Als zentrales Regulierungskonzept verwendet der Gesetzentwurf die Idee des Universaldienstes. Per Verordnung kann die Bundesregierung (unter Zustimmung von Bundestag und Bundesrat) den Umfang, die Mindestqualität und die Höchstpreise der mit dem Stichwort Universaldienst bezeichneten öffentlichen Grundversorgung festlegen. Unter dem alten, hoheitlichen Telekommunikationsregime war dies ein Problem, das politisch entschieden und auf dem Verwaltungswege durch die Bundespost bearbeitet werden konnte. In einer Umgebung ,,unverfälschten Wettbewerbs`` könnte die Entscheidung wie die Bearbeitung dem Markt überlassen werden, wie es neben anderen die Monopolkommission (1996) fordert. Dies wäre eine marktförmige Entproblematisierung des Problems: Grundversorgung hätte dann zum Umfang, was mindestens einem Telekommunikationsunternehmen in allen Landesteilen unter Marktbedingungen anzubieten rationell erscheinen würde, und wäre nur mittelbar Ziel und Gegenstand politischen Handelns. Derzeit hängen Annahmen darüber, ob es unter diesen Bedingungen in einigen Regionen unbefriedigten Bedarf geben würde, vom theoretischen wie praktischen Vertrauen in Marktmechanismen ab.
Von ,,unverfälschtem Wettbewerb`` kann jedoch angesichts der faktisch zunächst fortbestehenden Monopole und drohender Oligopole nicht ernsthaft die Rede sein. Die Neuregulierung steht daher zum einen vor der Aufgabe, den Übergang zum Wettbewerb sicherzustellen (und dafür gegebenenfalls Sonderregelungen einzuführen), zum anderen soll sie das verbleibende politische Steuerungsinteresse in neue Institutionen gießen. So scheint es weitreichender bundespolitischer Konsens zu sein, daß die Frage der Grundversorgung weiterhin primär politisch entschieden werden soll. Der Gesetzentwurf (§ 16 Abs. 1) enthält bereits eine inhaltliche Festlegung:
,,Als Universaldienstleistungen sind Telekommunikationsdienstleistungen zu bestimmen, die den Bereichen des Sprachtelefondienstes und des Betreibens von Übertragungswegen nach § 6 Abs. 1 zuzuordnen sind und deren Erbringung für die Öffentlichkeit als Grundversorgung unabdingbar geworden ist.``
Das Gesetz verpflichtet jeden Lizenznehmer, der mindestens fünf Prozent vom Umsatz des jeweils fraglichen Marktes auf sich vereinigt, zum Universaldienst beizutragen. Die Regulierungsbehörde kann feststellen, wo der Universaldienst ,,nicht ausreichend und angemessen`` erbracht wird, und marktbeherrschende Unternehmen zur Erbringung verpflichten. Wenn dann Ausgleichszahlungen nötig werden, sollen dazu alle Anbieter mit einem Mindestmarktanteil von fünf Prozent herangezogen werden. In diesem Fall bekommt die Regulierungsbehörde die Möglichkeit, den Universaldienst auszuschreiben, um so den günstigsten Anbieter zu ermitteln.
Der Umfang des Universaldienstes wird wahrscheinlich zu den zentralen telekommunikationspolitischen Themen der Zukunft gehören. In einem Empfehlungspapier zum Telekommunikationsgesetz, das Anforderungen an den Universaldienst formuliert und am 23. November 1995 zeitgleich zum telekommunikationspolitischen Kompromiß zwischen Regierung und Opposition veröffentlich wurde, sprach die SPD bereits das Thema des Internet-Zugangs als Bestandteil des Universaldienstes an und forderte dessen ,,dynamische Weiterentwicklung``. Der Gesetzentwurf sieht dies nicht ausdrücklich vor; der Verweis auf ,,Sprachtelefondienst`` in § 16 Abs. 1 deutet sogar eher auf eine Einschränkung hin.
Die nahezu beliebige Erweiterbarkeit des Universaldienst-Konzeptes zählt gleichermaßen zu seinen Schwächen wie Stärken. Bleibt der Umfang des Universaldienstes etwa auf den einfachen Sprachtelefondienst beschränkt, dann wird darauf verzichtet, mit diesem Konzept die absehbar wichtigen Fragen des universellen Zugangs zu ,,neuen`` Diensten und Medien zu regeln. Wird er dagegen erweitert, dann sprengt er den - technisch definierbaren und definierten - Rahmen der Telekommunikation. In einigen Staaten der USA sind Kabelfirmen durch universal service-Auflagen dazu verpflichtet, bestimmte Programme unverschlüsselt auszustrahlen. Seit dem Ende der achtziger Jahren bereits wird dort versucht, das Konzept auf digitale und breitbandige Netze sowie Informations- und Kommunikationsdienste zu übertragen.
Der Telecommunications Act of 1996 definiert universal service als evolving level of telecommunications services; laut Gesetz sollen technologische Veränderungen bei der Festlegung des Universaldienstes berücksichtigt werden. Die Federal Communications Commission (FCC) soll künftig ausdrücklich den allgemeinen Zugang zu advanced services regulieren; dabei verlangt das Gesetz Sonderbedingungen für Schulen, Krankenhäuser und Bibliotheken. Dies zeigt die mögliche Reichweite dieses Regulierungskonzeptes: Es kann weit in die kulturellen Landeskompetenzen eingreifen. Mit anderen Worten: Gerade weil die neuen Telekommunikationstechniken auch eine neue Qualität als Medien besitzen, reicht ein an der Technik orientierter Regulierungsrahmen, wie ihn der Gesetzentwurf bietet, nicht mehr aus.
Medienpolitisch gesehen behält der Bund mit dem Regulierungsinstrument des Universaldienstes seinen Vorrang für Infrastrukturentscheidungen, die Länder erhalten über den Bundesrat ein gewisses, nicht weit über Verhinderungsmacht hinausreichendes Mitspracherecht. Im Gesetz ist keine Beschränkung auf bestimmte Schichten der Telekommunikationsinfrastruktur enthalten. Wenn aber - so die These im Kapitel 3.1.1 - gerade die überkommene fernmeldetechnische Unterscheidung zwischen Netz und Dienst, die auch den aktuellen Gesetzentwurf regiert, im digitalen Zeitalter fraglich wird, wenn sich Netze und Dienste nahezu beliebig übereinander schichten lassen, dann bietet eine in diesem Sinne unscharfe Gesetzgebung viel Raum für Definitions- und Kompetenzstreitigkeiten. Denn in fernmeldetechnischer Terminologie lassen sich auf dieser Infrastruktur verbreitete Medien wie das heutige Internet unter den Begriff der Telekommunikations-Dienstleistung subsumieren und so unter bundespolitischen Einfluß bringen. Mit der technischen Rahmenkompetenz des Bundes können auf diese Weise die medienpolitischen Zentralfragen der Zukunft entschieden und die Kompetenzen der Länder weiter ausgehöhlt werden. Ein neues föderales Konfliktfeld zeichnet sich damit bereits ab.