Die Insektenmasse ist in den letzten 30 Jahren um mehr als 75% geschwunden – Warum eigentlich und was tut die Politik dagegen?
von Lena Stein
Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) hat im Rahmen des Insektensommers in den Monaten Juni und August Bürger*innen aus Berlin und Brandenburg dazu aufgerufen, Insekten in ihrer Umgebung zu zählen. Per App können die Zahlen in den beiden Monaten an den NABU weitergeleitet werden. „Man schützt bekanntlich das, was man kennt. Mit dem Insektensommer wollen wir für den Schutz dieser wichtigen Tiergruppe sensibleren“, so NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Wichtig ist dies, da die Ökosysteme ohne die 6-Beiner zusammenbrechen würden: die Landwirtschaft leidet, Wiesen verarmen und Vögel sterben aufgrund von Nahrungsmangel.
Erhebliche Datenlücken: Es mangelt an Langzeitstudien
Allein in Deutschland gibt es etwa 33.000 Insektenarten – Tendenz sinkend. Viele davon stehen bereits auf der Roten Liste. Allerdings fehlen größtenteils Langzeitstudien, um das Insektenschwinden in Deutschland genau zu belegen. Trotz des bereits alarmierenden Wissenstands herrschen in den meisten Bundesländern erhebliche Datenlücken. Die meisten Langzeitstudien zum Insektensterben scheitern an der Finanzierung.
Eine der wenigen Langzeitstudien aus Deutschland wurde Oktober 2017 vom Entomologischen Verein Krefeld veröffentlicht. Ehrenamtliche Insektenkundler*innen zählten hierfür an 63 Standorten im Westen Deutschlands in den letzten 30 Jahren die Insektenmasse.
Die Ergebnisse sind alarmierend. Die Insektenzahl ist um mehr als 75% geschwunden. Besonders schockierend ist, dass die Ergebnisse ausschließlich aus Naturschutzgebieten stammen. Also von besonders geschützten Orten.
Besonders große Rückgänge verzeichnen vor allem Artengruppen wie Schmetterlinge, Wildbienen und Nachtfalter. 63 Prozent der untersuchten Wildbienen und 50 Prozent der untersuchten Schmetterlingsarten sind bedroht. So könne es laut Schätzungen von Wissenschaftler*innen schon in 100 Jahren keine Insekten mehr geben.
„Wir befinden uns mitten in einem Albtraum, da Insekten eine zentrale Rolle für das Funktionieren unserer Ökosysteme spielen“, warnt Johannes Steidle, Professor für Chemische Ökologie der Universität Hohenheim im Gespräch mit dem Westdeutschen Rundfunk Köln. Besonders wichtig sei hierbei die Erstellung von Roten Listen.
Insekten in der Landwirtschaft: verheerende Folgen für den Menschen
Es wird vermutet, dass das Insektensterben zu einem großen Teil an der Verwendung von Pestiziden und der Lichtverschmutzung liegt. Im Mai 2019 veröffentlichte der Welt-Biodiversitätsrat (IPBES2) einen globalen Bericht, der einen Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Insekten und der Landwirtschaft belegt.
Dabei sind die kleinen Tiere als Bestäuber für etwa 35 Prozent der weltweiten Nahrungsmittelproduktion nicht wegzudenken. Ohne sie würden schätzungsweise mehrere Millionen Menschen jährlich in Folge von Mangelernährung sterben. Würden wir die Bestäubung von Früchten, Gemüse und Nüssen selbst übernehmen, so müssten dafür etwa 153 Millionen Euro pro Jahr ausgeben werden.
Tatort Straßenbeleuchtung: Vor allem nachts ein großes Insektensterben
Vor allem in der Nacht sterben viele nachtaktive Insekten durch den sogenannten Staubsaugereffekt, da sie von dem künstlichen Licht angezogen werden. Der Biorhythmus der Insekten wird gestört, sie verirren sich, flattern bis sie vor Erschöpfung tot umfallen, werden sichtbarer für Fressfeinde und sterben vor Erhitzung.
Die ehemalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SDP) sagt in einer Pressemitteilung: „Ein wichtiger Faktor für den Insektenschutz ist die Beleuchtung. Falsche Straßenbeleuchtung kann den Insekten enorm schaden.“
Eine einzige Straßenlaterne kann bereits eine gesamte Köcherfliegen-Population eines 200 Meter breiten Gewässerstreifens töten. Um dies zu vermeiden, sollen laut dem Aktionsprogramm Insektenschutz, das vor 4 Jahren im Koalitionsprogramm beschlossen wurde, bestimmte Beleuchtungen verboten werden – dies betrifft beispielsweise die Nutzung von Skybeamern in Naturschutzgebieten und die Verwendung von Insektenvernichtungslampen.
Zudem wurde 2019 das Verbundsprojekt Artenschutz durch umweltverträgliche Beleuchtung gegründet, in welchem ein möglichst umweltfreundliches Straßenbeleuchtungssystem erprobt wird. Das Licht soll damit nur noch auf der Straße selbst und nicht mehr an der Lampe direkt sichtbar sein. Somit ist die Lichtintensität von der Flughöhe der Insekten abgeschirmt und in den angrenzenden Lebensgebieten stark reduziert.
Allerdings leiden nicht alle Insekten unter dem Insektensterben in Deutschland. Das Sterben der einheimischen Arten in Deutschland macht Platz für eingeschleppte Insektenarten wie die Tigermücke. Auffällig ist, dass vor allem für den Menschen problematische und gefährliche Insektenarten einheimisch werden.
Svenja Schulze: Insektenschutz sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Die Prognose ist eindeutig: Etwas muss getan werden. Fünf Millionen Euro sollen für Schutzgebiete bereitgestellt werden, um die Lebensräume von Insekten wie Gewässer und Wiesen, Hecken und Feldränder zu bewahren. Auch die Aufklärung über das Insektensterben solle hierbei eine große Rolle spielen.
Um dies umzusetzen, wurden bereits Expert*innen über die Internationale Klimaschutzinitiative vernetzt. Anfang 2014 wurde die Deutsche Intergovernmental Science-Policy (IPBES) Koordinierungsstelle durch das Bundesumweltministerium (BMU) und das Bundesforschungsministerium (BMBF) gegründet. Die IPBES dient als Kontaktstelle für Themen rund um die biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen für Politiker*innen und Wissenschaftler*innen. 137 Staaten sind bereits Mitglied – darunter auch der Weltbiodiversitätsrat, der wissenschaftliche Daten sammelt und politische Handlungsmöglichkeiten fordert.
Zudem sollen laut dem Aktionsplan Insektenschutz Insektenlebensräume aufrecht- und wiederhergestellt und die Lichtverschmutzung eingedämmt werden. Svenja Schulze (SDP) gibt bekannt, dass das Gesetz erstmals auch Bereiche jenseits der Landwirtschaft wie die Lichtverschmutzung betreffe. Dies sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Lena Stein studiert im 5. Semester Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Deutsche Philologie. Als Teil der Friday for Future Generation beschäftigt sie sich gerne mit Themen rund um Nachhaltigkeit und Umweltschutz.