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(In memoriam Dietmar Kamper)


Dietmar Kamper starb kurz nach seinem 65. Geburtstag am 28. Oktober 2001. Mit seinem Tod hat die Freie Universität einen vielseitigen, national und international beachteten und kontrovers diskutierten Hochschullehrer verloren.

Dietmar Kamper studierte zunächst Sport an der Sporthochschule Köln, wo er zu den bekannten Kurzstreckenläufern dieser Jahre gehörte. 1964 promovierte er in Philosophie bei Max Müller in München; 1969 ging mit einem Habilitationsstipendium nach Marburg. 1973 erschien seine Habilitationsschrift Geschichte und menschliche Natur. Die Tragweite gegenwärtiger Anthropologiekritik. Als Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Sozialisationstheorie machte er schon sehr früh Foucault, Derrida, Lacan, Baudrillard und Virilio in Deutschland bekannt. Als Dekan seines Fachbereichs und als Vizepräsident der Marburger Universität spielte er bei den Universitätsreformen dieser Jahre eine zentrale Rolle.

1979 kam er als Professor für Soziologie an die Freie Universität Berlin. Auf und nach einer gemeinsamen Reise nach Santiago de Compostela (Im Schatten der Milchstrasse, 1982) entwickelten Dietmar Kamper und ich allmählich die Pläne zu einer Reihe von zehn internationalen transdisziplinären Colloquien zur Historischen Anthropologie, an denen unter dem Rahmenthema Logik und Leidenschaft über 100 Autoren aus mehr als 30 Disziplinen und mehr als 10 Ländern teilnahmen. Hier ging es um vielfältige Bemühungen, auch nach dem Ende der Verbindlichkeit einer abstrakten anthropologischen Norm, weiterhin Phänomene und Strukturen des Menschlichen zu erforschen. Einige der in diesem Rahmen erschienenen Bücher haben Forschungsfelder in den Geistes- und Kulturwissenschaften mitbegründet, die bis heute erhebliches Interesse finden, z.B.: Die Wiederkehr des Körpers, 1982; Das Schwinden der Sinne (eine Anthropologie der Sinne), 1984; Das Heilige. Seine Spur in der Moderne, 1987/1997; Die sterbende Zeit (eine Anthropologie der Zeit), 1987; Die erloschene Seele, 1988; Der Schein des Schönen, 1989; Schweigen. Unterbrechung und Grenze der menschlichen Wirklichkeit, 1992.

Unterstützt vor allem von Gunter Gebauer, Dieter Lenzen, Gerd Mattenklott, Jürgen Trabant führten diese Aktivitäten später an der Freien Universität zur Gründung des Interdisziplinären Zentrums für Historische Anthropologie, zu dessen Mitgliedern außerdem gehören: Gerd de Haan, Erika Fischer-Lichte, Ingrid Kasten, Hans Merkens, Carsten Niemitz, Wolfgang Schönpflug, Alexander Schuller und Dietmar Todt.

Maßgeblich wurden von Dietmar Kamper mitgestaltet die von diesem Zentrum im Akademie Verlag herausgegebene internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie Paragrana und die Reihe Historische Anthropologie im Reimer Verlag.
Besonders wichtig war für Dietmar Kamper die Auseinandersetzung mit der Einbildungskraft, über die er in drei aufeinander bezogenen Untersuchungen gearbeitet hat (Zur Geschichte der Einbildungskraft, 1981; Zur Soziologie der Imagination, 1986; Unmögliche Gegenwart. Zur Theorie der Phantasie, 1995). Wie Gehlen und Castoriadis sah Kamper in der Imagination die entscheidende Kraft, mit deren Hilfe sich Menschen entwerfen und verwirklichen.

In diesen Arbeiten ging es ihm auch darum, die „negative“ Seite des Imaginären zu erforschen, die darin besteht, die menschliche Weltoffenheit und Freiheit auch gegen den Willen der Menschen einzuschränken. Mit diesen Forschungen einher ging Kampers wachsendes Interesse am Bild und an der Bedeutung der Bilder für ein Verständnis der Gegenwart (Der zweite Blick. Bildgeschichte und Bildreflexion, 2000; mit Hans Belting).

Aufgrund seiner vielfältigen Interessen, seiner geistigen Unruhe und seiner Offenheit für neue Fragen und Wege der Erkenntnis war Dietmar Kamper ein äußerst anregender Hochschullehrer, Kollege und Freund. Seiner persönlichen Integrität und Ausstrahlungskraft konnten sich selbst die Kollegen und Kolleginnen nicht entziehen, die seinen Forschungen eher kritisch gegenüberstanden.

Prof. Christoph Wulf

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