Zweiter Bildungsweg: Lisas Weg zum Wunschberuf

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Zweiter Bildungsweg: Lisas Weg zum Wunschberuf

Lisa S. (28) hat sich entschieden Umwege in Kauf zu nehmen. Um doch noch ihren Traumberuf ausüben zu können, gab sie ihre alte Arbeitsstelle auf, holte ihr Abitur nach und begann ein Studium. In diesem Interview erzählt uns Lisa ihre Geschichte und wie es möglich ist, sein Ziel auf dem zweiten Bildungsweg zu erreichen.

von Dayra Palacios

 

Hallo Lisa, schön, dass Du Dir die Zeit nimmst. Erzähl doch mal, was genau studierst Du jetzt?

Ich studiere Pädagogik der Kindheit und bin im fünften Semester. Die Regelstudienzeit ist sieben Semester. Ich denke, dass schaffe ich. Das Studium mache ich jetzt auf dem zweiten Bildungsweg. Vorher habe ich das Abitur nachgeholt. In meinem Studium geht es, um alles rund um die Kindheitspädagogik bis zum Alter von 14 Jahren.  Der Studieninhalt ist breitgefächert, ich erlerne nicht nur pädagogische Inhalte, sondern auch Grundlagen der Entwicklungspsychologie, Forschungsmethoden und -praxis, Grundlagen der Managementaufgaben auf Leitungsebene in pädagogischen Einrichtungen und vertiefend auch Inhalte zur Beratung. Die Beratung ist der Schwerpunkt, den ich mir gesetzt habe. Ich könnte nach dem Studium zum Beispiel in Kindertageseinrichtungen, Familienzentren oder -bildungsstätten, aber auch bei der Jugendgerichtshilfe arbeiten. Ich werde aber versuchen, noch einen Master in Psychosozialer Beratung zu machen, wenn ich einen Platz bekomme und in finanzieller Hinsicht dafür eine Weiterförderung bekomme.

Was hast Du früher gelernt und weshalb hattest Du Dir diesen Beruf damals ausgesucht?

Ich bin gelernte staatlich anerkannte Europasekretärin. Meinen Abschluss habe ich 2009 gemacht. Ich habe den Beruf gelernt, weil ich Sprachen liebe und dadurch drei Sprachen lernen und erweitern konnte. Es waren Englisch, Französisch und Spanisch.

Wie kam es dazu, dass Du Dich entschieden hast Abitur zu machen um in eine neue berufliche Richtung zu gehen?

Mir war langweilig (lacht). Ich habe in verschiedenen Unternehmen gearbeitet und immer das Gefühl gehabt nach anderthalb Jahren, dass ich mich langweile. Es gab keine Herausforderung. Obwohl ich meine Jobs immer geliebt habe, habe ich gemerkt, dass mir irgendetwas fehlt. Aus diesem Grund habe ich mir im Internet was gesucht und bin auf verschiedenen Wegen auf das Abendkolleg Kläre-Bloch-Schule gekommen.

 

Hast Du ein Studium schon früher in Betracht gezogen oder erst nachdem Du Dich entschieden hast das Abitur nachzuholen?

Erst nachdem ich beschlossen habe mein Abitur zu machen. Ich wollte nie studieren (kichert). Mein Abi ging von 2013-2016.

Und wie hast Du die Zeit während des Abiturs finanziert?

Ich habe nebenbei gearbeitet, erst 40 Stunden die Woche und dann 30. Im Januar 2016, vor meinem Abschluss, habe ich gekündigt, nur noch bei Kaiser´s ausgeholfen und Schüler-BAföG erhalten. Dadurch gab es weniger Druck und mehr Zeit zum Lernen.

War es nicht schwer das neben der Arbeit zu machen?

Ja, es war sehr schwer. Es gab einen strikten Zeitplan, wenig Freizeit und Privat musste ich zurückstrecken.

Wie waren Deine Mitschüler? Und in welchem Alter wart Ihr?

Vom Alter her sehr bunt gemischt. Es gab alles zwischen 18 und 30 Jahren. Die Charaktere sind sehr verschieden gewesen. Es gab keinen Beruf zweimal. Aber die Klasse hat zusammengehalten. Die Lerngruppen gab es vorwiegend bei mir, ich war zu faul woanders hinzugehen (lächelt).

Was war Dein erster Eindruck zu Beginn des Abiturs bzw. des Studiums?

Ich habe mir keine Sorgen um mein Abitur gemacht. Ich habe mich bewusst dafür entschieden. Ich habe lange gebraucht, mich für eine Weiterbildung zu entschieden. Ich wusste es wird schwierig wieder neu anzufangen und wieder zu lernen, aber ich war mir sicher, dass ich es schaffe.

Über den Studieninhalt habe ich mich wenig informiert und bin ohne Erwartungen rangegangen. Ich habe zum Glück gleich jemanden auf meiner Wellenlänge gefunden, mit dem ich mich austauschen kann. Und als ich die Themen gesehen habe, wusste ich gleich, dass es mich interessiert. Es war wie ein Befreiungsschlag etwas zu tun, was Dich wirklich interessiert, etwas Sinnvolles.

Wenn man älter ist, hat man einen bewussteren Blick für die Entscheidungen, die man trifft.

Hattest Du Schwierigkeiten hinterher zukommen im Abitur bzw. Studium?

Nö, ich war schon immer eine Streberin. Schwierigkeiten gab es nicht, außer in Mathe. Im Studium niemals. Mal ist es etwas stressig wegen der Abgabetermine, aber nie so, dass ich was nachholen muss.

Gab es Unterschiede zwischen Dir und Deinen Kommilitonen und Kommilitoninnen, die mit 18 Jahren ihr Abitur gemacht und gleich zum Studium übergewechselt haben? Wenn ja welche?

Ja, es gab Unterschiede. Die Jüngeren sehen es lockerer. Sie leben mehr und ich sehe das Studium eher als Vollzeitjob. Aber das ist ja auch immer unterschiedlich, mit welcher Intention man ein Studium startet. Ich nehme es sehr ernst, so viel wie möglich mitzubekommen. Die Einfachheit des Lebens mit 18 habe ich ja schon hinter mir. Es gibt aber nicht nur junge Studenten, sondern auch eine Altersgruppe die bis zu zwanzig Jahren älter ist, ihr Studium mit Kind machen oder nebenher ihren Beruf ausüben. Das ist kunterbunt gemischt.

Glaubst Du, dass es Dir einen Vorteil gegeben hat, Deinen Beruf auf dem zweiten Bildungsweg zu finden?

Ja, ich denke schon. Ich weiß zumindest, dass ich meine Chance persönlich bewusster nutze.

Würdest Du es wieder so machen oder lieber traditionell mit 18 Jahren ein Abitur absolvieren und dann studieren?

Ich würde es immer wieder so machen, ich bereue nichts.

Würdest Du es auch anderen Leuten empfehlen, auf den zweiten Bildungsweg zu gehen?

Das kommt darauf an in welcher Lebensphase man sich befindet, aber, wenn man mich nach meiner Meinung fragen würde, ja. Es ist immer gut sich weiterzubilden. Man hört nie auf, denke ich. Man muss nur das passende finden, egal ob Studium oder eine Weiterbildungsmaßnahme. Aber ich würde immer die Person ermutigen, etwas Neues auszuprobieren oder sich weiterzubilden.

Was möchtest Du mit Deinem Studium später erreichen? Wie soll deine berufliche Zukunft aussehen?

Momentan habe ich einen Nebenjob bei VAMV Verband für alleinerziehende Mütter und Väter in Düsseldorf. In der Familienbetreuung fungiere ich als Notmutter, wenn ein Elternteil langfristig krankheitsbedingt ausfällt und Hilfe benötigt. Ich betreue die Familie und erledige auch Dinge für die Familie wie kleine Haushaltstätigkeiten oder das Einkaufen. Diese Arbeit ist eine wunderbare Grundlage für meinen späteren Beruf. Mit dem Nebenjob kann ich auch behinderte Kinder betreuen oder als Springerkraft in Kitas arbeiten. Diese drei Arbeitsformen kann ich mir aussuchen sowie meine Arbeitsstunden, ich verdiene bis zu 400 Euro. Die Arbeitsangebote kommen täglich per E-Mail.

Ich möchte später sehr gerne in der Familienhilfe/-beratung arbeiten. Ich will Familien in Notlagen unterstützen. Damit sie sich nicht hilflos fühlen, sondern die Unterstützung bekommen, die sie brauchen, besonders in bestimmten schwierigen Lebensphasen. Und da kann ich auch aus persönlicher Erfahrung sprechen. Familien wissen oftmals nicht, was es alles gibt, da fehlt es an Aufklärung über die angebotene staatliche Unterstützung. Dabei gibt es sie und sie sollen die Bedürfnisse der Kinder und der Eltern decken. Ich stelle mir immer die Frage, was braucht die Familie, damit das Familienkonstrukt wieder funktioniert. Das Kind steht im Mittelpunkt. Ein Kind hat jede Lebenshilfe verdient.

Früher habe ich mich für meinen Beruf geopfert. Dieser neue Berufsweg soll mir auch die Kraft geben, eine Balance zwischen Beruf und Privatleben zu bekommen. Das Gute daran ist, dass ich lerne Verantwortung abzugeben. Das heißt, ich versuche, was ich kann, um die Familie zu unterstützen, jedoch muss sie entscheiden, ob sie diesen Weg gehen möchte. Diese professionelle Distanz hindert mich nicht daran 100 % zu geben, sie schützt mich aber vor der emotionalen Überforderung.

Gab es Menschen denen Deine Entscheidung nicht gepasst hat?

Ne, ich habe mein Ding gemacht.

Bestärkt Deine Familie Dich darin?

Sie freuen sich für mich und stehen auch hinter mir, aber aufgrund der positiven Erfahrung benötige ich weniger Bestärkung, als wenn man unsicher wäre. Ich hole mir gerne den Rat von meiner Mutter und ihre Meinung ist mir sehr wichtig. Aber Entscheidungen habe ich schon immer selbst getroffen, ich verlasse mich dabei auf mich.

Was glaubst Du hat Dich besonders geprägt, diesen Weg einzuschlagen?

Meine Mutter ist selbst Erzieherin, sie war schon immer meine Inspiration. Trotz familiär bedingter Schwierigkeiten standen wir Kinder immer im Vordergrund. Ich denke, dies hat mich in die Pädagogik geführt. Menschen, die es so schwer haben sollen jemanden anrufen können und Unterstützung bekommen, damit sie wissen, dass es jemanden gibt und es auch ok ist, um Hilfe zu bitten. Das Vertrauen hat jeder verdient und wenn ich davon weitegeben kann ist schon viel geschafft.

Gibt es auch negative Erfahrungen, die Du im Laufe des zweiten Bildungsweges gemacht hast?

Ich merke immer wieder das ich an Grenzen komme, das menschliche Verhalten zu verstehen. Man muss sich im Studium viel mit Selbstreflektion beschäftigen und dann man stellt das Verhalten von anderen öfter in Frage als sonst. Ich merke einfach, dass ich manchmal sehr ungeduldig bin und aufgrund meines eigenen Ehrgeizes weniger offen für eine lockere Einstellung zum Schul- oder Studienleben bin. Ich denke, dass mir das manchmal auch im Weg steht, aber für mich ist dieser neue Berufsweg einfach zu wichtig.

Wie schaffst Du es, Dich zu finanzieren? Bekommst Du Unterstützung?

Ja, ich habe ein Vollzeit-Stipendium von der Studienstiftung des deutschen Volkes bekommen.  Ich bekomme eine Grundsicherung, mein Stipendiensatz wird aufgefüllt mit dem Satz, den ich eigentlich als Bafög erhalten würde. Ich müsste theoretisch nicht nebenbei arbeiten. Allerdings ist es mir wichtig, mich nebenbei weiterzubilden, Berufserfahrung zu sammeln und auch meine persönlichen Reisen finanzieren zu können.

Würdest Du es auch ohne Unterstützung schaffen?

Es wäre viel, viel schwerer, aber ich würde es irgendwie schaffen, weil ich beim Studium nur 20 Stunden Anwesenheitspflicht habe. Die Selbststudienzeit müsste ich anders organisieren, es wäre viel stressiger. Mein Privatleben würde weiterhin darunter leiden.

Wie vereinbarst Du Studium, Arbeit und Privatleben?

Gerade befinde ich mich im Praxissemester und mache ein Praktikum. Ich muss viel arbeiten, aber es macht auch viel Spaß. Ich werde unstrukturiert, wenn ich nicht arbeite und bin zufriedener, wenn ich arbeite. Aber so, dass ich es noch schaffe, das mein Privatleben nicht leiden muss.

Was für ein Praktikum machst Du?

Mein Praktikum mache ich in der Einrichtung Ganztagsschule für Bildungszentrum für Sehbehinderte und Blinde. Ich betreue zwei Klassen und darf eine Sozialpädagogin begleiten. Ich bekomme dabei einen Einblick in den allgemeinen Unterricht, in den Beratungsbereich, in Gespräche mit Kooperationspartnern und Hilfestellung durch die Kollegen, wo ich sie noch brauche.

Wie sieht Dein Tag im Praktikum aus?

Morgens ab 8:00 Uhr gehe ich in den Klassenraum. 8:30 Uhr beginnt der Unterricht in 90-Minuten-Blöcken. Ich begleite im Unterricht die Schüler, es sind höchstens zwölf Schüler. Alle haben einen individuellen Entwicklungsstand und müssen somit individuell gefördert werden. Überwiegend liegt der Förderbedarf im Bereich Sehen oder Lernen. Ich unterstütze die Lehrer im schulischen Alltag. Anfangs ist viel Organisatorisches zu erledigen, danach gibt es für jeden Schüler entsprechend seiner Fähigkeiten eine individuelle Aufgabenstellung bzw. einen Arbeitsauftrag. Die Unterrichtsmaterialien werden je nach Lernstand für die Schüler und die Schülerinnen bereitgestellt. Zur Mittagspause begleite ich die Schüler gemeinsam mit einem Lehrer und betreue sie auch. Gegen 14 Uhr beginnt das Nachmittagsangebot. Die Schule hat ein wunderbares Angebot für Kurse wie Breakdance, Musik, Töpfern, Leichtathletik, etc. Auch findet in diesem Zeitraum eine Mädchen-GTG statt, in der ich auch hospitieren darf. Während diesem Angebot gibt es Zeit und Raum für einen offenen Austausch oder andere („Mädchen-„) Aktivitäten wie zum Beispiel Spaziergänge, Gesellschaftsspiele, eigenen Schmuck zu basteln oder Maniküre. Unter anderem kommen dabei auch interessante Unterhaltungen zustande. Das finde ich immer besonders spannend. Der Tag endet um 15:45 Uhr. Ich arbeite an vier Tagen in der Woche.

Weißt Du denn schon konkreter, wie und wo es nach dem Studium für Dich weitergehen wird beruflich?

Ne, habe ich noch nicht gesucht. Ich habe immer so gelebt, dass ich alles auf mich zukommen lasse. Bis jetzt bin ich noch nicht an einen Punkt gekommen, an dem ich mir was suchen muss. Das lasse ich auch mich zukommen, damit bin ich schon immer gutgefahren.

 

Danke für das Gespräch, ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg!

 


Dayra Palacios studiert im fünften Semester Deutsche Philologie und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft.


2019-03-28T18:09:17+02:00 Kategorien: Berlin + Brandenburg, Lesen, Wissen + Wirken|Tags: , , , , |