Ein Idealist zwischen Kammermusik und Klinik

Ein Idealist zwischen Kammermusik und Klinik

Abseits vom Trubel der Hauptstadt befindet sich in einer kleinen Seitenstraße im Wedding der Piano Salon Christophi. Wer die alten Werkstätten der Uferhallen betritt, begibt sich auf eine besondere Reise zwischen Hochkultur und einem längst vergessenen Handwerk.

Von Marvin Rosé

Die Uferhallen im alten Arbeiterbezirk Wedding sind ein faszinierender Ort. Künstlerisch setzt der Regen die alten Straßenbahnwerkstätten in Szene. Es gleicht einer Filmkulisse für ein Arbeiterdrama aus dem 19. Jahrhundert. Christoph Schreiber flüchtet gerne dann in diese Welt, wenn er die Entspannung von seinem Beruf sucht und sich seiner Leidenschaft hingibt: Der Restaurierung alter Konzertflügel.

Christoph Schreiber ist Neurologe am Unfallkrankenhaus Marzahn. Geboren 1970 in Halle an der Saale als Sohn einer Philologin und eines Physikers, fand er bereits im Alter von 15 Jahren zur klassischen Musik des 20. Jahrhunderts. Während seines Medizin-Studiums an der Charité entdeckte er schließlich sein Interesse an Klavieren und Hammerflügeln. Das beeinflusst ihn bis heute und ist die Basis seiner außergewöhnlichen Passion. Er mietete sich eine kleine Ladenwohnung im Prenzlauer Berg und schon bald nannte er die ersten Flügel sein Eigen. Ihr Zustand machte manche Reparatur notwendig. Christoph Schreiber ärgerte sich darüber, wieviel die Instandsetzung durch einen Klavierstimmer kostete. Er begann, sich selbst mit den Flügeln intensiv zu beschäftigen und gründete schließlich den Piano Salon Christophori.

Aus dem kleinen Laden im Prenzlauer Berg wurde eine riesige Werkstatt. Christoph Schreiber wirkt etwas verloren zwischen dem Sammelsurium an ehrwürdigen Flügeln und Resonanzbögen, die sich bis zur Decke stapeln. 80 davon besitzt er selbst. Er bewahrt sie in seinem Lager auf. Die anderen – es sind ungefähr 100 – repariert Christoph Schreiber nach und nach. Immer wieder kommen neue dazu. Je älter desto besser, lautet seine Devise.

Wenn er es wieder geschafft hat, einen alten Flügel zu neuem Leben zu erwecken, lässt er sie bespielen. Es sind die Momente, die den Piano Salon Christophori zum Kammermusiksaal werden lassen. Zu Beginn war es ein kleiner Kreis von Zuhörern, die zu den Konzerten kamen. Befreundete Künstler waren es meist, heute sind es Weltstars der Klassik wie Julien Quentin, die Christoph Schreiber im Piano Salon empfängt.

Christoph Schreiber wollte einen Ort der Musik schaffen, an dem Künstler und Publikum sich nahe kommen können: „Das größte Problem von Kammermusikkonzerten ist, dass genau diese Nähe fehlt.“ Das Konzept ist nicht neu. Bereits um 1830 nutzte das Maison Erard in Paris ihre Klavierfabrik für die Veranstaltung von Konzerten. Eine Idee mit langer Tradition, die Christoph Schreiber nun wiederbelebt. Heute lädt der gelassene Arzt zu 130 Aufführungen im Jahr. Ein befreundeter Musikwissenschaftler hilft ihm bei der Auswahl der Künstler und der Organisation der Konzerte.

Der nach dem florentinischen Erfinder des Hammerklaviers, Bartolomeo di Francesco Christofori, benannte Piano Salon ist längst kein Geheimtipp mehr in der Szene. Ein Grund, warum er auf Werbung verzichtet: „Ich möchte, dass die Intimität der Konzerte erhalten bleibt und das Ganze nicht zu einem Mainstreaming wird.“ Die Plätze sind auf 199 begrenzt: „Das Versammlungsrecht erlaubt bei losen Stuhlreihen nur ein Publikum von maximal 200 Personen.“

Die Konzerte werden aus Spenden finanziert. Reservierungen nimmt Christoph Schreiber per E-Mail entgegen. Es ist die Eintrittskarte in eine andere Welt. Das Publikum bahnt sich seinen Weg ins Zentrum der Werkstatt. Ein kleiner Pfad durch das geordnete Instrumentenchaos führt zum Auditorium mit ungeordnet aufgestellten Stühlen. Auf der Bühne stehen drei Flügel, ihre polierten Oberflächen glänzen im schummrigen Licht alter Kronleuchter, die aufgereiht an den stählernen Balken der alten Industriehalle hängen. Die Gäste versorgen sich mit Bier, Wein und Wasser, das Christoph Schreiber kostenlos zur Verfügung stellt. Das Konzert beginnt. Ab jetzt dirigiert allein die Musik den Verlauf des Abends.

Christoph Schreiber ist Idealist. Er nimmt keine Auftragsarbeiten an: „So etwas bringt nur Ärger und Druck.“ Manchmal geht es jedoch nicht anders. Schließlich finanziert sich auch der größte Idealismus nicht von selbst. Sein Beruf helfe ihm dabei, das finanzielle Defizit des Salons auszugleichen. Die Summe der Spenden ist jedes Mal eine Überraschung und somit sind auch die Gagen der Künstler nicht kalkulierbar.

Wächst ihm der ganze Stress nicht manchmal über den Kopf? „Es fehlt oft die Zeit für meine Familie. Ich habe zwei kleine Kinder. Manchmal kommen sie mit und spielen in der Werkstatt.“ Er habe jedoch einen toleranten Chef, der ihm viel Zeit für seine Leidenschaft einräumt. Momentan arbeitet er in Teilzeit, 64 Stunden, alle zwei Wochen. Anders wäre der Spagat zwischen Klavierbau und Klinik nicht möglich.

Besinnung findet Christoph Schreiber in schwierigen Momenten mit einer Tasse Tee. Eine ganze Sammlung an Kannen hat er in der Werkstatt aufbewahrt. Er hat sogar eine Ausbildung in Japan zum Teemeister gemacht. Eine skurille Mischung, deren Verbindung die Sinnlichkeit ist.

Sein nächstes Projekt ist ein Kammermusikfestival im September. So etwas würde Berlin gut stehen, findet er. 500 Euro Gage für jeden der 48 Künstler. Schlafen sollen sie bei Freunden. Es ist die Improvisation, die die faszinierende Welt des Piano Salons Christophori so besonders macht.

Titelbild: „Piano“ von Eunbyul Sabrina Lee / CC BY


Marvin Rosé ist 22 Jahre alt und studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaften sowie Französische Philologie an der Freien Universität Berlin. Er arbeitete bereits für die Presseabteilung des American Field Services in Paris und schrieb in seiner Jugend zahlreiche Artikel für diverse Zeitungen. Nach seinem Auslandsaufenthalt lebt er nun in Wilmersdorf und ist immer wieder begeistert vom vielfältigen Kulturangebot der Hauptstadt.

2017-07-06T12:18:13+02:00 Kategorien: Berlin + Brandenburg, Kunst + Können, Lesen|Tags: , , , , , |