. Man ist ungeduldiger, keift schneller mal rum, miteinander und auch mit den Kindern. Und, was dazu kommt: Bei diesem Modell bleibt ja keine Zeit für dich, keine Freizeit, wo du mal ein bisschen durchatmen kannst. Du kommst von der Arbeit und bist komplett für die Kinder zuständig. Und dann fällst du ins Bett.“
Die Enttäuschung über die Regierung ist groß
Genau wie viele andere Familien hätte auch Tabea sich eine eindeutigere Kommunikation und Entlastung seitens des Staates gewünscht.
„Du kriegst gesagt, ja, die Kinder bleiben zuhause – aber keiner wusste wie lange! Über alles Mögliche wurde dann verhandelt nach den ersten Wochen, es wurde alles schon besprochen, was fiel unter den Tisch? Die Kinder. Damit hat sich keiner befasst. Erst als ein Aufschrei von allen Seiten kam. Irgendwie sind wir nicht systemrelevant.“
Eine der großen Pressekonferenzen ist ihr besonders im Gedächtnis geblieben. Als es darum ging, wie es nun weitergehen sollte und kein Wort zu den Kindern fiel, nichts. Dass das einfach mal so hinten runterfiel, das war enttäuschend – „dass man nicht mal so viel wert ist wie ein Autohändler oder so.“
Auch der von der Bundesregierung beschlossene Corona-Familienbonus von 300€ pro Kind kann darüber nicht hinwegtrösten. „300€ Bonus, um die Eltern für die vergangenen Monate zu entschädigen. Wow! Da kann ich mir ja richtig was von kaufen! 300€ ist der reinste Hohn, verteilt auf zwei Monate, damit du nicht zu viel auf einmal ausgibst, oder was?“
Die Erfahrungen, die Tabea in Zeiten der Corona-Krise machen musste, decken sich mit denen von Millionen Haushalten in Deutschland. Vielen ging es dabei noch schlechter.
Die Pandemie trifft Mütter besonders stark
Zu dem Schluss, dass die Pandemie bereits bestehende Ungleichheiten deutlich verstärkt, kam auch das Wissenschaftszentrum Berlin. Aus ihrem Ergebnisbericht von April 2020 geht hervor, dass Selbstständige, Geringverdienende, Frauen und Eltern besonders betroffen sind. Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung stellen eine große Doppelbelastung dar.
Verglichen mit Kinderlosen arbeiten Eltern tendenziell weniger. Besonders Mütter arbeiten häufiger gar nicht oder weniger als Väter. Mütter sind in der Krise außerdem eher unzufrieden mit der Arbeit und machen sich größere finanzielle Sorgen, außerdem sorgen sie sich stärker um den Verlust des Arbeitsplatzes als ihre Partner. Des Weiteren sind sie stärker von Arbeitszeitanpassungen betroffen als Väter: die Wahrscheinlichkeit, dass sie im üblichen Stundenumfang arbeiten ist niedriger, dass sie gar nicht arbeiten jedoch höher.
Systemrelevante Berufe wie beispielsweise im Gesundheits- und Pflegebereich, in denen oft Frauen tätig sind, lassen sich nicht von zuhause ausführen. Deshalb arbeiten diese häufiger weiterhin am Arbeitsort und seltener von zuhause als Personen in nicht-systemrelevanten Berufen, erleben weniger Veränderungen und machen sich im Vergleich auch weniger Sorgen um ihre finanzielle Situation. Sie fühlen sich jedoch weniger stark vom Arbeitgeber unterstützt.
Tendenziell ist die Arbeitszufriedenheit, besonders bei Personen die weniger arbeiten, zurückgegangen, dies sind oft Frauen.
Corona beeinträchtigt Bildungschancen
Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) veröffentlichte mit dem Wochenbericht im Mai besorgniserregende Zahlen.
Seit Mitte März waren ca. 8,8 Millionen betreuungsbedürftige Kinder gezwungen zu Hause zu bleiben, anstatt in ihre Kindertageseinrichtung oder Schule zu gehen. Neben anderen Problemen ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie dadurch auch in ihrer sozialen Entwicklung und den Bildungschancen beeinträchtigt werden. Das Autorenteam des DIW kam zu dem Schluss, dass mehr als 4 Millionen Familien durch die Corona-Krise vor Probleme mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gestellt wurden. Ein wirklich produktives Arbeiten parallel zur Kinderbetreuung sei oftmals nicht möglich. Dass private Betreuungsarrangements, wie beispielsweise durch die Großeltern, wegfallen, erschwere die Situation noch mehr.
Rund 30% aller Haushalte mit Kindern bis 12 Jahre nehmen regelmäßige Kinderbetreuung durch Verwandte in Anspruch, bei Alleinerziehenden sind es knapp 40%. Es zeigt sich, dass diese durch die Schließungen besonders stark belastet werden, gerade wenn sie in Vollzeit tätig sind. Bei ungefähr der Hälfte der erwerbstätigen Haushalte ist ein Elternteil – meist der Vater – in Vollzeit angestellt, die Mutter in Teilzeit.
Die Studie zeigt deutlich, dass ein Großteil der Kinderbetreuung normalerweise von Müttern geleistet wird, auch, wenn sie erwerbstätig sind. Schon vor der Krise übernahmen in Paarhaushalten Mütter den Großteil der Sorgearbeit. Auch in Haushaltstätigkeiten wurde mehr Zeit investiert, allgemein ist der Zeitaufwand für Kochen, Putzen und Einkaufen in der Krise deutlich gestiegen. Die Männer in Paarhaushalten arbeiten häufiger in Vollzeit und werden mehrheitlich besser bezahlt als ihre Partnerinnen. Auch das mag ein Grund dafür sein, dass Väter seltener ihren Erwerbsumfang reduzieren, um Mütter zu entlasten. Die Aufteilung der Sorge- und Hausarbeit hängt jedoch auch von den ausgeübten Berufen ab, welche bestimmen, ob Kurzarbeit in Frage kommt oder von zuhause gearbeitet werden kann.
Theoretisch können rund 38% der Mütter und 36% der Väter in Deutschland im Homeoffice arbeiten. Im Vergleich dazu arbeiten rund 35% der Alleinerziehenden in Berufen, in denen Homeoffice möglich wäre. Daraus folgt, dass die meisten Eltern Erwerbsarbeit und zusätzliche Betreuungsarbeit nicht einmal theoretisch unter einen Hut bekommen könnten. Denn in 65% aller Haushalte von Alleinerziehenden und in über 40% der Paarhaushalte geht kein Elternteil einem Beruf nach, der mit Heimarbeit kompatibel ist. Das führt dazu, dass ein Elternteil Arbeitsstunden reduzieren oder den Job, zumindest zeitweise, ganz aufgeben muss. Da in vielen Paarhaushalten Frauen das geringere Gehalt beziehen, ist diese Entscheidung oft vorbestimmt. Die Gefahr eines gleichstellungspolitischen Backlashs besteht.
Auf die Frage, ob man aus der Krise nicht doch vielleicht noch etwas Positives mitnehmen kann, fällt Tabea nicht viel ein. Die Kinder vertragen sich jetzt besser, sie haben sich ein bisschen zusammengerauft. Und hätte ihr vorher jemand gesagt „Die Kinder sind jetzt zehn Wochen zuhause und du musst versuchen, alles andere drum rum zu basteln!“ hätte sie wohl gedacht, dass sie das im Leben nicht schafft. Um dann festzustellen – es geht doch! Von Woche zu Woche. „Also man mobilisiert doch einige Kräfte. Aber so positiv war die Zeit nicht.“
Paula Machel studiert Englische Philologie und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Alliterationen in Überschriften machen sie glücklich.