Frauenarbeit in Ost- und Westdeutschland: Lebensentwürfe ändern sich langsam

Quelle: Pixabay

Frauenarbeit in Ost- und Westdeutschland: Lebensentwürfe ändern sich langsam

Auch drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung gibt es in Deutschland noch große Unterschiede in der Sozialisation und Lebensweise der Menschen. Deutlich wird das auch am Beispiel der Erwerbstätigkeitsquoten von Frauen in Ost- und Westdeutschland. Bis heute existieren Unterschiede in der Wahrnehmung und im Stellenwert von Arbeit. Diese beeinflussen die Lebensperspektiven von Frauen nachhaltig.

Von David Lang

Karriere und/oder Haushalt?

„Ich wundere mich doch sehr darüber, wie viele Frauen meines Alters, die in der alten Bundesrepublik gelebt haben, sich in ihren Erinnerungen nur auf Haushalt und Kindererziehung beziehen. Wie ich aus eigener Erfahrung weiß, war das bei uns in der DDR völlig anders. Dort gehörten arbeitende Frauen zum Alltag.“, sagt die 70-jährige Manuela W. Sie trägt ein graues Kleid, das von einer Küchenschürze bedeckt wird. Eine rüstige Rentnerin, die jedoch nur noch selten auf der Straße zu sehen ist und eher zurückgezogen lebt. Auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer sitzend, blickt sie immer wieder nachdenklich aus dem Fenster ihrer kleinen 2-Zimmer Wohnung in Berlin-Charlottenburg. Dann wendet sie sich entschlossen wieder dem Besucher zu und erzählt in bestimmtem Tonfall über ihr Berufsleben.

Wie Manuela W. geht es vielen anderen Frauen aus der ehemaligen DDR. Aus der umgekehrten Perspektive wird der Unterschied aber auch von vielen Frauen aus dem ehemaligen Westen beschrieben. Die unterschiedlichen Systeme in Ost und West boten unterschiedliche Lebensperspektiven für Frauen beim Einstieg in das Berufsleben. Dies hat Auswirkungen bis heute.

Erwerbstätigkeit von Frauen vor und nach der Wiedervereinigung

In der DDR waren deutlich mehr Frauen berufstätig als in der BRD. Sowohl in Vollzeit als auch in Haushalten mit Kindern. In der DDR stieg die Quote der Erwerbstätigkeit bis zur Wende im Jahr 1989 auf fast 50% an. In der alten Bundesrepublik war nur etwa ein Drittel der Frauen berufstätig. Mittlerweile haben sich diese Zahlen einander angenähert, dennoch sind in Ostdeutschland immer noch mehr Frauen erwerbstätig als in Westdeutschland (69,1% bzw. 67,5%).

„Mit der Heirat war klar, dass wir eine Familie gründen wollen. Damit war auch selbstverständlich, dass ich meine Berufstätigkeit aufgeben werde. Das war auch bei praktisch allen meinen Freundinnen und Bekannten genauso, spätestens wenn das erste Kind kam.“ Das erzählt Renate K., eine 68-jährige Hausfrau aus Baden-Württemberg, deren erwachsene Kinder schon lange ausgezogen sind und die nun ihren Ehemann betreut, der nach 40 Jahren Arbeit als Handwerker zum Pflegefall geworden ist. Sie steht dabei im Vorgarten ihres kleinen Häuschens, in dem sie seit über 30 Jahren lebt.

Das Dorf, in dem sie lebt, liegt abgelegen auf der schwäbischen Alb. Sie ist eine aktive Frau, die ihr Haus in Schuss hält. Trotzdem verbringt sie gerne und viel Zeit mit Freunden und Familie. Ihr Leben ist typisch für das alte West-Modell.

Frauenquoten in Teilzeitbeschäftigung und in Haushalten mit Kindern

Besonders deutlich werden die Unterschiede heute in den Lebensentwürfen der Frauen, wenn man nicht nur die Gesamterwerbstätigkeitsquote, sondern auch diejenige der nur in Teilzeit Berufstätigen sowie Unterschiede von Haushalten mit- und ohne Kindern berücksichtigt. „Da ich in einem sozialen Beruf gearbeitet habe, ich bin Erzieherin, konnte ich mit dem ersten Kind erstmal auf eine Teilzeitarbeit umstellen. Meine Eltern haben mir dabei noch geholfen. Als mein Ehemann versetzt worden ist mussten wir in eine andere Gegend umziehen, damit habe ich dann meine Kita verlassen und keinen neuen Job mehr angefangen.“, erzählt Renate K.

Während in Ostdeutschland der Anteil von in Vollzeit berufstätigen Frauen nach dem ersten Kind um knapp die Hälfte sinkt (von 73% auf 40%), ist dies in Westdeutschland noch deutlicher (von 77% auf 17%).

Ein weiterer wichtiger Grund für die niedrigere Erwerbstätigkeit von Frauen in den westdeutschen Bundesländern ist laut Experten des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dass in den Jahren vor der Wiedervereinigung dort sehr wenig Kapazitäten für eine außerhäusliche Kindertagesbetreuung zur Verfügung standen und deshalb viele Frauen gezwungen waren, tagsüber selbst auf ihre Kinder aufzupassen. „Mir war es damals auch wichtig, meine Kinder zu erziehen und dabei zu sein, wenn sie aufwachsen. Außerdem wäre es auch sehr schwierig gewesen überhaupt eine angemessene Kinderbetreuung zu finden. Kindertagesstätten wie die von heute gab es damals so ja gar nicht.“, meint auch Renate K.

Tatsächlich war die Anzahl der zur Verfügung stehenden Krippenplätze im Vergleich im Westen viel geringer als in der DDR. Im Jahr 1986 kamen nur 1,6 Krippenplätze auf je 100 Kinder. In der DDR gab es damals schon eine fast vollständige Abdeckung, nämlich 93,4%. Dies ermöglichte es vielen Frauen, tagsüber beruflich tätig zu sein, ohne sich um die eigenen Kinder sorgen zu müssen. „Zeitlich war es kein Problem, Kinder und Arbeit unter einen Hut zu bringen. Genügend Kindergärten hat es immer gegeben. Einige der Erzieher habe ich als nicht besonders freundlich in Erinnerung, aber was die Unterbringung an sich angeht, hatten wir keine Probleme.“, findet auch Manuela W.

Auch hier sind einige Unterschiede bis heute erhalten geblieben. In Westdeutschland stieg die Betreuungsquote bis zum Jahr 2014 auf 27,4%, in Ostdeutschland war sie mit 52% immer noch fast doppelt so hoch. Als Folge sind im Westen des Landes nach wie vor mehr Frauen in Teilzeit beschäftigt als im Osten, obwohl sich ihr Anteil in Ostdeutschland seit der Wende auf nahezu 40% verdoppelt hat (bei 50% in Westdeutschland).

Die Lohnlücke in Ost- und Westdeutschland

Ein weiterer Aspekt, der die Lebensperspektive von Frauen beeinflusst, sind die deutlichen Unterschiede in der Entlohnung zwischen Ost und West. Diese lassen sich anhand der Lücke in der Bezahlung zwischen Männern und Frauen messen. In den letzten drei Jahrzenten hat sich relativ wenig getan. In Ostdeutschland werden Frauen fairer bezahlt, die Lücke ist deutlich kleiner als im Westen. Allerdings wächst diese Lücke langsam, während sie in Westdeutschland seit dreißig Jahren praktisch konstant auf einem sehr hohen Niveau geblieben ist. In Ostdeutschland stieg sie zwischen 2006 und 2014 von 6% auf 9% an, in Westdeutschland blieb sie im selben Zeitraum bei etwa 24%. Bei Betrachtung der verschiedenen Bundesländer fällt auf, dass alle neuen Länder deutlich besser abschneiden als die alten. In Thüringen ist der Abstand mit 5% am niedrigsten, während in einem Hochlohn-Land wie Baden-Württemberg Frauen 2014 im Schnitt 26% weniger Gehalt für die gleiche Arbeit erhielten. Renate K. schildert die Folgen für sich: „Mit meinem Erzieherjob hätte ich einen Mehrpersonenhaushalt ohnehin nicht bezahlen können, während mein Mann ganz gut verdient hat. Deshalb war es auch klar, dass ich dann zu Hause bleiben werde.“

Karrierechancen und Führungspositionen der Frauen in Ost- und West

Schon vor der Wiedervereinigung hatten Frauen Schwierigkeiten damit, in hohe Führungspositionen aufzusteigen. Dies war sowohl in der DDR als auch in der BRD typisch. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Allerdings sind die Aufstiegschancen in den neuen Bundesländern für Frauen deutlich besser als in den alten Bundesländern. Führend ist Brandenburg, wo mehr als ein Viertel der Führungspositionen mit Frauen besetzt sind, Schlusslicht ist Bayern mit einem Anteil von etwas mehr als 20%. Wie die Abbildung zeigt, liegen auch hier alle ostdeutschen Bundesländer vor den westdeutschen.

 

Folgen bis heute

Viele Erhebungen zeigen, dass sich die Verhältnisse zwischen Ost- und Westdeutschland zwar an vielen Stellen annähern, dass dieser Prozess aber sehr lange dauert und in einigen Teilaspekten gar nicht voran kommt. Besonders in Bereichen der Frauenpolitik tut sich der Westen als dominanter Partner bei der Wiedervereinigung schwer damit, Errungenschaften der DDR zu übernehmen. Der langsame Annäherungsprozess hat verschiedene Auswirkungen. Während die jüngere Generation mit den neuen Bedingungen aufgewachsen ist und sie als selbstverständlich wahrnimmt, haben die damaligen Unterschiede für die heute ältere Generation noch deutliche Folgen.

Zum Ende des Gesprächs zeigt Manuela W. ein Familienfoto mit ihren Kindern und betrachtet es nachdenklich. „Ich bin zufrieden damit, dass ich die Chance hatte ein halbwegs erfülltes Berufsleben zu erleben, glaube aber manchmal, dass ich dadurch zu wenig Zeit hatte, um mich um meine Kinder zu kümmern.“

Ein Wechsel nach Baden-Württemberg. Renate K. schweigt eine ganze Weile. Deutlich hört man die Geräuschkulisse aus dem Garten. Erst auf Nachfrage schließt sie die Unterhaltung mit der Aussage: „40 Jahre Haushalt waren zwar in Ordnung, ich hätte mir aber manchmal gewünscht, ich hätte mehr erlebt.“

 


David Lang studiert Geschichte sowie Publizistik- und Kommunikationswissenschaft im 7. Fachsemester an der Freien Universität Berlin. Sein Ziel ist es, relevante Themen aus der Geschichte gut verständlich aufzuarbeiten.