„Twitter entwickelt eine Menge Möglichkeiten“

„Twitter entwickelt eine Menge Möglichkeiten“

Axel Maireder ist von Wien nach Berlin gekommen, um Ergebnisse seiner Untersuchungung über Twitter vorzustellen. Mit zwei anderen Wissenschaftlern hat er Tausende von Tweets österreichischer PolitikerInnen, ExpertInnen oder BürgerInnen analysiert. Ist Twitter ein chaotischer Dschungel oder eine geordnete Karte? Offenbar irgend etwas dazwischen.

Von Rafael Castano

Axel Maireder (Foto: Castano)

Die Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft hält  an einem sonnigen Freitag am „Princeton“ Seminarraum drei Vorträge über die Wirkungspotenziale von Social Media. Unter den ReferentInnen befindet sich Axel Maireder, der als Universitätsassistent am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien arbeitet. Neben ihm sind noch zwei weitere Forscher dieser Universität anwesend – Julian Ausserhofer und Axel Kittenberger. Alle zusammen haben eine Studie über politische Nutzung von Twitter in Österreich durchgeführt. Man kann ihre Ergebnisse auf ihrer Webseite (twitterpolitik.net) anschauen.

Ungefähr sechzig Leute sitzen in dem hellen, gemütlichen Seminarraum. Einige twittern die Hauptpunkte mit ihren Smartphones. Andere suchen Auskunft auf ihren Laptops. Am Ende des Vortrags empfängt mich Herr Maireder. Wir sitzen außerhalb des Hauptgebäudes, neben Gruppen von Menschen, die miteinander reden, während sie Kaffee und Croissants auf engen, hohen Tischen essen. Jetzt stecken ihre Smartphones in den Taschen. Herr Maireder sitzt neben mir und trinkt eine Tasse Kaffee.

Frage: Warum haben Sie mit dieser Studie angefangen?

Maireder: Wir haben die Studie angefangen, weil wir gemerkt haben, dass in Österreich viele Politiker, Journalisten usw. sich sehr stark auf Twitter miteinander austauschen. Dabei haben wir gesehen, dass eine neue Form der Kommunikation zwischen Akteuren des politischen Systems vorliegt. Für uns war es sehr spannend zu sehen, welche Gruppen von Akteuren da miteinander diskutieren, wie stark sie das tun und ob sie dann auch Leute von Außen mit in diese Diskurse reinnehmen. Das waren so die Ausgangsfragen.

Gab es vorher einen ähnlichen Austausch zwischen Bürgern und Politikern?

Es ging uns vor allem um Politiker, Journalisten und Experten. Sie pflegten vorher schon einen Austausch, jedoch eher bei formalen Gelegenheiten, bei Empfängen oder sonstigen Sozialveranstaltungen – bei Interviews betrifft dies Journalisten und Politiker –,  aber immer fand dieser Austausch in einem formalen Rahmen statt und auch nicht laufend. Auf Twitter versammeln sich die Leute, die wirklich aktiv sind und sich laufend zu den Themen unterhalten. Und vor allem: Es ist transparent. Man bekommt mit, worüber die Personen sich unterhalten, was bei einer Veranstaltung auch nicht die Regel ist. Wir haben also eine ganze Menge neuer Möglichkeiten.

Welche Unterschiede gibt es zwischen Twitter und anderen sozialen Netzwerken?

Bei anderen sozialen Netzwerken handelt es sich vor allem um Facebook, alles andere ist nicht mehr relevant. In erster Linie: die Transparenz und Offenheit des Systems, auch die Einfachheit des Systems. Es dreht sich immer um diese 140 Zeichen. Auf den Plattformen ist relativ klar definiert, was man dort jeweils machen kann: Man kann andere Nutzer erwähnen oder Webseiten verlinken. Es ist sehr einfach, es ist offen, es ist sehr niederschwellig, und man hat die Möglichkeit sehr leicht mit anderen Menschen in Kontakt zu treten.

Glauben Sie, dass es richtig wäre zu sagen: „Twitter ist eine Nachrichten-Quelle oder ein reines Verbreitungsmedium, und Facebook ist ein Forum für Diskussion“?

Nein, das kann man weder für das Eine, noch für das Andere so sagen. Auf Twitter wird diskutiert, und auf Twitter werden Nachrichten verbreitet, genauso wie auf Facebook Nachrichten verbreitet werden und auch auf Facebook zum Teil diskutiert wird. Die beiden Plattformen sind zunehmend immer weniger miteinander vergleichbar: Sie differenzieren sich da sehr aus. Beide Funktionen sind möglich, und es gibt unterschiedliche Wege, wie diese beiden Funktionen in den Medien erfüllt werden. Aber man kann die Plattformen nicht nur auf das Eine oder das Andere reduzieren. Man kann nicht sagen: Twitter ist ein Nachrichtenmedium oder ein Diskussionsmedium. Es ist beides, und Facebook ist auch beides.

Sie haben in Ihrem Vortrag gesagt, dass Hashtags „kaum Foren für politische Dialog“ bieten. Sie haben auch das Beispiel von Michel Reimon [österreichischer Politikjournalist] erwähnt, und Sie sagten, dass Reimon „sehr relevant auf Twitter, aber nicht außerhalb von Twitter ist“. Ist das nicht paradox, da Twitter auf Hashtags basiert?

Die wenigsten Tweets werden mit Hashtags verzeichnet (unter zehn Prozent). Außerdem rennen die Diskussionen ohne Hashtags, zumindest die, in den innenpolitisch Diskussionen in Österreich…

Was ich meinte, war, dass viele Leute denken, dass Hashtags das anzeigen, worüber die Menschen reden. Sind Hashtags nun weniger wichtig, als man glaubt?

Die Hashtags sind extrem wichtig, weil wir gar keine andere Möglichkeit haben, das zu sehen, worüber die Menschen reden. Wobei nur die Themen ausgezeichnet werden, die klar ausgezeichnet werden können: Themen, die wir verschlagworten können. Außerdem werden nur die Tweets verschlagwortet, die die Nutzer verschlagwortet haben wollen und die gefunden werden sollen. Indem man einen Hashtag setzt, zeichnet man einen Tweet als einem Diskurs zugehörig aus, wodurch dieser Tweet dann auch von anderen gefunden werden kann. Viele wollen das aber mit ihren Tweets gar nicht. Viele schreiben Tweets ohne Hashtags, oder als Replies, die nicht in einen breiteren Diskurs eingehen sollen.

Wie kann man soziologische Daten – zum Beispel Geschlecht, Beruf, Alter oder Ausbildung – von Twitter-Nutzern sammeln?

Auf Basis von Inhaltsanalysen kann man das gar nicht, weil niemand weiß, ob die angegeben Daten richtig sind. Die Leute machen auch ganz unterschiedliche Angaben, bespielsweise ist das Alter etwas, was kaum jemand in seinem Twitter-Profil angibt. Das heißt, wenn wir solche Daten wissen wollen, dann müssen wir uns auf klassische Befragungsdaten stützen: Das kann man mit einer Inhaltsanalyse nicht machen.

Als das Interview beendet ist, verabschieden wir uns voneinander. Zurück im Hauptgebäude komme ich an einem brechend vollen Buffet vorbei. Einige Minute später erkenne ich Herrn Maireder. Mir sind zwar noch einige Fragen eingefallen, aber er sieht beschäftigt aus. Ich halte ihn nicht auf: „Kein Problem“, denke ich, „ich werde ihn auf Twitter ansprechen“.

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