Frauen sind zwar auf dem Papier gleichberechtigt, kämpfen aber nach wie vor mit Benachteiligungen in der Arbeitswelt und damit verbundenen geringen Aufstiegschancen. Die Selbstständigkeit bietet somit für immer mehr Frauen eine zunächst vielversprechende Alternative. Jeanette Zeidler von der „Gründerinnenzentrale“ gibt Einblick in die Barrieren der Unternehmerinnen-Welt.
Von Sarah Maria Gruber
Gender-Pay-Gap, unbezahlte Reproduktionsarbeit und die „Gläserne Decke“ sind Begriffe, an denen Frauen auf ihrem Weg die Karriereleiter hoch kaum vorbeikommen. Aus dem überholten Grundverständnis des 20. Jahrhunderts, dass die Erwerbstätigkeit von Frauen eher als Zuverdienst angesehen wird, entwickelte sich eine anhaltende Benachteiligung für Frauen am Arbeitsmarkt. Ein Ausweg: Gründerin werden! Doch auch hier legt das System aus weiblicher Sozialisation, mangelnden Kita-Plätzen und ungleicher Kapitalverteilung Steine in den Weg.
Der Schritt in die Existenzgründung
Jeanette Zeidler befasst sich durch ihre Arbeit in der Gründerinnenzentrale in Berlin seit Jahren damit, was es heißt, als Frau in die Selbstständigkeit zu gehen. Das Projekt ist vor allem ein Vernetzungsangebot, das 2006 aus der Genossenschaft „Weiberwirtschaft“, dem größten Gründerinnenzentrum Europas, entstand. Finanziert wird es vom Senat Berlin, dem Europäischen Sozialfond und einem kleinen zu erwirtschaftenden Eigenanteil.
Als Erstanlaufstelle für alle gründungsinteressierten Frauen hat die Gründerinnenzentrale seit ihrem Start über 24.000 Frauen mit Fragen zum Thema Selbstständigkeit unterstützt, durch eigene Veranstaltungen mehr als 9.300 Frauen einen Treffpunkt ermöglicht und über 3.500 Orientierungsgespräche geführt – und das mit lange nur zweieinhalb, nun drei Personalstellen. Frau Zeidler ist stolz auf diese Arbeit.
Stichwort: Strukturelle Benachteiligung
Diese Zahlen bringen neben Stolz auch Hintergrundwissen. Frau Zeidler gibt einen Einblick in die Schwierigkeiten, die Frauen in der Unternehmenswelt begleiten. Warum in Deutschland der Anteil von Gründungen durch Frauen nur 40% beträgt, erklärt sie zum einen – erwartbar – mit Geld. Ein Pay-Gap von über 20% zu Ungunsten von Frauen und eine Vermögensverteilung, die Männern den Löwenanteil zuspricht, erschwert die Chancen ein Unternehmen zu gründen, zumal ein finanzielles Polster gerade am Anfang unabkömmlich ist.
Hinter dem Faktor Geld steckt aber weit mehr. „Es ist auch eine Frage der Sozialisation. Es ist ja unbestritten, dass Frauen immer noch als die Lieben und Netten – die, die sich kümmern – aufgezogen werden“, so Zeidler. Damit ist gemeint, dass Frauen nach wie vor die alleinige Rolle der Mutter und Hausfrau zugewiesen wird. Für viele Frauen ist der Verzicht auf Erwerbstätigkeit demnach oft auch gar keine bewusste Entscheidung. Hinzukommen Kita-Betreuungszeiten, die eine Vollzeit-Anstellung einer Mutter unmöglich machen und ein Ehegattensplitting, das Frauen zur Teilzeit animiert. „Diese Strukturen sind so aufgebaut, dass sich schwer etwas ändern kann.“
Einmischen und mitmischen
Zu den Strukturen gehört auch der Mangel an Mitspracherecht auf den höheren Etagen, dort wo Entscheidungen getroffen werden. Laut der Statista Datenbank lag der Frauenanteil in den Aufsichtsräten bei Deutschlands 100 größten Unternehmen 2019 bei 29,4%. 2018 betrug der Anteil weiblicher Unternehmensführung von Unternehmen ab 10.000 Mitarbeiter*innen lediglich 16,8%. Dieser Trend setzt sich auch in der Politik fort: mit einem Frauenanteil von 30,7% im Deutschen Bundestag ist etwa die Hälfte der Bevölkerung unterrepräsentiert. Diese Zahlen legen dar: Frauen brauchen mehr Teilhabe. „Es ist wichtig, dass Frauen in die Selbstständigkeit gehen, damit Sie einfach auch mehr Geld verdienen und ganz ehrlich, auch ihren Einfluss vergrößern“, so Zeidler.
„Keine Lust mehr auf diese Strukturen“
Eine Gruppe der Gründerinnen beschreibt Zeidler als die, die auf eben diese Strukturen keine Lust mehr haben. Trotz einer gewissen Bequemlichkeit, die das Angestellten-Dasein mit sich bringt, durch etwa bezahlten Urlaub und Krankenstand, fällt die Entscheidung für einen Wechsel. „Die Frauen sehen, sie kommen nicht mehr weiter, wenn Männer mit weniger Berufserfahrung und Qualifikation zu ihren Vorgesetzten werden.“ Manche wollen sich auch einfach einen Traum erfüllen und endlich das tun, was sie nie umsetzen konnten. Und dann sind da natürlich junge Mütter, die sich von der Selbstständigkeit mehr Flexibilität versprechen.
Selbstverständlich Unternehmerin
Viele Frauen, die den Schritt in die Unternehmensgründung wagen, kämpfen auch mit ihrem Selbstverständnis. „Die brauchen oft Jahre, bevor sie sich trauen, sich selbst als Unternehmerin zu bezeichnen“, heraus aus einem „bescheidenen Frauen-Dasein, das es zu erfüllen gilt“, erklärt Frau Zeidler.
Um diesem zurückhaltenden Selbstbild entgegenzuwirken, organisiert die Gründerinnenzentrale Vernetzungsveranstaltungen zum Thema und bewirbt den Hashtag #ichbinunternehmerin: „Wir möchten Frauen ermutigen, sich selber als Unternehmerin zu sehen, zu bezeichnen und sich als solche der Welt zu präsentieren, damit das Bild vom Unternehmertum auch eins vom Unternehmerinnentum wird!“
Diese Angebote finden Anklang: „Die Rubrik der Unternehmerinnen-Portraits ist die meistbesuchteste auf unserer Website!“ Zudem kooperiert die Gründerinnenzentrale mit der Initiative „FRAUEN unternehmen“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, bei der Vorbild-Unternehmerinnen ausgezeichnet werden, die durch ihr Wirken Vorbild für andere Frauen sein können.
„Wer soll die Situation für Frauen ändern, wenn nicht Frauen?“
Das Team der Gründerinnenzentrale besteht ausschließlich aus Frauen, ebenso wie das der „Weiberwirtschaft“. Auf die Frage hin, was Frauensolidarität für sie bedeute, antwortet Frau Zeidler entschieden: „Wer soll die Situation für Frauen ändern, wenn nicht Frauen?“ Das erläutert sie anhand ihrer eigenen Erfahrung, wonach Männer diese Probleme oft einfach auch gar nicht verstehen können, weil diese für sie nicht existieren. „Ihr seid doch gleichberechtigt, was wollt ihr denn jetzt noch!“, zitiert sie eine Standardphrase.
Das große Ziel vor Augen
Das Ziel, das Frau Zeidler und ihre Kolleginnen verfolgen: Die Arbeit der Gründerinnenzentrale überflüssig machen. Der Wunsch: Gleichberechtigung für alle Menschen. „Das würde diesem Land und seiner Wirtschaft verdammt gut tun.“ Doch Frau Zeidler verweist auf ein Zitat von Katja von der Bey, Leiterin der Weiberwirtschaft: „Wenn wir so weitermachen wie in den letzten 20 Jahren, dauert es in etwa 900 Jahre, bis das Verhältnis von Männern und Frauen ausgeglichen ist.“ So schnell wird die Gründerinnenzentrale wohl nicht überflüssig werden.