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(Botaniker erkunden Bergregenwälder Ecuadors)

Butterbrottüten sind für Dr. Gerald Parolly ein unverzichtbares Utensil, wenn er zu Ausflügen in den tropischen Urwald zieht. Doch dort angekommen, packt der Botaniker nicht seinen Proviant aus, um ein Picknick unter Baumriesen zu machen, er packt vielmehr ein, und zwar Moose. Die Tüten dienen als Minibotanisiertrommel. Parolly und sein Kollege Priv.-Doz.
Dr. Harald Kürschner vom Institut für Biologie der Freien Universität erkundeten im Sommer vergangenen Jahres gemeinsam mit anderen deutschen Wissenschaftlern den Bergregenwald von Ecuador. Diese Region gilt als eines der artenreichsten Ökosysteme der Welt. Bisher ist sie weitgehend unerforscht. Bei der unüberschaubaren Artenfülle kann die Untersuchung der Moose als Anhaltspunkt für den Zustand des gesamten Waldes gelten. Störungen des Ökosystems Regenwald durch den Menschen könnten in Zukunft vergleichsweise schnell durch die Erfassung der Moose festgestellt werden.

Ausgangspunkt für die Exkursionen der Forscher ist die Forschungsstation „San Francisco“. Sie liegt im Süden Ecuadors an der Grenze zu Peru, am Rande des „Podocarpus“-Nationalparks. Die Wissenschaftler finden hier ausgedehnte Bergregenwälder, sie gelten als besonders artenreich. Außerdem sind die Ökosysteme hier weitaus weniger erforscht als z.B. im Amazonastiefland. Regenwald ist nicht gleich Regenwald, er verändert sich mit zunehmender Höhe: Die Temperatur nimmt ab, und es kann mehr Licht in den Wald dringen, weil die Baumkronen lichter werden. Anstelle eines undurchdringlichen Blätterdachs wie im Tiefland bilden sich im Bergwald ab etwa 1500 m zwei Baumschichten aus. Flora und Fauna erstaunen gerade in diesen Übergangszonen durch ihre große Vielfalt; hier kommen die Bryologen, die Moosforscher, besonders auf ihre Kosten. Bereits in den zwanziger Jahren bemerkte Theodor Herzog (1880-1961), der Urvater aller Moosgeographen, dass hier die „tropische Üppigkeit der Moosflora so recht zur Geltung“ komme. Lange Wedel, dicke Polster oder Rasen millimeterfeiner Moospflanzen besiedeln den Wald. „Im Tiefland mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von 24-27° C ist es dagegen für viele Moose zu warm“, erläutert Parolly, „die Artenvielfalt ist geringer“. Systematisch untersuchen die Forscher deshalb, welche Moose in einem Waldgebiet bestimmter Höhe vorkommen. Für die Untersuchungen sammeln sie Proben vom Tiefland bis in Bergregionen von 3500 m Höhe. Ähnliche Expeditionen gab es in die Bergregenwälder von Zentralafrika und von Borneo.

Um Daten für ein weltweites Klassifizierungssystem zu sammeln, heißt es also: „Wir schlagen uns in die Büsche“, ganz so wie man sich einen Urwaldforscher vorstellt, mit der Machete in der Hand, aber „ohne Tropenhelm“, erzählt Parolly. Zum Glück reichen in nebelfeuchten Bergregenwäldern ein paar Meter, dann ist ein geeigneter Baum gefunden, den vielerlei Moose besiedeln. Systematisch erfassen die Botaniker dann alle Moose einer ausgewählten Aufnahmefläche, Proben davon wandern in Butterbrottüten verpackt ins Gepäck und abends mit auf die Station. Begegnungen der Wissenschaftler mit anderen Urwaldbewohnern sind rar, höchstens schreien in der Ferne ein paar Affen. Zurück auf der Station müssen die Proben vorsortiert und vor allem getrocknet werden – in altem Zeitungspapier. „Manchmal falten wir den ganzen Abend Zeitungen, um darin Moose zu verpacken“, schildert Parolly die Hauptbeschäftigung der Wissenschaftler an vielen Abenden der Expedition.

Sensible Bioindikatoren

Wieder in Berlin werden die Moose genau unter die Lupe genommen. Sie sind wie jedes Tier und jede Pflanze im Urwald Meister der Anpassung an ihre Umwelt. Der Kampf geht ums Licht allem aber ums Wasser. Dabei haben die Moose Wuchsformen entwickelt, die der Strategie eines Wüstenwanderers nicht unähnlich sind: In Wassertaschen und -säcken sammeln sie das kostbare Nass, das durch zwei Baumschichten noch zu ihnen durchdringt. Andere Moose bilden eine „Regenrinne“ und fangen so Wasser auf. Schließlich ist auch Nebel nichts anderes als Wasser, so dass wieder andere Moosarten den Nebel „kämmen“. Wie auf den Zinken eines mikrofeinen Kammes kondensieren sie die Luftfeuchtigkeit. Gemeinsam bilden die Arten eine „Moosgesellschaft“, die bei den herrschenden Licht-, Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnissen perfekt aufeinander eingespielt ist.

Nach grober Schätzung der Botaniker gibt es in ihrem Untersuchungsgebiet etwa 400 Moosarten. Die meisten Moose können sie ohne Sporenkapsel bestimmen, und die Erfassung einer Moosgesellschaft dauert in der Regel weniger als eine Stunde. Blütenpflanzen dagegen sind im Bergregenwald um ein Mehrfaches artenreicher als Moose und können meist nur bestimmt werden, wenn man sowohl Blüten als auch Früchte zum Bestimmen zur Verfügung hat. Deshalb eignen sich Moose besonders, um Störungen des Waldökosystems, z.B. durch Straßenbau, nachzuweisen und eine allgemeine Höhengliederung tropischer Bergwälder zu erarbeiten. Die Kenntnis der Moosgesellschaften kann daher Hinweise liefern, wie ein naturnaher Wald aussieht und wie der Mensch in Zukunft weniger störend in das Ökosystem Regenwald eingreifen sollte.

Steffi Barbitz

Interdisziplinäre Moos-Forschung

Eine neue DFG-Forschergruppe hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Ökosystem Bergregenwald interdisziplinär zu enträtseln. Unter der Projektbezeichnung „Funktionalität in einem tropischen Bergregenwald Südecuadors: Diversität, dynamische Prozesse und Nutzungspotentiale unter ökosystemaren Gesichtspunkten“ arbeiten in den nächsten Jahren Wissenschaftler der verschiedensten Fachdisziplinen von zehn deutschen Universitäten zusammen, unter anderem auch Botaniker der Arbeitsgruppe von PD Dr. Harald Kürschner.

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