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(Wie lernen Studierende unternehmerisches Denken?)

„Existenzgründung“: Mit kaum einem anderen Schlagwort verbindet die Öffentlichkeit so viele Hoffnungen für einen wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland. Die Euphorie der 90er Jahre ist zwar vorbei, doch erwünscht ist unternehmerische Betätigung um so mehr – auch von Seiten der Universität. Doch ermuntert die Freie Universität ihre Studierenden zum Gründen, leistet sie genug Hilfestellung auf diesem schwierigen Weg? Die FU-Nachrichten schauten sich ein wenig im Gründermilieu um und führten ein Interview mit Holger Johnson, dem Vorstand der erfolgreichen studentischen Unternehmensgründung eBuero AG.

Ungefähr alle drei Monate durchschreitet Guido Brand eine tiefes Tal, „kleinere Krisen gibt’s sowieso jeden Tag“, sagt er, jeder Tag bringt neue Probleme. Dennoch ist Brand kein Fall für den Psychotherapeuten. Glaubt man seinen Schilderungen, hat er vielmehr den Weg zum beruflichen Glück gefunden: Ende 2000 machte er sich mit seiner Firma i.motions selbstständig und produziert seitdem Werbefilme für das Internet und bietet seinen Kunden eine innovative Technologie an, bei der lästige Wartezeiten beim Laden der Filme entfallen. Er machte damit sein Hobby, das Kurzfilme drehen, zu einer profitablen Geschäftsidee. Doch Guido Brand ist nicht nur Firmengründer, er ist auch Student an der Freien Universität und das in einem Studienfach, das nach einem weit verbreiteten Vorurteil vor allem auf eine hoch qualifizierte Arbeitslosigkeit vorbereitet: Theaterwissenschaften, Philosophie und Neuere deutsche Literatur studiert der 28-jährige nun, nachdem er in Hamburg eine Ausbildung in der Werbebranche absolviert hatte. Er sieht sein Studium in keinem Fall als hinderlich an, ganz im Gegenteil: „Durch das Theaterwissenschaftsstudium fällt es mir leichter, meine Ideen strukturiert darzustellen, mein eigenes Produkt besser zu beschreiben“, erklärt Brand selbstbewusst.

Messen für die Meister von morgen?

Selbstbewusstsein braucht es auch, um neben dem Studium eine Firma zu gründen. Nicht nur das schlechte Image des „Unternehmers“ in Deutschland – raffgierig, rücksichtslos, laut und hektisch soll er sein – hält wohl manchen Studenten davon ab, seine Einfälle zu gründungsfähigen Geschäftsideen weiterzuentwickeln. Auch auf Seiten der Universität sind Defizite auszumachen, wie der Gründungsprofi Günter Faltin, Ökonom und Professor für Wirtschaftspädagogik am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der FU, konstatiert: „Getan wird vieles bezüglich Gründerförderung an der FU, doch wird auch Sinnvolles getan? Das ist die interessante Frage. Die Hilfestellung bewegt sich doch sehr im traditionalistischen Rahmen.“ Was Faltin meint, sind nicht seine eigenen Veranstaltungen, sondern das, was er ein wenig abfällig „Buchhalterkurse“ nennt. Ständig im Angebot des CareerService zu finden, helfen diese Kurse vielleicht bei der Gründung eines Copy-Shops oder einer Kneipe, doch wie Ideenentwicklung aussieht, weiß der Studierende danach wohl weniger als vorher. „Die Leute werden in eine Existenz getrieben, in der sie sich abrackern müssen, tricksen müssen, damit sie sich über Wasser halten können“, schildert Faltin die Konsequenzen dieser Gründungsförderung. Diese wenig sinnvollen Hilfestellungen bilden einen auffälligen Kontrast zu den vollmundigen Erklärungen, wie wichtig eine neue Gründermentalität an den Universitäten wäre.

An Einfällen wie sinnvolle Hilfe aussehen müsste, mangelt es nicht: Guido Brand, eigentlich ein sehr ruhiger und bedachtsamer Gesprächspartner, sprudelt auf die Frage nach Unterstützungsmöglichkeiten durch die Uni förmlich über vor Ideen: Wieso richtet die Uni keine Ideenwettbewerbe und -messen aus? Brand verspricht sich davon, dass die Hemmschwelle gesenkt würde und somit die Entwicklung innovativer Ideen endlich einmal die Selbstverständlichkeit gewänne, die man so oft herbeireden will. Brand hat daneben die Hoffnung, dass durch solche Aktionen auch moralische Vorbehalte verschwänden, wenn in der Mensa einmal zu sehen wäre, auf was für intelligente Geschäftsideen Studierende kommen können, ohne dabei zu Ausbeutern, Yuppies oder sonstigen Unsympathen zu werden. „Die Uni könnte auch“, fährt Brand fort, „gründungswilligen Studenten für eine begrenzte Zeit kleine Räume, notfalls auch nur einen Schreibtisch in der Uni zur Verfügung stellen.“ Brand erhofft sich davon keinesfalls eine finanzielle Hilfeleistung, sondern vielmehr endlich die Möglichkeit, Studium und Firma zu verbinden. Nur so können gründende Studenten zu einem selbstverständlichen Bild im täglichen Unibetrieb werden. „Wieso gibt es keine Ansprechpartner an der Uni“, fragt sich Brand, „mit denen man auf vertrauensvoller Basis seine Ideen diskutieren kann?“

Die FU und ihr ungenutztes Potential

Eine Atmosphäre an der FU, die wenig zum Gespräch ermuntert, beklagt auch Holger Johnson. Der 25-jährige Student der Wirtschaftswissenschaften rollt seit Ende letzten Jahres mit seiner Firma eBuero AG den Bereich der Bürodienstleistungen durch eine ebenso einfache wie innovative Discountstrategie auf. Sein Kundenstamm verdoppelt sich zur Zeit jeden zweiten Monat – also gut lachen für den sympathischen, immer in Bewegung befindlichen Blondschopf: Seine Idee hat sich als Erfolg erwiesen. Er hat seine Vision umgesetzt. Doch das kann anders laufen, wenn die eigene Idee Fehler aufweist, die man im Eifer des Gefechts gar nicht mehr bemerkt. Da braucht man jemanden, der einen in knallharten Diskussionen auf die Fehler in der Idee hinweist. Aber jemanden mit Sachverstand zu finden, ist nicht so einfach. Gerade in diesen Gesprächs- und Reflektionsprozess könnte die Uni ganz leicht und billig einsteigen, glaubt Johnson: „Ein unglaubliches Potential an Fachwissen steht bei den Lehrkräften bereit. Doch nur wenige scheinen Interesse zu haben, mit den Studierenden über deren Gründungsideen zu sprechen.“

Guido Brandt geht sogar noch einen Schritt weiter und fordert die Lehrkräfte auf, von sich aus auf die Studierenden zuzugehen: „Bereits eine normale Hausarbeit kann die Frage nach der weiteren Verwertung aufwerfen, dazu kann man als Hochschullehrer ermuntern“. Doch viele Hochschullehrer sind sich dieser Dimension einer universitären Ausbildung gar nicht bewusst. Eine telefonische Stichprobe lässt das Dilemma erahnen: Der Professor aus einem geisteswissenschaftlichen Fach zeigt sich fest davon überzeugt, dass er Lehrer ausbilde und nur Lehrer, denn was solle man denn auch sonst mit diesem Fach machen. Doch der Verweis auf den öffentlichen Dienst ist in Zeiten schwindender öffentlicher Haushalte nur Flucht vor neuen Aufgaben: Nicht nur, dass vielen Studierenden der Weg in das Beamtenverhältnis aufgrund knapper Haushalte verwehrt ist, viele wollen auch einfach nicht mehr ihren Berufsweg inklusive Pensionierung durch den Staat abgesichert sehen. Auch wer nicht den relativ sicheren Hafen eines Großunternehmens einschließlich aller bremsenden und frustrierenden Hierarchien ansteuern will, ist prädestiniert, Gründer zu werden und sein Glück in die eigenen Hand zu nehmen. Hier warten also neue, noch zu lösende Auf gaben auf die Universitäten. Auf die Frage, ob er es denn mal versucht habe, mit seinen Professoren in den Wirtschaftswissenschaften seine Idee zu besprechen, winkt Johnson ab: Ja, versucht habe er das, aber sonderlich einladend finde er die Atmosphäre an der Universität dafür nicht: „Das schreckt wahrscheinlich viele Gründer ab, da bleibt ein großes Potential ungenutzt.“ Tatsächlich bleibt zu fragen, ob es denn wie ein Gesprächsangebot wirkt, wenn jemand zweimal in der Woche eine Stunde Sprechzeit für seine Studierenden anbietet. Wie mag es da erst bei Fachbereichen aussehen, in denen die Lehrkräfte keine positive Grundeinstellung gegenüber gründungswilligen Studierenden mitbringen wie in den Wirtschaftswissenschaften?

Dialog oder Scheitern?

Sprechen ist wichtig, wenn aus einem Einfall eine Idee werden soll: „Nur im Gespräch mit Menschen verfeinern sich Ideen. Fehler in seiner Idee findet man nur im Dialog – ansonsten im Scheitern“, beschreibt der Informatikstudent Daniel Pohlenz klar die Alternative zu einem ausgedehnten Reflexionsprozess. Auch er kam bei der Gründung des Internetdienstleisters Ceribasic gar nicht erst auf den Gedanken, seine Geschäftsidee mit irgendjemand aus der Uni zu besprechen. Sein Studium leidet inzwischen deutlich unter der Doppelbelastung und auch der Anreiz, Zeit in das Studium zu investieren, ist niedrig, denn das, was gelehrt wird, kann er in der Praxis kaum gebrauchen. Doch mit diesem Problem steht er nicht alleine: „Das geht wahrscheinlich den meisten aller Informatikstudenten so, wenn sie nach dem Studium in den Beruf gehen“, benennt Pohlenz die Defizite des Studiums. Auch wie man einen Businessplan erstellt, eine etwa 30-seitige präzise Darstellung der Geschäftsidee, ohne die kein Kapitalgeber Geld rausrückt, lernen er und sein Partner Emir Ceribasic erst jetzt. Doch gerade auf diesem Gebiet ist mit dem jährlichen Businessplan Wettbewerb Berlin-Brandenburg erstklassige Hilfestellung gegeben. Auch Managementkenntnisse und die Sicherheit im Umgang mit Buchhaltung und Bilanzen kann man in Kursen des CareerService der FU erwerben. Holger Johnson glaubt jedoch, dass die Uni es sich zu leicht macht, wenn sie auf diese Angebote verweist. Er selber hat sich in seinem Unternehmen noch nicht ein einziges Mal mit Buchhaltung beschäftigt und hat auch nicht vor, dieses zu tun: „So was muss man nicht wissen, dafür habe ich einen Buchhalter.“ Johnson beharrt darauf, dass die beste Hilfe das Angebot zum Gespräch und zur Reflexion der Idee ist. Geld braucht man dafür nicht, nur guten Willen.

Entrepreneure sind keine Alleskönner

Also nicht noch mehr Buchhalterkurse. Dagegen die viel wichtigere Frage: Wie bringe ich die Studierenden zum ökonomischen Denken, wie lernen sie ihre Ideen zu einem Geschäftskonzept zu machen? Professor Faltin bietet als Antwort auf diese Fragen nicht nur viel persönliches Engagement auf, sondern macht auch ganz offiziell seit zehn Jahren Veranstaltungen zum Thema „Entrepreneurship“. In dem, was das englische Wort mit den französischen Wurzeln beschreibt, sieht der Ökonom die Chance, das zumeist brachliegende kritische Potential an den Universitäten nutzbar zu machen. Gerade die Studierenden der Geisteswissenschaften seien reichlich damit ausgestattet, wüssten jedoch meist nicht, dass es sich dabei um eine nutzbare Kompetenz handelt. „Kritische Distanz ist ein hervorragendes Mittel, um auf neue Ideen zu kommen“, sagt Faltin.

Das Fremdwort „Entrepreneurship“ benutzt er, um Missverständnissen vorzubeugen. Das deutsche Wort „Unternehmertum“ ist ihm zu sehr vorbelastet – klingt nicht nach Kreativität, sondern eher nach Behäbigkeit und Lobbyismus. Aber in seinen Entrepreneurship-Veranstaltungen sollen keine zukünftigen Zigarrenraucher für die Chefetagen ausgebildet werden, sondern Ideenentwickler, die „gegen den Strich“ denken und das Management denen überlassen, die es gelernt haben: „Management kann man einkaufen, man muss kein Alleskönner sein.“

Professor Faltin versteht seine Idee von „Entrepreneurship“ auch als einen Lebensentwurf, und die Universität sollte nach seiner Ansicht den Studierenden helfen, eine ökonomische Lebensperspektive zu entwickeln. Auch deswegen steht er Studierenden, die gründen wollen, mit Rat und Tat zur Seite: Sowohl Guido Brand als auch Holger Johnson haben ihre Ideen erst einmal Faltin vorgestellt, bevor sie sich an die Verwirklichung wagten. Den Prozess einer solchen Ideenentwicklung, von dem behauptet wird, dass er bis zu zehn Jahre dauern könne, gliedert Faltin in drei Stufen: Am Anfang steht die „idea-creation“, ein Prozess in dem aus einem vielleicht simplen Einfall ein so genanntes Roh-Konzept entsteht. Die nächste Stufe ist die des „idea-development“, der Idee-Entwicklung. Um den eigentlichen Start des Unternehmens geht es dann beim„idea-refinement“, der Idee-Veredlung. In dieser Phase steht die Gründung konkret vor der Tür. Besonders in den letzten beiden Phasen sind kompetente Gesprächspartner nötig, um die Tragfähigkeit des Konzepts, des so genannten Businessmodells, im Detail zu diskutieren. Faltin lässt sich auf die Ideen der Studierenden ein, reflektiert sie und nimmt sie aus einer fachlichen Sicht ins Kreuzfeuer. Er praktiziert damit schon seit Jahren, was Holger Johnson die spezifische Kompetenz der Universität nennt und von allen Lehrkräften einfordert. Von Lehrveranstaltungen, die den Studierenden, womöglich noch in gespreiztem Wissenschaftsdeutsch, beibringen sollen, wie man Unternehmer wird, halten sowohl Faltin als auch Johnson wenig. Einen so genannten „Gründerlehrstuhl“, wie es ihn an vielen deutschen Unis inzwischen gibt und an denen der Gründer oder Unternehmer quasi wissenschaftlich vermessen wird, fehlt ihnen an der FU nicht: „Dadurch ist noch kein Unternehmen gegründet worden“, sagt Faltin, der selbst äußerst erfolgreicher Gründer ist (siehe unser Portrait auf dieser Doppelseite) und weiß, wovon er redet.

Umdenken

Überhaupt ist Umdenken angesagt. Fast überall herrscht bei der Gründungsförderung eine Konzentration auf hochinnovative technische Produkte. Der so genannte High-Tech-Bereich liefert dann zwar wegen seiner technischen Höchstleistungen spektakuläre Erfolgsgeschichten aber selten viele Arbeitsplätze. Auch gerät eine Universität ohne Ingenieurwissenschaften wie die FU bei einer Fokussierung dieses Bereichs schnell ins Hintertreffen. „Die Konzentration auf den High-Tech-Bereich ist aus Entrepreneurship-Gesichtspunkten durchaus zweifelhaft, wie die vielen Pleiten auf dem Gebiet zeigen. Die FU rennt einem abgefahrenen Zug hinterher, wenn sie hier die größten Potentiale sieht“, warnt Faltin, der sich mit seinen Gründungen ganz bewusst auch im Bereich ökologisch sinnvoller Low-Tech-Produkte bewegt.

Also Umdenken und drüber reden: Die Uni muss sich öffnen zum Gespräch – neue Institutionen braucht sie dafür nicht, aber mindestens ebensoviel Willen etwas zu verändern, wie die jungen Gründer. Vielleicht wird das Motto von Daniel Pohlenz dann bald noch viel populärer: „Nie wieder Angestellter!“

Niclas Dewitz

Prof. Dr. Günter Faltin

Prof. Dr. Günter Faltin, Ökonom und Professor für Wirtschaftspädagogik an der Freien Universität Berlin, ist inzwischen beinahe ein professioneller Gründer. Vor siebzehn Jahren gründete er die Teekampagne und revolutionierte damit den Handel mit einem Produkt, dessen Innovationsmöglichkeiten ausgeschöpft schienen. Er verzichtete auf Kleinpackungen, beschränkte das Sortiment radikal und schaltete den Zwischenhandel aus und kann so bis heute beste Qualität zum besten Preis verkaufen. Davon profitieren nicht nur die Verbraucher in Deutschland, sondern auch die indischen Partner. Laut dem Teaboard of India ist Faltins Teekampagne heute der größte Importeur indischen Darjeeling Tees weltweit. Vor einigen Jahren begann Faltin eine weitere Idee zu entwickeln und umzusetzen. Aus einem ökologischen Problemfall half er, einen begehrten Rohstoff zu machen: Die nach Thailand eingeschleppte Wasserhyazinthe verstopft ganze Flüsse und konnte bisher nicht sinnvoll genutzt werden. Vor einigen Jahren entdeckte Faltin zusammen mit einer thailändischen Designerin die Möglichkeit, äußerst strapazierfähige Korbgeflechte, z.B. für die Herstellung von Sesseln, aus den Wasserhyazinthen herzustellen. Faltin arbeitete an der Idee weiter. Heute sind die Sessel erfolgreich am Markt eingeführt. Zwei Beispiele hochinnovativer Ideen, die wahrlich nichts mit Hochtechnologie zu tun haben.

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