,,In der Moderne sind die Kommandohöhen zu Maulwurfshügeln geschrumpft.`` (Hans Magnus Enzensberger)
Wie verändert also die Digitalisierung der elektronischen Medien die bisherigen Formen ihrer Regulierung, deren Voraussetzungen, Anknüpfungspunkte und Wirkungsweise? Auf welche neuen Problemlagen muß Medienpolitik reagieren? Und welche Mittel stehen ihr dafür noch zur Verfügung? Medienpolitik besteht, nachdem die Exekutive starken verfassungsrechtlichen Beschränkungen unterworfen wurde, heute vor allem in der Rechtssetzung selbst. Auch dort ist spezifisches Medienrecht auf dem Rückzug, vor allem zugunsten des allgemeinen Wirtschaftsrechts. Ähnliches gilt für die Telekommunikation, die gegenwärtig - mehr als ein Jahrzehnt später als der Rundfunk - erstmals eine Marktordnung erhält. Zu erwarten ist daher, daß die Medien- und Telekommunikationsregulierung ihren Sonderstatus zu erheblichen Teilen einbüßen wird.
Die Digitalisierung hat einen bedeutenden Anteil daran, daß die selbstverstärkenden Zirkel aus Recht und Technik, mit denen die Monopole beider Bereiche abgesichert waren, ihre Stabilität einbüßten (Kapitel 2). Digitalisierung ermöglicht den technisch vermittelten Kommunikationssystemen eine (weitere) Komplexitätssteigerung (Kapitel 3.1), indem sie die Eigenkomplexität der Technik für Komplexitätsreduktion bereitstellt:
Digitale Medien ermöglichen reflexive Komplexitätsreduktion: ,,bits about bits`` ergänzen das bisher analog verbreitete Signal um Information über seine Inhalte, ermöglichen seine digitale Weiterverarbeitung beim Empfänger und damit eine neue Verteilung der Rollen von Produzent und Rezipient. Zwischen die etablierten massenkommunikativen Paradigmen one-to-one (Telefon) und one-to-many (broadcasting) tritt das neue Paradigma des many-to-many, für dessen Regulierung weder die postpolitische noch die medienpolitische Regulierungstradition die nötige Erfahrung und brauchbare Regulierungsmuster mitbringen.
Die Dualismen Rundfunk versus Presse und Massen- versus Individualkommunikation verlieren ihren Orientierungswert für Recht und Politik, die zwischen Rundfunk- und Presserecht, Medien- und Telekommunikationsrecht (und zugehörigen Politiken) zu unterscheiden pflegten (Kapitel 3.2). Die wechselseitige Interdependenz erhöht sich und erschwert die Abgrenzung zwischen den beiden Politikfeldern. Versteht man Regulierung als politischen Umgang mit Knappheiten und als Bearbeitung ihrer Folgeprobleme (Abschnitt 3.2.1), so wird mit dem Übergang zum digitalen Zeitalter immer weniger entscheidbar, welche der beiden Politiken jeweils ,,zuständig`` ist. Knappheiten sind in weit geringerem Maße als bisher technisch determiniert, sondern sozial (ökonomisch, politisch) gestaltbar. Medienregulierung wird daher flexibel auf stetig sich ändernde Machtkonstellationen einwirken und zu diesem Zweck schnelle Lern- und Reaktionsfähigkeit erwerben müssen.
Regulierung sieht sich einem Paradox gegenüber (Kapitel 4): Angesichts komplexer werdender Systeme in ihrer Umwelt wachsen ihre Aufgaben, statt zu schrumpfen (wie es die Rede von Deregulierung suggeriert); gleichzeitig werden ihre traditionellen Instrumente - vor allem Recht und Geld - immer stumpfer. Eine hier diskutierte Lösung dieses Problems setzt auf Reflexivität: Versteht man Massenmedien und Politik als autonome Systeme im Sinne der Systemtheorie Luhmanns, so muß Steuerung durch das politische System sich reflexiv zu Zwecken, Zielen und Werten des zu steuernden Systems der Massenmedien verhalten. Die Relevanz von Medieninhalten kann nicht mehr auf gewohnte Weise mit den Relevanzkriterien von anderen gesellschaftlichen Systemen synchronisiert werden.
In ähnlicher Weise kann diese Einsicht auf das große technische System (vgl. Kapitel 3.1.1) der Telekommunikation angewandt werden, das zur Zeit weitgehend aus dem politischen System entlassen und ins Wirtschaftssystem überführt wird. Die politisch brisante Frage nach dem Umfang der öffentlichen Grundversorgung soll künftig mit dem Regulierungskonzept des Universaldienstes (Abschnitt 5.1.2) beantwortet werden. Der vorliegende Gesetzentwurf für ein neues Telekommunikationsgesetz versäumt jedoch die mit dem Telecommunications Act of 1996 in den USA genutzte Chance, das Universaldienst-Konzept zu dynamisieren, es auf neue Dienste anzuwenden und Sonderbedingungen für öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser und Bibliotheken zu schaffen.
Es hat allerdings auch einen guten Grund für diesen Verzicht: Mit diesen Erweiterungen würde der Universaldienst weit in die kulturellen Landeskompetenzen eingreifen. Das Konzept entstammt der US-amerikanischen Regulierungstradition, die seit dem Telecommunications Act of 1934 die Regulierungskompetenz für elektronische Medien und Telekommunikation in der Hand einer starken, relativ unabhängigen Behörde zusammenfaßt. Diese Tradition ist (bislang) inkompatibel zum hierzulande gebräuchlichen Trennsystem. In der politischen Praxis dürfte diese Überlegung allerdings keine Rolle gespielt haben, ist doch bei den Plänen der Bundesregierung, ein Medienrechtsrahmengesetz (Abschnitt 5.3) auf den Weg zu bringen, keine vergleichbare Zurückhaltung zu erkennen. Hier beansprucht der Bund unter Berufung auf seine Verantwortung für Wirtschaft und Telekommunikation die alleinige Regulierungskompetenz für ,,Multimedia``. (Ob diese Auffassung vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben würde, sei einmal dahingestellt.)
Der heraufziehende Bund-Länder-Konflikt, der seine Entsprechung in der rechtswissenschaftlichen Diskussion um den Rundfunkbegriff findet, kreist um die Absicht, eine Regulierungsform zu retten, die von Auflösung bedroht ist: die Medienaufsicht als Wertentscheidung, mit der knappe Ressourcen nicht durch wirtschaftlich-monetäre, sondern durch hoheitlich verfaßte gesellschaftlich-politische Allokationsverfahren und nach inhaltlichen Kriterien vergeben werden. Es steht zu erwarten, daß diese Form der Mediensteuerung durch komplexe, regulativ-legislative Formen abgelöst wird. Medienpolitik muß künftig - falls die normativen Implikationen der bisherigen Medienregulierung fortgelten sollen - daran arbeiten, den Zugang zu den Infrastrukturen offen zu halten, der im digitalen Zeitalter zur entscheidenden Hürde wird, wichtiger als der Zugang zu speziellen Angeboten.
In der medienrechtlichen Debatte um den Rundfunkbegriff ist bereits ein grober Konsens darüber erreicht, die Frage des Begriffs von der Problematik der Rechtsfolgen zu trennen. Im logisch nächsten Schritt könnte ein einheitliches Kommunikationsrecht angestrebt werden, mit dem die Trennung der beiden Sphären aufgehoben würde, die sich mit steigender Interdependenz immer mehr von einer Problemlösung zum Problem gewandelt hat.