Vertreter eines ,,weiten`` Rundfunkbegriffs verweisen regelmäßig auf den Bildschirmtext-Staatsvertrag, mit dem die Länder einen medienrechtlichen Präzedenzfall geschaffen hatten. Herbert Kubicek (1995a, Ziff. 19.) schlägt auch online-Dienste dem Rundfunkbegriff zu und begründet dies damit, daß sie unter den Bildschirmtext-Staatsvertrag fielen. Die als ,,Mailboxen`` bezeichneten Computersysteme hingegen seien nicht als Bildschirmtext im Sinne des Staatsvertrages anzusehen, urteilt der Jurist Stephan Ackermann (1994). Btx sehe nämlich - anders als Mailboxen - eine ,,recht deutliche Trennung`` zwischen Teilnehmer und Anbieter vor. Zudem bietet Btx die Möglichkeit, als Anbieter von Teilnehmern Nutzungsentgelte zu kassieren, ein feature, das den Mailboxen ,,wesensfremd`` sei.
Die Frage nach der Reichweite des Btx-Staatsvertrages dürfte in der
Praxis keine Bedeutung mehr bekommen, denn das Ländervertragswerk
soll möglichst noch zum Jahresende durch einen ,,Staatsvertrag
für Mediendienste`` abgelöst werden. Der Btx-Staatsvertrag
diente jedoch erkennbar als Vorlage für den Entwurf, den eine Länderarbeitsgruppe am 15. März auf
den Tisch legte und
der den Btx-Staatsvertrag ablösen soll. War der Btx-Staatsvertrag
sehr eng an das technische System ,,Bildschirmtext`` und seine
typischen Einschränkungen gebunden, so soll der Nachfolger alle
Mediendienste in Text, Ton und Bild erfassen, die nicht vom
Rundfunkstaatsvertrag erreicht werden.
Wie schon die ,,Negativliste`` der Länder, so verwendet auch der Entwurf eines neuen ,,Mediendienst-Staatsvertrags`` ein an Diensten (statt an Netzen) orientierten Konzept: Das neue Vertragswerk soll künftig Fernseheinkauf (teleshopping) genauso in seinen Regelungsbereich einschließen wie online-Dienste. Strittig scheint dem Entwurf zufolge die Frage zu sei, ob und wie ,,Diskussionsforen in online-Systemen`` auf diese Weise reguliert werden sollen. Unentschieden ist auch, ob nur Netzbetreiber oder auch service provider als ,,Betreiber`` eingestuft werden sollen. Ausdrücklich ausgenommen werden dagegen Dienste, die sich an ,,geschlossene Teilnehmergruppen`` richten.
Wie sein Vorgänger, so hält auch das neue Vertragswerk an der
Trennung zwischen Anbieter und Nutzer fest, einer Trennung, die jedenfalls
im Internet (vgl. Kapitel 3.1.3) nicht schon qua Technik -
wie beim Bildschirmtext - existiert. So greift auch die Vorschrift, die
jeden Netzbetreiber verpflichtet, den ,,Mediendiensten`` Zugang zu
gleichen Bedingungen zu gewähren, systematisch zu kurz,
schließt sie doch den Nutzer, der gleichzeitig Anbieter wird, nicht
ausdrücklich ein. Zudem konkurriert sie nicht nur mit
landesrechtlichen Kabelkanal-Belegungsregelungen (die laut § 3
unberührt bleiben sollen), sondern auch mit den einschlägigen
EU-Vorschriften wie der Open Network Provision (ONP) von
1990 und den kommenden bundesrechtlichen Vorschriften des
Telekommunikationsgesetzes, die sich an der EU-Richtlinie orientieren.
Für die Mediendienste selbst soll Zulassungsfreiheit gelten, sofern
sie nicht ,,ausschließlich oder überwiegend aus
Bewegtbilddarbietungen`` bestehen und von der jeweils zuständigen
Landesmedienanstalt als einem Rundfunkprogramm gleichbedeutend eingestuft
werden; in diesem Fall gilt der Rundfunkstaatsvertrag. Dagegen wird
keine Abgrenzung zum neuen Regulierungskonzept des Universaldienstes
vorgenommen, ebenso bleibt die Frage unbeantwortet, wie der Umfang der
,,informationellen Grundversorgung`` und damit die Verantwortung der
öffentlichen Hand neu zu bestimmen wäre - eine Frage, die in
der vor-digitalen Ära mit der Einrichtung öffentlich-rechtlicher
Rundfunkanstalten beantwortet wurde. Im Bereich der ,,neuen`` Medien
teilen Bund und Länder offenkundig die Auffassung, es sei ,,der
Markt``, der allein für allgemeinen, freien und
kostengünstigen Zugang zu neuen Diensten sorgen wird. Der vorliegende
Entwurf verpaßt die Gelegenheit, das Prinzip des universal
service auf die ,,neuen`` Medien zu erweitern und ihm eine
medienrechtliche Fassung zu geben.