Keine Wohnung für niemanden

Investor:innen keine Chance zu geben, das fordern Bürger:innen mit ihrem Banner bei einer Mieterdemonstration in Kreuzberg. An der sich zuspitzenden Wohnungsnot geben viele Berliner:innen diesen zumindest zum Teil die Schuld. Foto von some human / CC By-NC 2.0

Keine Wohnung für niemanden

Charlottenburg ist keiner der Bezirke, die in der Debatte um Berliner Wohnungsnot immer wieder auftauchen. Doch die Probleme der Hauptstadt spiegeln sich auch in diesem Bezirk wieder – und mobilisieren die Charlottenburger:innen.

von Antonia Böker & Dominik Hokamp

Lea und Leo suchen eine Wohnung. Die beiden studieren, mittlerweile im sechsten Semester, an der Technischen Universität in Berlin. So langsam, denken die zwei, wäre es an der Zeit, von zu Hause auszuziehen. Bisher wohnen sie bei ihren Eltern in Spandau. Lieber würden sie näher an der Uni wohnen. Vor allem aber: so langsam mal allein, ohne Eltern. Auf eigenen Beinen stehen. Etliche Wohnungsbesichtigungen haben die beiden deshalb schon hinter sich – eine Wohnung aber noch nicht. Ihr gewünschter Bezirk, Charlottenburg-Wilmersdorf, liegt zwar nah am Campus, gehört aber auch schon immer zu den teuersten Pflastern der Hauptstadt. Die Gegend um den Kurfürstendamm ist von hochpreisigen Boutiquen und Restaurants geprägt, die Kantstraße gehört zu den teuersten Straßen Berlins. Hier fallen mehr als 11,60€ pro Quadratmeter an. Zum Teil stiegen die Mieten in den letzten 5 Jahren um bis zu 60%. Das ist jedoch noch nichts im Vergleich zu anderen Vierteln. Dabei haben Leo und Lea noch Glück. Bis sie eine Wohnung haben, können sie erstmal zu Hause bleiben. “Wenn man dringend eine Wohnung sucht, sieht es hier ziemlich ausweglos aus”, resignieren die beiden.

Mieten schnellen nach oben

Berlin und seine Wohnungsnot – das ist kein neues Thema. Über kaum etwas wird in Berlin so heftig diskutiert wie die Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt. Wohnungen gibt es zu wenige. Die, die da sind, werden immer teurer. Im bundesweiten Vergleich gehört die Hauptstadt zwar immer noch zu den günstigeren Flecken der Republik, doch die Preise entwickeln sich rasant – und zwar stetig nach oben. Seit 2004 um mehr als 120 Prozent, allein im letzten Jahr um zwanzig aufwärts. Damit ist Berlin laut Guardian die Stadt, in der die Mietpreise wie nirgends auf dem Globus in die Höhe schnellen. Eine Entwicklung, die sich vor allem in den angesagten Bezirken im ehemaligen Ostteil der Stadt und der historischen Mitte niederschlägt.

Lange galt Charlottenburg-Wilmersdorf als eine Art Gegenstück zu den Problembezirken. Im Bezirk – mittlerweile nur noch das zweitwichtigste Zentrum der Metropole, wesentlich geprägt vom Kurfürstendamm, der Gedächtniskirche, dem Zoo und dem danach benannten Fernbahnhof – dominieren gutbürgerliche Altbauten aus der Kaiserzeit, in den Randgebieten lassen sich grüne Ein- und Zweifamilienhäuser finden. Freie Flächen und große Wohnbauprojekte sind kaum vorhanden. Auch die Mietpreisentwicklung der letzten Jahre scheint eher durchschnittlich: mitunter sprach man vor einigen Jahren sogar von einer rückläufigen Entwicklung. Nun ist der Beisatz „für Berlin durchschnittlich“ weit davon entfernt, ein Gütesiegel für die Mietpreisentwicklung zu sein. Vor allem aber lassen die Durchschnitte einiges außer Acht. In einigen Gebieten des Bezirks war zeitweise keine Steigerung zu verzeichnen, da die Mieten ohnehin zu den teuersten der Hauptstadt zählten. Vielerorts war der Höchstpreis aber schlicht erreicht – Erhöhungen hätten die Kaufkraft der Bewohner:innen überstiegen. Außerdem: Charlottenburg ist nicht gleich Charlottenburg. Die Wohnpreise und ihre Entwicklung schwanken stark zwischen einzelnen Ortsteilen. Auch die bisher günstigeren Mieten schnellen in die Höhe. Im Ergebnis fürchtet man, was auch in anderen Bezirken droht: Einen homogenen Bezirk, in dem sich nur noch Bestverdiener:innen eine Wohnung leisten können.

So kennen die meisten Charlottenburg. ‚Near Savignyplatz‚ von Oh-Berlin.com / CC BY 2.0

Fingerzeigen in der Politik

Die Berliner Wohnungspolitik ist ein hartes Pflaster. Zuletzt stand Bausenatorin Katrin Lompscher immer wieder in der Kritik. Nicht erst seit der Konstitution der rot-rot-grünen Landesregierung ist der Wohnungsbau ein Dauerthema. Auf der letzten Senatsklausur im Juli konnte sie dazu kaum zufriedenstellende Zahlen präsentieren. „Die Bausenatorin, die nicht baut”, titelte der Tagesspiegel. Tatsächlich hat die Koalition beschlossen, bis 2021 30.000 neue städtische Wohnungen zu bauen. Davon scheint sie weit entfernt. Neben schleppend verlaufenden politischen Entscheidungsprozessen tragen vor allem Spekulant:innen einen Teil zur aktuellen Wohnungssituation bei: Für Zehntausende Wohnungen sind bereits Genehmigungen erteilt, doch der Wert dieser Grundstücke steigt stetig und in der Hoffnung auf einen satten Gewinn warten die Investor:innen. Katrin Schmidberger von den Grünen „schätzt den Anteil solcher spekulativ verzögerter Bauvorhaben auf 20 bis 25 Prozent.“
Aus den Reihen der Koalitionspartner hat die Senatorin viel Gegenwind bekommen, es häufen sich die Entlassungsforderungen. Lompscher selbst zeigte sich im Tagesspiegel noch vor einigen Monaten zuversichtlich. Sie glaubte, alles in ihrer Macht stehende zu tun. Veränderungen der Lage könne man nicht von heute auf morgen erwarten. Dabei verwies sie damals auf ihre Vorgänger:innen. Berlin habe 2005 begonnen sich zu verändern, reagiert habe man darauf erst 2012. Nun sei es schwer, schnell Ergebnisse zu erzielen. Ähnlich sieht das die Berliner Mietgemeinschaft – sie sehen vor allem den rot-roten Senat unter Wowereit in der Verantwortung. Dort habe man auf eine steigende Nachfrage lange nicht reagiert, und die Wohnungsnot so erst ins Rollen gebracht. Fest steht: nicht erst seit Lompscher wird eine unzureichende Wohnungspolitik bemängelt. Und Debatten gibt es auch darüber, wo Wohnungspolitik wirklich gemacht werden kann. Die Bausenatorin zeigt in dieser Hinsicht, wie viele, auf den Bund – die Bezirke meist auf den Senat.

Der Bezirk in der Verantwortung?

„Möglichkeiten hat der Bezirk selbst durchaus”, betont Corinna Hölzl-Verwiebe, die am geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Raumplanung forscht. Ein Beispiel könne man sich am Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nehmen. Maßnahmen wie das Vorkaufsrecht müssten aber häufiger in Anspruch genommen werden. Zum Teil geschieht das in Charlottenburg durchaus. Zwei Milieuschutzgebiete gibt es bereits. Die „Entscheidungen zum Milieuschutz“, so Stadtentwicklungsstadtrat Oliver Schruoffeneger, „zeigen Wirkung.“ Mit dem Milieuschutz habe man ein Instrument in der Hand, um zumindest eine Verdrängung bisheriger Mieter einzudämmen. Erst kürzlich hatte die Bürgerinitiative Fasanenplatz sich um die Schaffung eines dritten Milieuschutzgebietes bemüht. Nachdem die beteiligten Bürger*innen genügend Unterschriften gesammelt hatten, wurden diese am 9. Juli der Bezirksverordnetenversammlung übergeben, wie die Berliner Woche berichtete. Aber nicht alle sind von dem Instrument überzeugt. Nur selten halte der Milieuschutz, was er verspricht, findet die Berliner Mietergemeinschaft. Umfassende Lösungen sind durch ihn nicht zu erwarten. Völlig eigenständig handlungsfähig ist der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf zudem auch mit diesen Instrumenten nicht. Für die Finanzierung zuständiger Stellen im Bezirk ist man auf den Senat angewiesen, in der Vergangenheit hat es damit bereits Probleme gegeben. Über die Effektivität der Bezirksinstrumente sagt Michael Nelken von der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus: „Die Ergebnisse sind bestenfalls eine Dämpfung des Preisauftriebs“. Auf Bezirksebene fehlen die Möglichkeiten der Intervention, den Entscheidungen höherer Instanzen sind sie aber ausgeliefert. Positive Effekte bleiben bisher dabei eher aus. Die 2015 von der Bundesregierung beschlossene Mietpreisbremse beispielsweise konnte die Probleme bislang nicht in den Griff bekommen. Der Berliner Mieterverein konstatierte Anfang des Jahres, dass sie „ihre Wirkung verfehle“. Nelken schlägt in dieselbe Kerbe, kritisiert sie als „ungeeignet“ und „schlecht konstruiert“.

Diese Erfahrung machen Wohnungssuchende im Bezirk immer wieder – so auch Lea und Leo. Die ortsübliche Vergleichsmiete beträgt in Charlottenburg-Wilmersdorf etwa 8-9 Euro pro Quadratmeter – eingehalten wird das von den wenigsten Vermieter:innen, berichten sie. Dazu kämen fragwürdige Vertragskonstellationen, Wohnungsbesichtigungen mit fünfzig Parteien und undurchsichtige Vergabeverfahren. Das macht die Suche frustrierend und ermüdend. “Wir suchen jetzt seit fast einem halben Jahr und sind keinen Schritt weiter.” Dabei gäbe es doch Unterstützung von zuhause und liquide Bürgen.

Wohnen wird immer teurer in Berlin. „Miete macht Angst“, findet deshalb nicht nur dieser Berliner bei einer Mietendemonstration im Mai 2017. Foto von some human / CC BY-NC 2.0

Die Stadt als Ware

„Die exorbitanten Mietpreissteigerung im Bezirk Charlottenburg, wie in vielen anderen Teilen der Stadt und in vielen kapitalistischen Metropolen, sind Ausdruck der Bewegung auf dem kapitalistischen Immobilien- und Bodenmarkt sowie dem Zufluss von kaufkräftiger Nachfrage und Anlagekapital“, so Nelken. Daran könnten weder Land noch Bezirk nachhaltig etwas ändern. Auch die Mietergemeinschaft spricht auf ihrer Website von einem „voranschreitenden Terror des Marktes.” Dr. Hölzl-Verwiebe teilt diese Ansicht grundsätzlich. Die Wissenschaftlerin hat vor allem zu Protestbewegungen geforscht, die sich als Reaktion auf prekäre Wohnungssituationen formieren. Zu Bürger:innen, die sich gegen eine „Kommodifizierung des Städtischen“ auflehnen. Kommodifizierungsprozesse seien global zu beobachten – auch hier in Berlin. Die Stadt werde zur Ware und Wohnungen dienten vermehrt nicht mehr zur Deckung des Grundbedarfs, sondern würden zu Kapitalanlagen. Darauf habe die Politik bisher nicht genügend reagiert. Dass das Folgen hat, hat sich in Berlin in den letzten Monaten gezeigt.

Obwohl die Problematik Einzug in alltägliche Gespräche erhalten hatte, trug sich der Unmut lange nicht in den öffentlichen Raum. Doch auch das scheint sich nun zu ändern: Mitte April zogen Zehntausende durch das Berliner Regierungsviertel, um gegen steigende Mieten zu protestieren. An der Spitze des Demonstrationszugs thronte ein mintgrünes Banner – “Gegen Verdrängung und den Mietenwahnsinn.” An Pfingsten besetzten Aktivist:innen neun Gebäude in der ganzen Stadt, riefen ihren persönlichen „Karneval der Besetzungen“ aus und mussten abends zusehen, wie die Polizei die Häuser wieder räumte. Die Aktion hatte man damals als „Politik von unten“ verkauft. Auf verschiedensten Kanälen der Kampagne #besetzen war später der Slogan zu lesen: „Der Senat redet von Wohnungspolitik, wir machen sie!“ Die Aktivist:innen sehen in den Besetzung ein politisches Instrument – und fordern ein Ende der Berliner Linie. Besetzen sollte legal sein, finden sie. In einer Stadt, in der es an zehntausenden Wohnungen fehlt, sollte es legitim sein, Leerstände eigenständig zu beenden. Zuspruch erhielten sie dafür nach dem Pfingstwochenende von einigen Linken- und Grünenpolitiker:innen. Dies löste heftige Debatten entlang der Rot-rot-grünen Landesregierung aus, die SPD widersprach der Ansicht vehement.

Für eine realpolitische Maßnahme hält Dr. Hölzl-Verwiebe die Besetzungen nicht. Für typisch, sogar programmatisch, allerdings schon. Dass eine sich stetig verschlimmernde Wohnungssituation Menschen mobilisiere, sei natürlich. Besetzer:innen gingen dann nach der Logik „ist der Staat und, oder die Stadt nicht in der Lage, den Zugang zu Wohnen zu ermöglichen, muss ich mir meine Wohnung selbst besorgen“, vor. Die Besetzungen rund um Pfingsten sind quasi symptomatisch für die Wohnungsproblematik. Eine wirkliche Lösung sind die Hausbesetzungen nicht. Das können sie nur sein, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Nach der Berliner Linie werden in der Hauptstadt alle Besetzungen binnen 24 Stunden geräumt. Die Forscherin ordnet die Besetzungen in Berlin deshalb eher als Protest ein. Das bedeutet aber nicht, dass Besetzungen bestenfalls symbolisch funktionieren. Sie würden Aufmerksamkeit für Missstände schaffen, so Linkenpolitiker Nelken, und mitunter die Öffentlichkeit für alternative Strategien sensibilisieren.

„Es hat sich viel Wut angestaut”

Das ist im Interesse der Mieter:innen, findet Reiner Wild, Vorsitzender des Berliner Mietervereins. Grundsätzlich verstehe er die Besetzer:innen und begrüße es, dass sie Aufmerksamkeit schaffen, erklärte er in einem Interview mit der Morgenpost: „Da hat sich viel Wut angestaut.“ Und damit ist er tatsächlich nicht allein. Einer Forsa-Umfrage zur Folge unterstützen 53% der Berliner:innen Hausbesetzungen als Mittel, um gegen die Wohnungssituation zu protestieren.

Frustriert ist auch Jannes, der seit einigen Jahren in Charlottenburg lebt. Der Lehramtsstudent ist selbst politisch aktiv, hat selbst erlebt, wie es zunehmend schwerer wird, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Freunde von ihm haben mit Mietpreiserhöhungen nach Sanierungen zu kämpfen, andere finden überhaupt keine Wohnung. Ob er Protestbesetzen unterstütze? „Ja“, sagt er. Ihm geht es dabei gar nicht um das Besetzen an sich. Nach den Besetzungen an Pfingsten ist ihm aber aufgefallen, wie viel mehr über die Wohnungspolitik diskutiert wurde. Man habe sich dem Thema ja kaum entziehen können.

Dass die Unmut über eine unzureichende Wohnungspolitik Sympathien für Besetzer:innen weckt, findet Dr. Hölzl-Verwiebe durchaus naheliegend. Natürlich werde nicht jeder zur Besetzer:in, auch nicht zur Unterstützer:in, weil er unzufrieden ist. Besetzungen sind in Deutschland immerhin illegal. In den Köpfen der meisten Menschen sind sie auch weiterhin so verankert. Dass der Unmut um die Wohnungsthematik aber mobilisierend wirkt, habe zum Beispiel die Mieterdemo im April gezeigt.

Lea und Leo waren im April auch auf der Demo, haben für günstigere Mieten und bezahlbaren Wohnraum demonstriert. Eine Wohnung haben sie noch nicht, aber aufgeben wollen sie so schnell auch nicht. Ein bisschen zuversichtlich gestimmt sind die beiden mittlerweile wieder. Irgendwie sei ja schon Bewegung in die Sache gekommen, in den letzten Monaten. Druck auf die Politik, Lösungen zu finden, die auch die Lage in Charlottenburg verbessern können, gäbe es nun zumindest noch mehr.

Foto von some human / CC BY-NC 2.0


Dominik Hokamp, 21, studiert im vierten Semester Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der FU Berlin und die Kosten für Kaffee übersteigen seine monatliche Miete.


 

 

Antonia Böker studiert im vierten Hochschulsemester Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, sowie Politikwissenschaft.