Hupen gegen Scientology

Hupen gegen Scientology

Sekte oder Religionsgemeinschaft? Gehirnwäsche oder Lebenshilfe? Geldgierig oder mildtätig? Schnell kochen die Emotionen hoch, wenn das Wort „Scientology“ fällt und jeder hat dann in der Regel eine eindeutige Meinung zu dieser Organisation. Scientology selbst bezeichnet sich als Kirche. So sind Auditing-Sitzungen ihre Gottesdienste und ihre Kirchensteuer sind Gelder, die Mitglieder zahlen, um auf höhere geistige Ebenen zu gelangen. Viele Außenstehende finden das fragwürdig, und, tatsächlich, auch Scientologen haben so ihre Zweifel – allerdings mehr an sich selbst als an der Organisation.

Von Charlie Zaharoff

An einem Samstag im Juni steht ein kleiner Mann mitten auf der Otto-Suhr-Allee in Badehose, auf dem Gesicht die lächelnde Maske von Guy Fawkes. Er tanzt und schwenkt ein handgeschriebenes Plakat in der Luft: „Hupen gegen Scientology.” Ein Polizeiwagen bremst neben ihm, hupt dreimal, und das Dutzend maskierter Demonstranten auf dem Fußweg antwortet mit Winken, Jubeln und Lachen. Auf der anderen Seite der Straße steht das Gebäude von Scientology: hoch und schlank, erst vor kurzem erbaut, nicht ganz zu Hause in Berlin.

Der Widerstand gegen die Scientologen eint Bürger und Regierung. Gesetzlich sind sie weder als Religion noch als gemeinnütziger Verein anerkannt. Laut einer Umfrage des Nachrichtenmagazins Der Spiegel von 2008 meinen zwei von drei Deutschen, dass die Organisation verboten werden sollte. Die beiden Volksparteien SPD und CDU nehmen keine Scientologen auf.

Die kleine Demo am Samstag wurde von der Online-Communitiy „Anonymous“ organisiert, ihre Teilnehmer wollen aus Angst vor dem Scientology-Geheimdienst anonym bleiben. Ihre Hauptkritikpunkte: Scientology sei eine Sekte und ein geldgieriges, ausbeuterisches  Unternehmen. Ein Gerichtsurteil aus dem Jahr 2005 hat die verbreitete Diskriminierung von Scientologen durch sogenannte Sekten-Filter verboten. Arbeitssuchende waren bis dato gezwungen, sich zu ihrer Verbindung zu Scientology zu bekennen. Aber in einem 2010 erschienenen Bericht über internationale Religionsfreiheit berichtet das US-Außenministerium, dass solche Sekten-Filter weiterhin in Deutschland benutzt werden.

Gegen Scientology

Demo gegen Scientology (Foto: C. Zaharoff)

Scientology wird immer wieder mit dem Nationalsozialismus verglichen: “Wir wollen keine Kirche, die unsere Demokratie abschaffen möchte, und die ein totalitäres Regime als beste Staatsform für die Menschheit sieht”, heißt es auf der Webseite der Berliner Anonymous-Gruppe. Einmal verglich der Historiker Guido Knopp den Filmstar Tom Cruise mit NS-Reichspropaganda-Minister Josef Goebbels: Tom Cruise hatte bei einer Versammlung von Scientologen gefragt: „Sollen wir die Welt säubern?”, und die Zuschauer hatten begeistert bejaht.

Oftmals behaupten die Gegner der Gemeinschaft, dass die Auditing-Sitzungen, ein wesentlicher Teil der scientologischen Doktrin, als Instrument für Gehirnwäsche benutzt würden. In solchen Sitzungen vertieft man sich mit geschlossenen Augen in traumatische oder andere wichtige Erinnerungen. Währenddessen stellt der Auditor Fragen, um Details zu erfahren, ähnlich wie ein Therapeut. In dieser Pseudohypnose, sagen Kritiker, seien die Menschen für Indoktrination anfällig.

Rainer, ein Auditor bei Scientology in Charlottenberg, lacht über diese Behauptung. Sein langer ungekämmter Schnurrbart tanzt dabei. Auditing sei keine Hypnose, widerspricht er. Die Vorwürfe der Gehirnwäsche seien Fantasie.

Auditing beruht auf der These von L. Ron Hubbard, der Mensch sei ein reines, unsterbliches, geistiges Wesen (“ein Thetan”), das von vielen versteckten Erinnerungen im reaktiven Verstand verunreinigt werde. Er schrieb dies erstmals in seinem Bestseller „Dianetik“ aus dem Jahr 1950. Der wissenschaftliche Hintergrund von „auditing” stammt zum Teil aus dem Werk von Sigmund Freud.

Der überzeugte Scientologe Rainer erklärt, dass die Pharmaindustrie hinter dem ganzen Brandmarken von Scientology steckt: „Immer wenn zwei Menschen sich streiten, steht ein Dritter daneben und manipuliert die Situation zu seinem eigenen Nutzen”, sagt er. In diesem Fall würde die Pharmaindustrie die dritte Person repräsentieren. Heimlich würden diese riesigen Konzerne Propaganda gegen Scientology betreiben, angeblich, weil die religiöse Bewegung gegen die Psychiatrie und die Herausgabe von bewusstseinsverändernden Drogen kämpft.

„Wir werden von Drogen überschwemmt”, sagt auch Hermias, Kursleiter in der Berliner Gemeinde der Scientologen. „Alles kann als ‘Krankheit’ bezeichnet werden. Die Psychiater kennen nur diese einfachen Behandlungen, die eigentlich nichts lösen. Und die Pharmaindustrie verdient daran.” Jedoch kriegen auch die Scientologen für ihre Behandlungen Geld. Der Eingang zu ihrem Berliner Gebäude ist eigentlich ein Buchladen. Hermias blättert in einem bunten, in großer Schrift gedruckten Bestseller von L. Ron Hubbard. „Warum ist es wichtig, ob das Buch Geld kostet, wenn es funktioniert?”, fragt er.

Scientology verkauft aber mehr als Bücher. Ihre Doktrin ist darauf beschränkt, dass ihre Anhänger bestimmte geistige Ebenen erreichen müssen – sogenannte “Operating Thetan” (OT). Auf der achten Ebene soll die Wahrheit aufgedeckt werden. Eine Untersuchung der norwegischen Nonprofit-Organisation Operation Clambake von 2006 errechnete, dass es 365 000 US-Dollar kostet, diese Ebene zu erreichen.

Scientologe Rainer kann dazu nichts sagen, er gesteht diese Summe achselzuckend ein. Trotz weißen Hemdes und schwarzer Krawatte, Hose und Weste sieht Rainer nicht wie ein religiöser Dogmatiker aus – er flucht und denkt nach, manchmal zweifelt er an sich. „Alle gehen in eine Richtung, sind in eine Richtung ausgebildet“, sagt er. „Und wir sehen, dass es nicht genügt. Wir zerstören unsere Welt. Diese Richtung ist nicht vernünftig.”


P1030593Charlie Zaharoff wuchs unter den Bäumen von Oakland, Kalifornien, auf. Er ist 20 Jahre alt und studiert aktuell an der Northwestern University in Chicago Journalistik und Germanistik. Charlie will Journalist werden, hat jüdisches Blut, ist orthodox getauft, glaubt an kein Hörensagen und schreibt gern Gedichte über hübsche Mädchen auf der Straße. Für sein Praktikum ging er zum Berliner Stadtmagazin zitty und schaute sich für seine Rezensionen genüsslich Filme an, noch bevor sie offiziell in die Kinos kamen.

Internationales Journalisten-Kolleg ǀ  internXchange ǀ Sommer 2013

2017-07-06T12:18:18+02:00 Kategorien: Gefühl + Glaube, IJK, internXchange, Lesen|Tags: , , , , |