Das Zuhause ist in der Pandemie wichtiger geworden: Die Interior Designerin Maj van der Linden im Interview

Das Zuhause ist in der Pandemie wichtiger geworden: Die Interior Designerin Maj van der Linden im Interview

Nie zuvor haben wir so viel Zeit Zuhause verbracht wie im vergangenen Pandemie-Jahr. Die eigenen vier Wände wurden für viele gleichzeitig Büro und Fitnessstudio. Tagsüber Kinderbespaßungszentrum, abends provisorischer Kinosaal oder Ersatz für die Bar um die Ecke. Die Berliner Interior Designerin Maj van der Linden weiß, wie man all das stilsicher unter einen Hut bekommt. Im Interview erzählt sie von ihrem Arbeitsalltag zwischen Baustelle und Schreibtisch, dem Mut zu Experimentieren und ihrer frühen Begeisterung für Vintage-Möbel.

von Theresa Bareth

Frau van der Linden, wie kommt es, dass Sie heute beruflich die Wohnungen fremder Menschen einrichten?

Ich habe sehr früh angefangen mich für Design-Möbel zu interessieren, so mit 17 oder 18. Mit meinem damaligen Freund, der sehr design- und kunstbegeistert war, habe ich alte Möbel, vor allem Klassiker aus den 50er bis 70er Jahren, gesammelt. Und damit ging dann eben auch einher, dass man einrichtet. Dass man ein passendes Umfeld schafft für die Stücke. Eigentlich habe ich etwas ganz anderes studiert, Sozialpädagogik. Aber parallel habe ich mich immer auch mit dem Einrichten beschäftigt. Ich wurde viel von Freunden angesprochen, die meine Wohnung schön fanden oder wussten, dass ich mich mit dem Thema auseinandersetze. Auf die Idee, dass man daraus einen richtigen Job machen könnte, kam ich damals aber noch nicht. Ein, zwei Jahre später habe ich mit meiner Firma Vintagency einen Blog gestartet. Da ging es viel um Vintage-Möbel und Upcycling. Ohne allzu große Erwartungen darin zu setzen, habe ich dann noch einen Service gelauncht. Nach dem Motto: Na mal sehen, ob da was kommt.

„Total ins kalte Wasser gesprungen“

Und dann kam tatsächlich sehr schnell eine Anfrage rein, von einer Agentur aus Frankfurt am Main, die in Berlin-Mitte Räume gekauft hatte. Und das, ohne dass ich da wirklich was vorzeigen konnte – ein Studium oder größere Projekte. Alles was ich hatte waren ein paar Bilder von Raumecken. Wir haben das Ganze trotzdem gemacht, sind total ins kalte Wasser gesprungen. Die Bilder von dem fertigen Projekt haben wir auf unserer Website veröffentlicht. Sie gingen viral, bis sie sogar ein Wohnmagazin aus Brasilien genutzt hat. Es ist ja so: Interior Designer ist keine geschützte Berufsbezeichnung, es gibt verschiedene Wege dahin. Inzwischen arbeite ich viel mit der Architektin Esther Berkhoff zusammen. Das ist sehr hilfreich, weil es beim Einrichten oft auch um technische Sachen geht. Und heute machen wir auch mehr als „nur“ einrichten, das heißt, wir betreuen ganzheitliche Projekte, wir bauen eigene Möbel.

Kein Nine to Five-Job

Viele verschiedene Aufgaben also. Wie können wir uns Ihren Berufsalltag vorstellen?

Auf den Millimeter genau: Maßgefertigte Möbel wie diesen Einbauschrank designt Maj van der Linden zusammen mit der Architektin Esther Berkhoff. Foto: Lutger Paffrad

Grundsätzlich gibt es drei Teile: Das, was Menschen immer zuerst mit Interior Design verbinden, ist natürlich der kreative Teil – die Konzeptentwicklung. Oft denkt man ja erstmal: Oh, was für ein Traumjob! Leute geben dir Geld und dann ist das Einrichten wie Selbstverwirklichung. So einfach ist das natürlich nicht. Als Interior Designerin verbringt man auch sehr viel Zeit mit Kundenkommunikation. Ich mache viel im Bereich Residential, also im privaten Sektor. Und da möchten die Kunden natürlich sehr viel mitsprechen, wollen in die Entscheidungen eingebunden werden – schließlich geht es am Ende um ihr Zuhause, sie müssen sich dort wohlfühlen.

Dann wäre da noch der Teil auf der Baustelle. Als Bauleitung muss man immer ein Auge darauf haben, wie hier der Fortschritt ist und was laufend passiert. Es ist auf jeden Fall kein Nine to Five-Job. Die Arbeitszeiten hängen bei uns immer stark von den Projekten ab, auch von den Einsatzorten. Kunden kommunizieren häufig abends, weil sie tagsüber selbst arbeiten. Der Handwerker dagegen ruft auch mal morgens um sieben Uhr an. Grundsätzlich läuft vieles nebenher. Manchmal wird es da auch schwer das Privatleben klar vom Berufsleben abzugrenzen. Andererseits genieße ich auch diese Flexibilität, die Möglichkeit sich selbst Freiräume zu schaffen: Manchmal arbeite ich dann eben zwei Tage ganz viel und kann mir dafür auch mal einen Tag unter der Woche freinehmen.

Das klingt so, als würden Sie mit vielen verschiedenen Personen zusammenarbeiten.

Ja, man braucht schon ein gutes Netzwerk an vertrauensvollen Personen. Das geht vom Tischler über den Metallbauer zum Glaser und Estrichleger. Als Interior Designerin koordiniert man ja all diese Arbeiten. Und wenn mal was nicht so glatt läuft, ist man auch diejenige, die das vom Kunden fernhält, sodass ihm der Umbau am Ende möglichst reibungslos erscheint.

Eine eigene Handschrift etablieren

Sie beschreiben Ihren Stil als Mix aus Mid Century-Einflüssen und modernen Signature-Pieces. Wie weit gehen Sie auf Kunden zu, die andere Einrichtungswünsche haben? Oder kommen sowieso nur Kunden zu Ihnen, die Ihren Stil teilen?

„Es braucht schon eine ähnliche Ästhetik“: Mid Century-Lowboard trifft auf zartes Türkis. Foto: Anne-Catherine Scoffoni.

Das ist eine gute Frage, denn letztendlich ist es natürlich immer ein Abwägen. Am Ende des Monats muss man schließlich irgendwie seine Rechnungen bezahlen können. Andererseits möchte man auch eine eigene Handschrift etablieren und für einen bestimmten Stil stehen. Denn, ich glaube, nur dann ist man auch richtig gut. Es gibt Kunden, die mich anfragen und die ich sympathisch finde. Aber dann merke ich gleich beim ersten Kennenlerntreffen, dass unsere Vorstellungen stark auseinander gehen. Und inzwischen kommuniziere ich das dann auch so. Ich sage ihnen, dass ich nicht die richtige Person dafür bin. Am Anfang habe ich solche Projekte ein paarmal gemacht. Aber oft habe ich gemerkt, dass weder ich noch der Kunde am Ende mit dem Ergebnis so ganz zufrieden waren. Es braucht schon eine ähnliche Ästhetik und ein Verständnis dafür, was sich der andere vorstellt.

Wie hat sich die Corona-Pandemie auf ihre Arbeit als Interior Designerin ausgewirkt?

Es sind zweierlei Dinge: Einerseits gab es Anfragen, vor allem größere Projekte im privaten Bereich, die wegen der Pandemie nicht mehr stattgefunden haben oder ‚on hold‘ waren. Weil die Kunden nicht so genau wussten, wie es beruflich für sie weitergehen würde und da dann auch finanzielle Unsicherheiten bestanden.
Andererseits gab es auch viele Menschen, die in dieser Zeit nicht in den Urlaub gefahren sind, aber weiter ihr Geld verdient haben. Und dann haben sie dieses Geld eben stattdessen in das neue Wohnzimmer oder das veraltete Bad gesteckt. Dadurch, dass man so viel Zeit dort verbracht hat, hat das Zuhause nochmal eine andere Wichtigkeit bekommen. Gerade für Leute, die sonst viel arbeiten, die viel unterwegs sind. Deshalb waren sie auch eher bereit hier Geld zu investieren, das sie sonst wahrscheinlich für andere Aktivitäten ausgegeben hätten.

Arbeitsplatz Wohnzimmer

Und das ging dann auch einher mit vermehrten Anfragen von Leuten, die nun zuhause arbeiten mussten und hier nach funktionalen Einrichtungslösungen gesucht haben. Diese Entwicklung ist an sich nicht neu. Die beiden Bereiche Wohnen und Arbeiten, sind auch schon vor der Pandemie immer mehr verschmolzen. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass Menschen immer häufiger im Home Office arbeiten. Aber auch andersrum daran, dass Büros immer wohnlicher werden, mit Launch Ecken und so was. Trotzdem hat sich das durch die Pandemie sozusagen nochmal zwangsintensiviert. Und man kennt das – man kann mit dem Laptop schnell mal irgendwo arbeiten, aber dann braucht man doch ein bisschen mehr Raum, wenn man auf einmal die ganze Woche Zuhause ist. Man möchte schließlich nicht, dass das ganze Wohnzimmer zum Arbeitszimmer wird. Hier galt es Lösungen zu finden, wie man das Arbeiten integrieren kann, ohne zu sehr in einen Office Look zu verfallen.

Was sind das grundsätzlich für Objekte, die Sie einrichten?

Interior Designerin Maj van der Linden lebt selbst in einer Mietwohnung. Foto: Maj van der Linden

Zunächst ist es so, dass Interior Designer in Deutschland als Beruf noch nicht so anerkannt ist. Das heißt, die meisten Deutschen kaufen eine Wohnung oder bauen ein Haus, aber die Interior Planung ist da noch gar nicht mitgedacht, sie kaufen sozusagen erstmal ein nacktes Gebäude. Für Menschen aus dem Ausland dagegen ist es viel normaler, sich von Anfang an auch eine Unterstützung beim Einrichten zu holen. Das sind dann Wohnungen aller Größen, in Berlin zum Beispiel sind ja auch kleinere Wohnungen inzwischen sehr teuer.

Die andere Sache ist, dass es sehr wenige Leute gibt, die das bei einer Mietwohnung machen. Häufig will man da nicht so viel reinstecken, besonders, wenn man weiß, dass es nur temporär ist. Natürlich ist das aber auch kein Ausschlusskriterium – wenn die Miete billig ist und man lange bleiben möchte, lohnt es sich schon darüber nachzudenken.

Interior Design in Deutschland „noch ein bisschen verpönt“

Sie haben gesagt, der Beruf der Interior Designerin sei in Deutschland noch nicht so anerkannt?

In den USA, wo ich einige Zeit gelebt habe, ist die Situation schon anders. Dort greift alles vielmehr ineinander, das heißt da arbeitet der Architekt von Anfang an schon mit dem Interior Designer und dem Lichtplaner zusammen. In Deutschland kommt dagegen alles nacheinander und das ist nicht ideal. Denn es gibt viele Abhängigkeiten, die häufig nicht bedacht werden. Das bedeutet dann im Zweifel, dass die Wand, die der Architekt hier aufgestellt hat, im nächsten Schritt von meinen Handwerkern wieder eingerissen wird. Und dann muss der Elektriker wiederkommen, weil die Anschlüsse nicht mehr stimmen und so weiter. Sowas ist in Deutschland die Regel. Ich habe das Gefühl, da findet auch kein Lernprozess statt. In anderen Ländern wird dagegen von Anfang an viel ganzheitlicher gedacht und der Interior Designer ist in diesem Prozess auch viel akzeptierter. In Deutschland ist das eher noch ein bisschen verpönt. Die Leute geben nur ungern zu, dass sie ihre Wohnung nicht selbst eingerichtet haben. Sie wollen schon gerne sagen, dass das ihre Kreation ist, ihr Stil.

Vielleicht ist das auch ein bisschen als Individualismus-Streben zu verstehen? Dieser Stolz auf das Eigene?

Ja, das ist natürlich immer so eine Sache mit dem Individualismus. Die Menschen zeigen online immer mehr, wie sie wohnen. Nicht nur was sie anhaben und wie sie reisen, sondern eben auch ihr Zuhause, ihre Einrichtung. Für viele Menschen, besonders solche, die sich keinen Interior Designer leisten können oder wollen, kann das natürlich auch inspirierend sein. In Wohnmagazinen oder von Social Media kann man sich heute viel abgucken, Dinge nachmachen. Aber ob das dann so individuell ist, sei mal dahingestellt. Häufig bleibt es eher bei einem oberflächlichen Dekorieren. Was wir machen ist da schon nochmal was anderes, wir planen ja auch maßgefertigte Möbel und machen ganzheitliche Konzepte. Und in der Regel sind unsere Kunden eben schon Leute, die an einem Punkt in ihrem Leben stehen, an dem es gewisse Sicherheiten gibt. Wir haben zum Beispiel kaum Kunden, die unter dreißig sind.

Im Privatbereich ist das Arbeiten persönlicher

Spot on für die Design-Bank aus Walnussholz vor einer Wand in Altrosa. Foto: Ludger Paffrath

Apropos Kunden: Arbeiten Sie mehr im Privatbereich oder mit Geschäftskunden? Welche sind (un)komplizierter?

Ich mache mehr im Privatbereich. Nicht unbedingt aus Prinzip. Es ist eher so, dass ich besonders am Anfang viel im Residential-Bereich gemacht habe. Und dadurch zieht man dann eben auch eher Kunden aus dieser Ecke an. Viele kommen wieder, oft haben sie Wohnungen an verschiedenen Orten oder es spricht sich in ihrem Bekanntenkreis herum. Das ist ein sehr viel persönlicheres Arbeiten, man lernt die Menschen auch mit ihren Bedürfnissen kennen, häufig Paare oder ganze Familien. Und man gestaltet Orte, in denen später auch gelebt wird. Im kommerziellen Bereich ist alles deutlich unpersönlicher, dafür aber häufig eben auch klarer und zielgerichteter: Es gibt Deadlines, ein Budget, vieles ist schon festgelegt und dadurch kommt man dann oft auch schneller zu einem Ergebnis und muss nicht jedes Detail aushandeln. Am Ende ist es so, dass ich beidem etwas abgewinnen kann.

Einfach mal machen: Die Studienzeit als Experimentierphase

Zum Abschluss, ein Tipp für die armen Studenten: Wie klappt das mit dem stilvollen Einrichten auch ohne Interior Designer?

Ich finde es schwer das so pauschal zu sagen. Das heißt, es gibt nicht die eine Sache, zu der ich raten würde. Wenn ich mir meine eigene Wohnung anschaue, die ich vor 15 Jahren hatte – da habe ich viel rumprobiert. Und ich finde das ist so ein Alter, wie mit Kleidung auch, in dem es eher schade ist, wenn man sich zu schnell anpasst. Schöner ist es, wenn man viel ausprobiert und einfach macht. Wenn man Lust hat, die Wand mal so zu streichen, dann streicht man sie eben. Und wenn man ein Möbelstück auf dem Flohmarkt findet, das einem gefällt, dann kauft man das auch. Ich glaube, man sollte das ruhig als Experimentierphase nutzen, um seinen eigenen Stil zu finden. Mein Tipp wäre also, dass man nicht versucht, nur das zu machen, was man irgendwo gesehen hat. Dass man sich nicht nur eine Szene nachstellt. Sondern, dass man ein bisschen mutig ist, dass man etwas wagt.

 


Theresa Bareth studiert im 4. Semester Literaturwissenschaft und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Ihre kleine Wohnung teilt sie sich mit halbtoten Topfpflanzen, alten Möbeln und einer Unmenge an bunten Kerzenständern.