Wenn der Permablitz einschlägt

Wenn der Permablitz einschlägt

An der Technischen Universität in Berlin treffen sich engagierte junge Menschen, um ein gemeinsames Hobby zu teilen und Gemüse, Früchte und Co anzupflanzen. Im Studentenprojekt „Permakultur und Terra Preta in der Stadt und auf dem Land“ wird jedoch nicht einfach in der Erde herumgebuddelt und Samen verteilt. Nein, hier werden ökologisch nachhaltige Alternativen verwendet und womöglich zukunftsträchtige Innovationen der Landwirtschaft praktisch ausprobiert. Während anderswo Wissenschaftler über Vor- und Nachteile sinnieren, wird hier gehandelt. Die Gruppe Permablitz des Projektes beispielsweise rückt regelmäßig aus, um in Berlin ihre Vorstellung von einem nachhaltigen Anbau umzusetzen. Bei einer ihrer Aktionen habe ich die Gruppe begleitet und den Spaß am Gärtnern kennengelernt.

Von Konstantin Neumann

Das Gleisbeet befindet sich in Friedrichshain am ehemaligen Wriezener Bahnhof, direkt neben dem Berghain“. Das ist die Ortsbeschreibung, der ich an einem Samstagmorgen folge, während der Regen mir ins Gesicht prasselt. Als ich vor dem Eingang des berühmten Technoclubs stehe und fragend die Türsteher angucke, kann ich das gesuchte Gartenprojekt beim besten Willen nicht entdecken. Doch nach einiger Suche finde ich schließlich parallel zur Helsingforser Straße einen langgezogenen Baumhain, an den sich das sogenannte Gleisbeet anschließt, eine Art gemeinschaftlicher Kiezgarten, der von einigen jungen engagierten Pflanzenliebhabern gepflegt wird, die sich zur GleisBeet e. V. zusammengeschlossen haben. Hier also soll heute der Permablitz einschlagen.

Wir sind leider etwas verplant“, gesteht mir die Landschaftsarchitekturstudentin Alex, derweil wir darauf warten, dass es losgehen kann. Der Beginn der Aktion sollte anscheinend um 10 Uhr sein, jetzt ist es bereits 12 Uhr. Nach und nach trudeln die Leute ein. Zum Beispiel Daniel. Mit seiner gelben Brille wirkt er irgendwie sympathisch. Zur Begrüßung werden auch gleich alle umarmt. Als die Leute sich schließlich mit Schaufeln, Scheren, Schippen, Pickel und Schubkarre bewaffnen, erzählt Daniel wie er den Garten letztes Wochenende zerstört vorgefunden hatte: „Da war eine verrückte Alte mit ihren besoffenen Atzen. Als ich morgens ankam, schrie sie: ‚Ich hab Marmelade in meinem Wohnzimmer gekocht. Verschwinde aus meinem Wohnzimmer oder ich rufe die Bullen!‘ Ich habe dann gesehen, dass die mit einem kleinen Eimer unseren ganzen Teich ausgeschöpft hat.“ Der Nachteil von frei zugänglichen Gärten scheint also die Anziehungskraft auf verhaltensauffällige Personen zu sein, denke ich mir. Und in der Tat schauen an diesem Tag noch mehrere merkwürdige Gestalten am Gleisbeet vorbei.

Das Vorgehen wird geplant. Foto: Konstantin Neumann

Der Permablitz plant sein Vorgehen. Foto: Konstantin Neumann

Derweil haben die PermablitzerInnen angefangen zu buddeln und die Erde wegzuführen. Denn die Herausforderung des Anpflanzens am Standort liegt darin, dass durch die jahrzehntelange Güterbahnhofsaktivität das Gelände mit Industrieschlake, Ölresten, Schwermetallen sowie Weltkriegsschutt verseucht ist. Um hier trotzdem unbedenkliche Nahrung ernten zu können, wird der Permablitz heute ein spezielles Hochbeet mit externer Erde errichten.

Die Buddelei mutiert schon nach wenigen Zentimetern Tiefe zu einer archäologischen Ausgrabung. Allerlei Ziegelsteine und Unrat treten zutage. Zwei Drahtseile, die durch den Boden verlaufen werden wenig zimperlich mit einer Baumschere und dem Spaten bearbeitet und schließlich durchtrennt. Ich vertraue einfach darauf, dass eventuell im Boden befindliche Munition oder ähnlich gefährliche Stoffe behutsamer behandelt werden. Das schließlich ausgehobene „Grab“ ist ungefähr ein Meter breit, knapp 2 Meter lang und einen halben Meter tief. Um die mitgebrachte Erde vor der verseuchten Umgebung zu schützen, wird das Loch mit einer „Wurzelvlies“ genannten Plane abgedeckt und am Rand mit den geborgenen Ziegelsteinen beschwert. Doch wer denkt, dass nun einfach Erde aufgeschüttet wird und das Beet fertig ist, hat sich geschnitten! In dem Loch werden zunächst Äste, Wurzeln und dergleichen versenkt. Das Holz wird daraufhin mit Grünschnitt aufgefüllt. Über den Grünschnitt kommt die erste Schicht Erde, die die Permablitzer kostenlos via eBay Kleinanzeigen bezogen haben. Darüber wird eine dünne Schicht Heu verteilt, die schließlich von der obersten Schicht Erde abgedeckt wird.

Die Erde für das Hochbeet wird auf die Schubkarre geladen.

Die Erde für das Hochbeet wird auf die Schubkarre geladen. Foto: Konstantin Neumann

Das Ganze funktioniert wie ein langfristiger Komposthaufen, der gleichzeitig bepflanzt wird“, erklärt mir Daniel. Demnach können die Mikroorganismen, die bereits in der Erde vorhanden sind, die Holzmoleküle nach und nach aufbrechen und verwerten. Aus Lignin oder Zellulose kann somit beispielsweise Glukose gewonnen werden. Während Blätter und vergleichbarer Grünschnitt sehr schnell verwertet werden, braucht Holz länger, sodass bei einem Mix wie in diesem Beet der Bedarf nachhaltig für die nächsten Jahre gedeckt ist. In Verbindung mit Rot- oder Regenwürmern kann dann aus dem Bodengemisch erstklassiger Humus entstehen. Die Heuschicht im Beet dient als Luftraum, in dem Prozesse ablaufen, die Sauerstoff benötigen. Jetzt bräuchte das Permabeet nur noch regelmäßig eine Düngung mit Nitraten, zum Beispiel in Form von menschlichem Urin. „Einen guten Gärtner erkennt man daran, dass er in seinen Garten pisst“, wird mir erklärt. 10 Liter pro Woche könne so ein Beet locker vertragen. Wer ungern öffentlich Wasser lässt, kann den Urin natürlich auch zuhause sammeln und erst später ausbringen. Der Trick besteht dann darin, den Urin mit Zucker zu füttern, um den typischen Ammoniakgeruch zu verhindern, der entsteht, wenn Bakterien versuchen, die Harnsäure zwecks Energiegewinnung aufzuspalten.

Im fertigen Beet werden nun die mitgebrachten Pflanzen eingesetzt: Rucola, Basilikum und Zucchini. Wäre man übrigens gezwungen, auf verseuchtem Boden anzupflanzen, ist die Sonnenblume die beste Anbaualternative. Zwar nehmen alle Pflanzen mit ihren Wurzeln die Schadstoffe aus dem Boden auf, doch lagern sie diese unterschiedlich ab. Der Großteil der Giftstoffe landet in den Blättern, ein geringerer Anteil im Stil bzw. Stamm und der geringste in den Früchten oder Samen. Von daher kann ein Salat von einem verseuchten Feld völlig ungenießbar sein, während die Kerne einer Sonnenblume vom gleichen Standort bereits unbedenklich sind. Durch die Nutzung dieses Prinzips könnten verseuchte Gebiete wieder renaturiert werden, indem Blattpflanzen (wie Tabak) so lange angebaut werden bis sämtliche Schadstoffe aus dem Boden gesaugt sind. Doch das ist ein anderes Thema.
Vorerst ist der Permablitz mit seinem Beetbau fertig. Und mit einem Blick auf den sich wieder verdunkelnden Himmel entscheidet Alex: „Ich mach mich jetzt vom Acker“.


Konstanstin Neumann ist 23 Jahre alt und schließt derzeit sein Bachelorstudium in Geschichte und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin ab. Ab kommendem Wintersemester wird er den Master Public History an dieser Universität studieren. Nebenbei arbeitet er als Studentischer Mitarbeiter für die Bundesstiftung Haus der Geschichte im Museum in der Kulturbrauerei.