Die einfachen Dualismen Rundfunk versus Presse und Massen-
versus Individualkommunikation werden - technisch vermittelt -
gesprengt, der Raum zwischen diesen Polen stufenlos
ausgefüllt. Recht und Politik, die sich an diesen
Unterscheidungen orientierten und zwischen Rundfunk- und Presserecht,
Medien- und Telekommunikationsrecht (und zugehörigen Politiken)
unterschieden, stehen vor neuen Abgrenzungsproblemen. Gleichzeitig wird
die Abgrenzung auch dadurch erschwert, daß sich die wechselseitige
Interdependenz erhöht
.
Wenn es stimmt, daß die hierarchisch-rechtlichen
Steuerungsmechanismen schon seit der Dualisierung dem überkomplex
gewordenen, zu intervenierenden System des Rundfunks als unterkomplex und
damit unterlegen gegenüberstanden, dann steht zu erwarten,
daß sich diese Differenz weiter vergrößern wird, sofern
rechtsförmige Regulierung ihre Komplexität nicht ebenfalls
steigern kann. Das Erkenntnisproblem, vor dem Recht und Politik
gegenüber dem Mediensystem und dessen internen Funktionsabläufen
stehen, wird mit der Digitalisierung und der damit verbundenen weiteren
Dynamisierung auf Dauer gestellt.
In einer Welt offener Standards und offenen Zugangs zu Kommunikationssystemen läßt sich keine Regulierung mehr durchsetzen, die mit den Möglichkeiten der Schließung operiert. Regulierung kann (und sollte, wenn die normativen Implikationen der bisherigen Regulierungsregimes weitergelten sollen) sich darauf beschränken, institutionelle Garantien für den offenen Zugang auszusprechen und zu implementieren, nicht aber mit dem Entzug des Zugangs operieren. Einerseits scheint schon normativ undenkbar, einzelnen Bürgern den Zugang zu (öffentlichen) Kommunikationssystemen vorzuenthalten, andererseits ist ein solcher Entzug auch technisch schwer realisierbar, da die Technik selbst nicht mehr zentral, stratifikatorisch und exklusiv kontrolliert werden kann, ohne das (technische, ökonomische, mit einem Wort: soziale) Kommunikationssystem selbst zu gefährden. Erfolgversprechender als ein Wettlauf der politischen mit der ökonomischen Macht um die Kontrolle der Kommunikationsmedien erscheint es, offene Standards gegen Aneignungsbestrebungen zu verteidigen.
Die Entscheidung über Standards gehört im digitalen Zeitalter in
den öffentlichen Raum, bestimmt sie doch vorrangig
über Knappheiten und damit Machtkonstellationen. (Dies sind die
Themen des folgenden Abschnitts.) Medien- und Telekommunikationspolitik
sind gezwungen, über die Durchsetzungschancen der konkurrierenden
massenkommunikativen Paradigmen one-to-one (Telefon),
one-to-many (broadcasting) und many-to-many
(Internet) mitzuentscheiden. Daran hängen die Machtfragen: In einer
Umgebung des massenkommunikativen many-to-many ist nicht mehr
entscheidend, wer die Inhalte der Massenkommunikation, sondern vielmehr,
wer die Zugänge zu den darunterliegenden Infrastrukturen
kontrolliert. Mit der Entscheidung über die Zukunft der TV-Kabelnetze
hat die Bundespolitik eine Schlüsselentscheidung in der Hand.
Insofern fallen Medien- und Telekommunikationspolitik zusammen. Das Problem vertikaler Konzentration muß ohnehin von beiden bearbeitet werden. Über die konkrete Gestalt neuer Medien haben hingegen beide nicht zu befinden, wohl aber über die Bedingungen ihrer Entstehung. Auch wenn der enge Zusammenhang von Technik und Anwendung komplexer wird, sollten sie den monopolisierenden Zugriff auf Technik verhindern und auf der Verwendung offener Standards bestehen.