Neues Zuhause

  • Foto: Kristina Zakharova

Neues Zuhause

Eins der erfolgreichsten Flüchtlingshilfeprojekte in Deutschland, „Über den Tellerrand kochen“, zieht um. Für die Flüchtlinge ist das prinzipiell nichts Neues. Diesmal ist der Umzug aber nicht mit Lebensgefahr oder Bürokratie verbunden. Sie ziehen um, weil das Projekt größer geworden ist und mehr Platz braucht.

Von Kristina Zakharova

„Wann fängt es an? Wir sind im Hof, sagt Bescheid, wenn Ihr bereit seid“, sagt eine Frau mittleren Alters, die auch wie die anderen Nachbarn des neuen Büros von „Über den Tellerrand kochen“ in Berlin-Schöneberg zum Infoabend eingeladen ist. Heute ist der Einzugstag. Das Projekt findet ein neues Zuhause, und die glücklichen jungen Leute möchten ihre Freude darüber mit den neuen Nachbarn teilen.

Angenehme Musik ist im Hintergrund zu hören. Entspannende Hektik herrscht überall. Etwa 10 junge Menschen treffen die letzten Vorbereitungen. Die Nachbarn kommen pünktlich. Sie bringen Kinder, Hunde und Klappstühle mit.

Natürlich gibt es auch Essen, letztlich geht es ja eben darum! „Über den Tellerrand kochen“ bietet Kochkurse mit Asylsuchenden. Die Hauptidee des Projektes ist, von Flüchtlingen kochen zu lernen und sich währenddessen mit ihnen auf Augenhöhe zu unterhalten. Auch heute stehen draußen auf dem Tisch Gerichte aus aller Welt. Neben dem koreanischen Reiskuchen findet man arabische und afrikanische Spezialitäten, ebenso wie den deutschen Kartoffelsalat! Die Auswahl ist groß, alle Gäste sehen ein bisschen verloren aus. Plötzlich sagt ein Junge: „Ist das Humus? Kann doch nicht sein! Da ist Knoblauch drin, wir machen das anders“. Wer ist „wir“ – das weiß keiner, aber das macht auch nichts, alle genießen das exotische Essen und plaudern über dies und das.

Foto: Kristina Zakharova

Gemeinsames Essen in der neuen Lokation. © Kristina Zakharova

Wieder umziehen

Seit Januar hat das Team „Über den Tellerrand kochen“ ein permanentes Zuhause gesucht. In den letzten sieben Monaten waren sie überall verteilt. „Das war anstrengend, wir wollten endlich unsere eigenen Töpfe haben!“, erzählt Lisa, die im Team für interkulturelle Kommunikation, Ehrenamtsmanagement und Eventmanagement zuständig ist.

Besser als die Deutschen wissen die tausenden Flüchtlinge, die ins Land kommen, wie es ist, keinen Platz zu haben, den man sein „Zuhause“ nennen kann. Das erste Flüchtlingsheim, in dem man nach der Ankunft in Deutschland landet, ist in der Regel nicht das letzte. So ging es auch Ahmed aus Ägypten. Heute strahlt er vor Freude. Er ist einer der ersten Köche des Projektes. Er lächelt immer und sieht glücklich aus. Niemand glaubt heute mehr, dass vor einem Jahr und fünf Monaten alles ganz anders war.

In Ägypten konnten Ahmed, seine Frau und ihre 2 Kinder nicht länger bleiben. „Meine Familie hatte ein großes Problem mit einer anderen Familie. Die haben sogar mein Auto angeschossen und mein Haus abgebrannt,“ erzählt er. Über die Gründe des Konflikts spricht er nicht. Was auch immer es war, es ließ Ahmed nachts nicht schlafen. Das Leben seiner Familie war in Gefahr. Nach einem langen und erschöpfenden Papierkrieg ist es ihm gelungen, ein Touristenvisum zu bekommen. Damit ist er erst von Kairo nach Frankfurt am Main geflogen. Bevor sie nach Berlin gekommen sind, haben sie noch in Dortmund gewohnt. In Berlin musste die ägyptische Familie den Wohnort dreimal wechseln. Über Umzüge braucht ihnen niemand mehr etwas zu erzählen.

Die Initiative ergreifen

„Über den Tellerrand kochen“ ist im Rahmen des Wettbewerbes der FU Berlin „Funpreneur“ entstanden. Vier Studenten aus Berlin haben das Ganze 2013 angefangen. Die Idee war, auf ungewöhnliche Weise auf die Schicksale von Flüchtlingen aufmerksam zu machen. Als ersten Schritt haben sie gemeinsam mit Asylsuchenden das Kochbuch „Über den Tellerrand kochen“ entwickelt. Dafür bekamen sie eine Förderung, die mittlerweile aber ausgelaufen ist. Das Team kann sich aber nicht vorstellen, die Aktivitäten jetzt einzustellen. Das Projekt wird immer größer. Neben dem gemeinsamen Kochen werden noch verschiedene Treffen und Events organisiert.

Die asylsuchenden Köche sind seit kurzem auch You-Tube Stars. Es war die Idee von Ahmed, Videos zu machen. Er dachte, ein Buch reicht nicht, die müssen auf ein neues Niveau kommen. Der Strategieentwickler Rafael hat das unterstützt. So haben sie in Kooperation mit dem digitalen Lifestyle Magazin „Ellevant“ fünf Videos für den „Ellevant“ You-Tube-Kanal gedreht. „Jetzt hat mein Video 20.000 Views!“, sagt der ägyptische Koch stolz und lächelt, „Ich bin zufrieden“.

Ganz am Anfang sind die Berliner Studenten zu Flüchtlingsheimen und Flüchtlingszeltlagern in Berlin gegangen, um die Asylsuchenden kennenzulernen und ihnen das Projekt vorzustellen. Viele hatten Angst vor den jungen Menschen. Sie haben gedacht, dass das Sozialarbeiter sind, die von ihnen wieder etwas wollen. Es hat eine Weile gedauert, bis das Vertrauen aufgebaut war. Die Botschaft der Studenten war: „Wir sind nicht die Deutschen, die euch ‚helfen‘ und Sachen spenden wollen, wir wollen mit euch etwas zusammen schaffen!“ Nach einiger Zeit haben mehrere Leute von der Initiative erfahren, und alles ist leichter geworden.

So hat Ahmed auch das Team kennengelernt. Ein Freund von ihm aus Syrien, mit dem er einen Deutschkurs besucht, hat ihm von dem Projekt erzählt. In Ägypten hat er in einer großen Firma als Sales-Manager gearbeitet. In Deutschland musste er ein neues Leben anfangen, deswegen konnte er den Vorschlag, Koch zu werden, nicht ablehnen. Darüber hinaus war Kochen immer seine Leidenschaft.

Während des Gesprächs hält er natürlich einen Teller mit lecker aussehendem Essen in den Händen. Das hat nicht er gemacht, sondern sein Freund aus Syrien. Er hat aber selber auch was mitgebracht. „Baba Ghanoush“ ist sein kulinarischer Beitrag. Das Püree aus Auberginen und Sesampaste findet man auch auf dem großen Tisch.

Neue Nachbarschaft

Alles, was die jungen Leute da machen, ist kreativ und innovativ. Den Umzug konnten sie auch nicht anders organisieren. „Kitchen Hub“ heißt das gemeinsame Umzugsprojekt mit den Studenten von der TU Berlin. Flüchtlinge und Architekturstudenten arbeiten zusammen, um das neue Zuhause zu schaffen. Sie haben ein Semester lang das Projekt „Refugees in the City“ konzipiert; jetzt ist es an der Zeit, das Geplante zu verwirklichen.

Im neuen Raum werden sich die geräumige Küche und moderne Büros befinden. Während der Präsentation des Projektes für die Nachbarn zeigt die Projektleiterin und Dozentin an der TU Berlin, Nina, wie man die noch nicht existierenden Küchenbestandteile bewegen kann. Der Raum wird sehr multifunktional sein. Um sich das alles vorstellen zu können, muss man eine sehr gute Fantasie haben. Momentan gibt es hier nichts, außer den weißen Wänden und einem Berg von Bauschutt in der Mitte.

Foto: Kristina Zakharova

Präsentation des Projektes für die Nachbarschaft. © Kristina Zakharova

Die Nachbarn stört es nicht. Alle sehen sehr begeistert aus. Einige schlagen sogar etwas für die zukünftige Entwicklung vor. Eine harmonische Nachbarschaft in Schöneberg könnte der erste Schritt zur Schaffung einer flüchtlings- und fremdenfreundlicheren Gesellschaft werden.

Solche kleinen Initiativen wie „Über den Tellerrand kochen“ können leider nicht allen Asylbewerbern helfen. Bis Mai 2015 hat Berlin 10.488 Asylanträge bekommen (141.905 waren es deutschlandweit). Was das Projekt aber schaffen kann, ist ein besseres Bewusstsein und eine positivere Wahrnehmung von Flüchtlingen im Land.


Kristina Zakharova ist 21 und kommt aus St. Petersburg, Russland. Sie hat Öffentlichkeitsarbeit studiert und ist davon überzeugt, dass jeder mit einem kleinen Beitrag die Welt ein bisschen schöner machen kann. #maketheworldabetterplate

2017-07-06T12:18:05+02:00 Kategorien: Berlin + Brandenburg, IJK, JIL '15, Lesen, Macht + Medien|Tags: , , , , , |