Arbeiten in der Kinder- und Jugendhilfe – ein Einblick in den Berufsalltag einer Sozialarbeiterin in Berlin

Titelbild: Arbeiten in der Kinder- und Jugendhilfe - ein Einblick in den Berufsalltag einer Sozialarbeiterin in Berlin. Foto: Sinah Kirsch

Arbeiten in der Kinder- und Jugendhilfe – ein Einblick in den Berufsalltag einer Sozialarbeiterin in Berlin

Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in Armut auf. Damit das nicht so bleibt und gerade die Kleinsten und Schwächsten in unserer Gesellschaft mehr Unterstützung bekommen, gibt es soziale Einrichtungen wie den Kinder- und Jugendclub Bolle e.V.. Im sozialen Bereich werden verstärkt Fachkräfte gesucht, darüber hinaus wird viel zu wenig darüber berichtet, was für eine wertvolle Arbeit die Soziale Arbeit leistet. Kinder und Jugendliche sind die Zukunft unserer Gesellschaft, weshalb die Arbeit mit ihnen und gerade für sie von großer Bedeutung ist. Bei einem gemeinsamen Abendessen mit Julia habe ich viele spannende Eindrücke über ihren Beruf in der Kinder- und Jugendhilfe bekommen. Es geht um alltägliche Herausforderungen, pädagogische Grundsätze und wie Corona ihren Berufsalltag grundlegend verändert hat.

von Sinah Kirsch

Nach dem Abitur hat Julia ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Hamburger Heilsarmee gemacht und dabei bedürftigen Obdachlosen geholfen. Da es sich für sie von Anfang an gut angefühlt sich, sich sozial zu engagieren, hat sie sich gleich danach für eine Ausbildung zur Sozialpädagogin entschieden. In ihrer Ausbildung hat sie schnell erste Erfahrungen mit der Arbeit mit Kindern gesammelt. Durch das Anerkennungsjahr in Berlin, welches zu der Ausbildung dazugehört, ist Julia schließlich zur offenen Jugendfreizeiteinrichtung Bolle e.V. gekommen, wo sie 2017 angefangen hat zu arbeiten und schließlich auch die Leitung des Teenie-Bereichs übernommen hat.

Der Kinder- und Jugendclub Bolle gehört dem Verein Straßenkinder e.V. an, welcher in Berlin eine längere Geschichte hat. Ursprünglich wurde der Verein Straßenkinder e.V. 1999 gegründet, da es rund um die Gedächtniskirche 200-300 Straßenkinder gab, um die sich niemand gekümmert hat. Mit einem offenen Ohr und etwas zu Essen sowie zu Trinken haben die Gründer:innen damals angefangen, sich um die Kids zu kümmern. Straßenkinder e.V. hat verschiedene Arbeitsbereiche, wie die Straßen Sozialarbeit in der Warschauer- und Kopernikusstrasse. Dort wird sich um junge obdachlose Menschen gekümmert und ihnen geholfen einen Weg zurück in die Gesellschaft zu finden. Dann gibt es das Jugendhaus Bolle in Marzahn, wo auch Julia arbeitet. Wie sie mir erzählt, haben sie drei Bereiche: Zum einen den der jüngeren Kinder von 6-10 Jahren. Dann einen der Teenies von 11-13 Jahren und noch einen der Jugendlichen von 13-18 Jahren. Am Tag betreuen sie 120 bis maximal 150 Kinder. Zusätzlich gibt es ein Integrationsprojekt für Kinder mit Fluchthintergrund.

Julia arbeitet 38 1⁄2 Stunden in der Woche und hat 27 Tage Urlaub im Jahr. An ihren großen strahlenden Augen und ihrer begeisterten Art merkt man schnell, wie viel ihr die Arbeit mit den Kids bedeutet. „Die Erfolgserlebnisse motivieren mich jeden Tag aufs Neue. Mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten macht einfach Spaß“. Zu sehen, wie sich Beziehungen aufbauen und wir mit unserer Arbeit einen echten Mehrwert für die Gesellschaft schaffen, ist einfach toll“.

Kunterbunt- vielfältig – einfühlsam

Foto: Sinah Kirsch

Die Kinder, die zu Bolle kommen, sind ein bunt gemischter Haufen zwischen 6 und 18 Jahren. Jede:r bringt für sich etwas ganz Besonderes mit und macht die Arbeit so abwechslungsreich und herausfordernd. Die Kinder kommen aus unterschiedlichen sozialen und familiären Verhältnissen. Mangelnde Zuneigung und Liebe, häufiger Streit und Gewalt, sexueller und/oder psychischer Missbrauch oder Mobbing in schulischen und privaten Kontexten sind Probleme, die die Kinder schon in jungen Jahren haben. Viele von ihnen wachsen zudem in finanziell prekären Verhältnissen auf, was ein großes Maß an Fein- und Mitgefühl auf Seiten der Sozialarbeiter:innen erfordert. Einen typischen Arbeitsalltag gibt es nicht, denn das Angebot welches Bolle den Kindern bietet, ist zu vielfältig. Wenn man versucht den Arbeitsalltag zu beschreiben, sieht es meistens so aus, dass die Kids nach der Schule zu Bolle kommen. Dann werden sie bei den Hausaufgaben betreut und gemeinsam mit ihnen ihre Freizeit gestaltet. Bei Bolle gibt es eine Medienwerkstatt, in der verschiedene Medienprojekte, wie etwa Kurzfilme, realisiert werden. Es gibt ein großes musikalisches Angebot, bei dem die Kids Gitarren-, Keyboard- und Schlagzeugunterricht nehmen können. Weiterhin werden den Kids verschiedene Sportangebote angeboten und um die handwerklichen Fähigkeiten zu fördern, gibt es eine Fahrrad- und Holzwerkstatt. Darüber hinaus gibt es jedes Jahr eine Sommer- und Projektfreizeit. Hier können teilweise dann auch die Eltern mitkommen. Der ursprüngliche Gedanke ist bei allem, dass die Kids nicht auf der Straße landen und ihnen stets mit Wertschätzung und Nächstenliebe entgegentreten wird.

Pädagogische Grundsätze

Foto: Sinah Kirsch

Bei Bolle ist die Gewaltfreiheit ein wichtiger Grundsatz. Viele von den Kids erleben zuhause Gewalt und diese angelernten Verhaltensweisen bringen sie natürlich mit zu Bolle. Es geht darum, klare Strukturen aufzubauen und den Kindern Halt und Unterstützung zu vermitteln. Dies geschieht auch dadurch, dass eine klare Streitkultur etabliert wird. Auch der achtsame Umgang mit der Natur und Gegenständen werden vermittelt, wie etwa beim gemeinsamen Einkaufen oder beim gemeinsamen Kochen. Dass Bolle einen klaren Erziehungsauftrag hat, wird durch Julias Wort schnell klar. Dass es manchmal anstrengend sein kann, ist auch klar. Einmal war eine Mitarbeiterin mit 33 Teenies allein, als diese eine Prügelei anfingen, „da muss man dann schon echt die Nerven bewahren“. Natürlich spielen bei den Jugendlichen auch Drogen eine Rolle, weshalb Bolle mit anderen Vereinen zusammenarbeitet, und versucht präventiv vorzusorgen.

Corona und die Auswirkungen

Foto: Sinah Kirsch

Auch Corona hat sich stark auf den Arbeitsalltag im sozialen Bereich ausgewirkt und viele Mitarbeiter:innen sowie Sozialhilfeempfänger:innen hart getroffen. Die eh schon verwundbarsten unserer Gesellschaft wurden durch die Schließung der sozialen Einrichtung mit ihren Problemen allein gelassen. Die Kids mussten durch den Lockdown zuhause bleiben und der zuvor strukturierte Alltag fiel abrupt weg. Manche Kids waren für die Mitarbeiter:innen auch einfach nicht mehr zu erreichen. Die Hausaufgabenbetreuung haben Julia und ihre Kolleg:innen provisorisch über Handy ́s und Laptop ́s gemacht. Zum Glück wurden einige Geräte gespendet, da viele Kinder keinen digitalen Zugang haben. Schwierigkeiten gab es zusätzlich bei Kids mit Migrationshintergrund, da die Sprachbarrieren über die Distanz noch schwieriger zu überbrücken sind. Auch von Verschwörungstheorien ist Julia öfters mal was zu Ohren gekommen. All dies sind Probleme, die sich sehr schwer über die Distanz lösen lassen. Es war ein stetiges Auf und Ab und die Kreativität der Mitarbeitenden wurde immer wieder aufs Neue herausgefordert. Manche Kids haben sie schließlich zuhause besucht und Pakete gegen Langeweile verteilt. Tendenziell hat Julia festgestellt, dass depressive Verstimmungen bei den Kindern zugenommen haben. Weiterhin kann man schon sagen, dass sich Probleme, die es schon vor Corona gab, durch die Pandemie verschlimmert haben.

Die Pandemie hat noch einmal mehr verdeutlicht, wie wichtig die Arbeit im sozialen Bereich ist. Sie fängt Probleme ab, vermittelt zwischen Menschen und zeigt Menschen, die nicht so einen einfachen Start ins Leben haben, Perspektiven auf. Wer also Menschen liebt und nach einem Beruf mit Sinn und einem Mehrwert für die Gesellschaft sucht, ist in der Sozialen Arbeit genau richtig.


Sinah Kirsch studiert im sechsten Semester Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und Theaterwissenschaften. Seit drei Jahren lebt sie in Berlin und interessierte sich sehr für soziale Themen.


2022-11-22T17:42:40+02:00 Kategorien: Lesen, Wissen + Wirken|Tags: , , , , , |